Diesmal ganz nach Gefühl – Borderland Ultra

Wettkampf mit Bergwanderung

Die Pensionswirtin lässt uns herein und bittet und kurz zu warten. Plötzlich blickt sie mich mit großen Augen an und brüllt: „Gut“. Und gleich darauf erneut: „Gut“. Für einen Moment bin ich verwirrt, Will sie mich auf diese Weise fragen, ob es mir gut geht? Jedenfalls ist es eine seltsame Art mit Gästen umzugehen. Später erklärt mir Hermann, dass sie damit ihren Mann gemeint hatte, er soll den elektrischen Türöffner loslassen…..

30 Minuten vorher: „Hermann, meine Gabel ist gebrochen“. Die Schokoladenschicht der Donauwelle war so dick, dass beim Versuch sie zu durchstoßen die Gabel einen Zinken verlor. Hermann lacht. „Wir dürfen wegen Corona leider kein echtes Geschirr ausgeben“ hatte die Frau hinter der Kuchentheke gesagt. Gut, essen wir unsere Stücke Kuchen halt mit Plastikgeschirr und trinken den Kaffee im Pappbecher…..

Mit Laufkumpel Hermann habe ich mich nach Thüringen zum Borderland Ultra aufgemacht. Wir sind am Vormittag gemütlich losgefahren, um dem Freitags Verkehr aus dem Weg zu gehen. Die Pension lässt uns erst ab 15 Uhr herein, also gehen wir vorher Kuchen essen und Kaffee trinken. Zur Feier des Tages esse auch ich Kuchen, das mache ich sonst nie, zu süß und zu viel Zucker. Danach checken wir in unserer Pension in Hildburgshausen ein und ruhen uns aus. Am frühen Abend fahren wir die 18 Kilometer nach Römhild, wo der Borderland Ultra gestartet wird, sehen uns das Gelände an und holen unsere Startunterlagen ab. Schon von weitem ist der große Berg mit Gipfelkreuz sichtbar, den wir morgen werden besteigen müssen. Er thront majestätisch – Respekt einflößend über dem Startgelände. Außer dem Startnummer Abholen findet alles draußen statt, es dürfte am nächsten Tag eine recht kalte Angelegenheit werden, auch ist Regen für den nächsten Tag angesagt.

Angemeldet hatte ich mich zum Borderland Ultra mit der Vorstellung an einem schönen Spätsommertag bei etwa 20 Grad in Sonnenschein zu laufen und nebenbei wieder tolle Leute zu treffen. Dies sollte ein guter Trainingswettkampf als Vorbereitung zum Dromos Athanaton werden. So die Vorstellung. Die Realität sieht freilich anders aus: Es ist kalt, saukalt, etwa 8 Grad, bewölkt und neblig, der Himmel sieht stark nach Regen aus. Und ob der Dromos Athanaton überhaupt stattfindet, steht nach wie vor in den Sternen. Behördlich wurde die Erlaubnis zwar gegeben, ein anderer behördlich abgesegneter Lauf in Griechenland bekam aber von einem Dorf keine Durchlaufgenehmigung, wurde 6 Tage vorher abgesagt. Auch fehlt mir ein vernünftiger Formaufbau. Verletzungsbedingt bin ich die ersten 3 Monate des Jahres nicht gelaufen, habe aus Vorsicht bis August nur wenig trainiert. Ganz leicht hatte ich mein Sprunggelenk bis Juli noch gespürt. So konnte ich auch in den letzten Wochen nicht so intensiv trainieren, wie ich es mir als Vorbereitung für einen Lauf wie den Dromos Athanaton vorstelle, weil mein Körper für intensives Ultratraining einfach nicht austrainiert genug ist. Alles bleibt also offen. Um so glücklicher bin ich, dass heute der Borderland stattfindet und ich am Start stehen kann und darf. Da nehme ich auch sämtliche behördlichen Coronaauflagen in Kauf.

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Das Streckenprofil habe ich mit Erlaubnis des Veranstalters von dessen Homepage – Danke dafür

Streng genommen besteht der Borderland Ultra Lauf aus 2 Läufen. Dem Grenzgänger mit 30 km und 450 Höhenmetern und dem Keltentrail mit 20 km und 750 Höhenmetern. Beide Läufe werden einzeln durchgeführt und für uns Ultras kombiniert. Trail und viele Höhenmeter liegen mir nicht. Bei meinem Langen Läufen zu Hause habe ich ab Kilometer 30 Schwierigkeiten Steigungen noch zu laufen. Will ich meine künftigen Ziele erreichen (Olympian Race und irgendwann Sparthatlon), muss ich genau das können. Seit Anfang August, seit meiner Teilnahme am Sommeralmmarathon in der Steiermark, wo mir eine deutliche Grenze in Sachen Berglaufen aufgezeigt wurde, übe ich Höhenmeter laufen im Rahmen von Tempobergaufläufen. Inzwischen bin ich bei 3 x 15 Minuten Tempobergauflaufen angelangt.

Rennen

Eine vermummte Gestalt tippt mich plötzlich an und grüßt mich und erst dann erkenne ich ihn: Udo oder zumindest die Teile von Udo, die um diese frühe Zeit schon aktiv sind, also gar nicht soo viel Udo. Wir trinken unseren Kaffee im Stehen zusammen und plaudern. Dann kommt das Briefing. Vom Veranstalter werden wir vor dem Lochbeton gewarnt. Die Löcher sind so groß, dass man mit den Füßen hängen bleiben und sich verletzen kann. Da Regen angesagt ist, werden wir vor den rutschigen Steinen im Keltentrail gewarnt. Und wir werden gebeten beim Start die Maske aufzuziehen. Anscheinend wollen die Behörden ein Foto vom Start sehen mit nur maskierten Läufern.

Bei der Startaufstellung treffe ich zudem Phenix. Er wollte sich dieses Jahr eigentlich an der langen Version des Goldsteig Race versuchen, einem Lauf mit einer Distanz von 1001 Kilometern, Corona machte diesem Vorhaben für dieses Jahr aber einen Strich durch die Rechnung.

Zu meinem eigenen Erstaunen bin ich die Ruhe selbst, verspüre nicht die für mich eigentlich typische Wettkampfnervosität. Ich bin mir ziemlich sicher, den Lauf zu schaffen. Ja, ich werde kämpfen müssen, wie ich bei jedem Langen Lauf zu Hause auch kämpfen muss, aber das fürchte ich nicht, ich freue mich auf den Lauf.

Start

In den Minuten vor dem Start läuft das für Ultrarennen völlig untypische „Highway to hell“ von AC/DC. Das Lied läuft eigentlich bei so gut wie allen Marathons, aber nicht bei Ultrarennen, die Ultras sind dafür einfach zu gemütlich. Dann wird ein Countdown von einer Computerstimme herunter gezählt gemeinsam mit einer große Menge Kunstnebel, nach „one“ folgt ein „go“ und dann geht es los. Im Rahmen dieser „Start – Show“ passt wiederum das AC/DC – Lied.

Hermann rennt wie immer in schnellem Tempo voraus. Komischerweise bekomme ich nur schwer Luft, bis ich nach ca. 500 Metern bemerke, dass ich meine Maske noch aufgezogen habe, kein Wunder. Ich setze sie ab und dann geht es erheblich leichter.

Grenzgänger

Den ersten Kilometer geht es durch ein Gewerbegebiet und dann auf einen Wiesenweg. Das Feld ist noch eng beisammen, zieht sich aber allmählich auseinander. Die Landschaft besteht aus abgeernteten Feldern und großen Wiesen, voneinander abgetrennt mit Büschen. Ich blicke nicht auf meine Uhr, versuche aber eher langsam zu laufen, will Energie für die letzten 20 Kilometer, den Keltentrail mit seinen vielen Höhenmetern sparen. An jeder Straße stehen Ordner und bremsen gegebenenfalls den Verkehr für die Läufer aus. Auch sitzen an buchstäblich jeder Weggabelung Helfer und lotsen die Läufer. Neben den unzähligen Kreidefarbenen Pfeilen auf dem Boden hängen zudem Bänder an vielen Büschen. Verlaufen ist also schwer möglich. Wie ich sehe ist der erste Teil der Strecke eine Wendestrecke, man sieht auf dem Boden auch die „Zurück – Pfeile“. Auf einer Koppel grasen 2 jung aussehende laut wiehernde Pferde. Danach kommt eine Umzäunung mit einer größeren Kuhherde. Diese stehen ruhig am Zaun, fangen aber plötzlich wie von einer Tarantel gebissen an im Rudel schnell zum anderen Ende der Koppel zu rennen. So aktiv beinahe hektisch habe ich bei uns in der Südpfalz Kühe sich noch nicht bewegen sehen.

Nach einigen Kilometern über die Wiesen biegen wir auf eine Straße ab. Diese führt durch das Dorf Linden, wo wir an einem kleinen Spielplatz, der freiwilligen Feuerwehr vorbei kommen. Es gibt leichte Steigungen, die sich bisher aber noch absolut im Rahmen halten. Ich fühle mich gut, mir graut aber vor dem Keltentrail. Die Landschaft verändert sich allmählich von Wiesen und Feldern in Wälder um.

Laufen durch Löcher

Bei Kilometer 7 kommt in einer kleinen Talsenke die erste Verpflegungsstation. Wie ich sehe gibt es alles was das Ultraläuferherz begehrt, ich aber nicht vertrage: Kleine Salamis, Puffreis mit Schokolade, Wassermelonen, Waffeln und anderes. Grundsätzlich esse ich bei Läufen nichts, dann würde ich mich nämlich ordentlich übergeben, trinke nur und ernähre mich nur von Gels. Hier ist es aber noch zu früh, ich lasse die Verpflegungsstation aus und laufe gleich weiter. Kurz nach der Verpflegungsstation trennen sich der „hin-“ und der „zurück – Weg“. Jetzt kommt also eine größere Runde, die dann hier wieder endet und die knapp 8 Kilometer bis zum Zielbereich zurückgeht. Hier beginnt die alte Grenzanlage und es folgt eine mehrere Kilometer lange Lochbetonstrecke, die mitten durch einen wunderschönen Wald geht. Manche Löcher sind zugewachsen, viele sind aber offen. Wenn der Fuß in eines hereinkommt, bleibt er kurz hängen, es tut weh und man riskiert eine Verletzung. Manchmal kann man in der Mitte des Weges laufen, wenn sich dort eine begehbare Wiese befindet, oft sind dort aber zu hohe Büsche. So tripple ich wie eine Primadonna auf Stöckelschuhen über den schmalen Streifen des Betons, in dem sich keine Löcher befinden. Dafür muss ich meine Füße bei jedem Schritt etwas nach innen bewegen, mein Anblick beim Trippeln wird definitiv lächerlich sein. „Cornelius, die Löcher sind ziemlich groß und gefährlich. Letztes Mal hatte ich einfach keinen Rhythmus gefunden und wurde wahnsinnig“ hatte mich Udo beim Start gewarnt, ganz so weit bin ich nicht.

Im Wald kommt nun eine heftige Steigung. Ein Stück weit tripple ich sie hoch, gehe aber dann den Rest. Zu großen Respekt habe ich vor dem was da noch kommen wird. Auf der anderen Seite geht es genauso steil wieder herunter. Bergab ist dieser Lochbeton für meine Füße eine Herausforderung. Beim Laufen stelle ich mir vor, wie es ist, wenn man zur Zeit der ehemaligen DDR geflohen ist, jederzeit mit Grenzpatroullien rechnen musste und mit Gefängnis und Erschießung. Trotz des dichten Wald- und Buschwerkes ist es schwer, sich hier zu verstecken. Ich bin ehrlich gesagt dankbar, im Westen geboren und aufgewachsen zu sein, meine Meinung frei äußern zu dürfen und und nicht hinter einer Mauer eingesperrt gewesen zu sein. Während ich meinen Gedanken folge, rasen nun die mutmaßlichen Siegläufer des Grenzgänger Laufes an mir vorbei. Aufgrund behördlicher Auflagen durften die „nur“ 30 Kilometer Läufer 15 Minuten nach uns Ultra starten und müssen sich nun an uns langsameren Ultra vorbeischlängeln. Auf den nun folgenden Kilometern geht es leicht bergauf und bergab weiter durch den Wald. Bei uns in der Südpfalz gibt es eigentlich nur Weinberge und Wald, ab und an kommt man auch durch Äcker. Hier gibt es eine absolute Weite, Wiesen und Felder soweit das Auge reicht und Wälder. Während ich die Landschaft genieße, bin ich damit beschäftigt, gut über die Lochbetonstrecke zu kommen.

Ausrüstung

Irgendwann endet die Lochbetonstrecke, man kommt aus dem Wald heraus auf Waldwegen in eine absolute Weite mit Kilometerlangen Feldern. Am Rande eines Ackers steht ein Jägerhochsitz, der auf einem Traktoranhänger befestigt ist. Ein anderer Läufer sieht mich mit meiner Kamera und bietet mir an, von mir ein Foto zu schießen.

Gerne nehme ich an, danach laufen wir beide weiter, jeder in seinem Tempo. Es geht für mehrere Kilometer gerade zwischen zwei Feldern auf einem Ackerweg.

Am Horizont sieht man einen Turm, der wie ein alter Grenzturm aussieht. Direkt unter dem Turm ist wieder eine Verpflegungsstation. Wir sind bei Kilometer 15. Dieses Mal nehme ich ein Gel zu mir. Ich habe dieses mal welche der einzigen Firma, deren Gels und Kohlenhydratpulver ich auch bei Läufen von 100 Kilometern und mehr vertrage dabei. Normalerweise nehme ich bei kürzeren Läufen wie diesem günstigere, aber von denen darf ich aus Verträglichkeitsgründen nicht zu viel nehmen. Aus Respekt vor der Strecke gehe ich bei diesem Lauf auf Nummer sicher. Meine Trinkflasche lasse ich zu einem Drittel mit Cola und den Rest mit Wasser auffüllen, bedanke mich und gehe trinkend weiter. Wir überqueren eine Straße, die von der freiwilligen Feuerwehr bewacht wird, dann geht es einen Waldweg recht steil den Berg hinauf. Ich trinke die Flasche bergaufgehend leer, befestige sie wieder an meiner Gürteltasche und tripple dann den Rest der Steigung langsam hinauf. Oben geht es wieder in einen Wald über einen Wiesenweg, dann am Rande einer Bergkuppe am Waldrand entlang. Ich überhole eine Läuferin, grüße sie. Von ihrer Antwort verstehe ich nur das letzte Wort, nämlich: „Oder?“. Es klang etwas nach Schweizerdeutsch aber nicht einmal das kann ich mit Sicherheit sagen. Nur ist das Nachfragen einfach zu anstrengend. Also antworte ich mit „ja stimmt!“, verabschiede mich und laufe etwas schneller weiter. Der Wiesenweg ist sehr unregelmäßig, so muss ich mich darauf konzentrieren nicht umzuknicken. Nach einer Weile endet der Wiesenweg, wieder stehen freiwillige Helfer an der Weggabelung und es geht auf einem asphaltierten Weg weiter. Da ich keine neuen profilierten Schuhe besitze und mein Laufschuhgeschäft diese Woche Urlaub hat, trage ich alte, abgelaufene profilierte Schuhe. Profilierte Schuhe sind Seitens des Veranstalters Pflicht, was durchaus Sinn macht, da der Keltentrail so steinig sein soll. Wenn es regnet, wird der Weg sehr rutschig, mit normalen Straßenlaufschuhen ist das zu gefährlich. Meine Füße scheinen die abgelaufen Schuhe aber auch auf dem Asphalt zu vertragen. Im Vorfeld hatte ich die Befürchtung meinen empfindlichen Füßen mit den abgelaufenen Schuhen zu schaden, diese sind nämlich absolute Sensibelchen.

Nach einigen Kilometern geht es wieder auf einen Feldweg in den Wald, der sich wieder in Lochbeton verwandelt. Zum ersten und einzigen Mal bei diesem Lauf sehe ich auf meine Uhr, was übrigens absolut untypisch für mich ist. Normalerweise blicke ich zur Tempokontrolle ständig auf meine Uhr, bin erheblich aufgeregter. Aus coronatechnischen Gründen steht ja auch noch der Eselsmützenlauf aus, den ich wegen zu hohem Anfagngstempo beim letzten Mauerweglauf noch durchführen muss. Mit meinem Sohn hatte ich ja die Wette laufen, dass ich, wenn ich bei den ersten 120 Kilometern mehr wie 2 Kilometer schneller wie 6 Min./Km laufen, einen Marathon in Eselsmütze laufen muss. Mein Sohn, der diese Wette gewonnen hatte, möchte bei diesem Lauf aber dabei sein und die Marathons bei uns in der Gegend wurden alle abgesagt.

Ich bin bei Kilometer 19,5 und seit 1:57 Stunden unterwegs, also ziemlich flott. Etwas schwerer sind meine Beine inzwischen geworden, es hält sich aber in Grenzen. Dennoch bremse ich mich etwas. Auf dem Lochbetonweg kommen nach einer Weggabelung und beidseitige Pfeile. Der Rundweg endet hier also und es geht jetzt auf dem gleichen Weg zurück wie es herging. Bis zum Ziel des Grenzgängerlaufes sind es jetzt noch 8 Kilometer. Bei der Verpflegungsstation, die ich auf dem Hinweg ausgelassen hatte trinke ich wieder mein Wasser – Cola – Gemisch und laufe weiter. In Linden entdecke ich ein kleines Schwimmbad, das ich auf dem Hinweg übersehen hatte. Die Kühe stehen am Zaun und glotzen. Ich bleibe stehen und fotografiere sie. Ein anderer Läufer sieht dies, grinst und fragt mich, was die Kühe wohl denken. Ich antworte mit ernstem Gesicht ernster Stimme: „Sie philosophieren über Kants Universelle Moral“ und laufe weiter. Er glotzt mich verwirrt an. Die Müdigkeit macht sich nun etwas stärker bemerkbar, den Lauf bei Kilometer 30 zu beenden ist eine etwas attraktiver gewordene Alternative, kommt aber nicht in Frage. Ich frage mich, ob ich überpaced habe? Nun, das wird man sehen. Kämpfen werde ich müssen, aber diese Aussicht schreckt mich nicht.

Keltentrail

Von Hermann ist weit und breit nichts zu sehen. Hermann ist ein erheblich besserer Berg- und Trailläufer. Wenn ich ihn auf den ersteh 30 Kilometern nicht treffe, dürfte er durch sein. Das wäre insofern geschickt, da er dann verschwitzt in der Kälte auf mich warten müsste und nicht umgekehrt. Coronabedingt gibt es keine Duschen. Es geht zum Ziel. Die Grenzgängerläufer biegen auf auf ihre Finisherrunde um den Fußballplatz, die Ultras laufen am Rand des Fußballplatzes parallel zur Straße entlang zu einem Verpflegungszelt. Für die ersten 30 Kilometer habe ich ziemlich genau 3 Stunden gebraucht, liege also gut in der Zeit. Ich nehme ein Gel zu mir, trinke und laufe weiter. Nach einem Kilometer durchs Dorf auf den großen Berg zu. Das Gipfelkreuz ist von weitem zu sehen. Es geht einen asphaltierten Weg hinauf. Auf diesem sind Pfeile in beide Richtungen, wir werden hier also zurückkommen. Der asphaltierte Weg verwandelt sich in einen Feinsteinweg. Er geht so steil hinauf dass er nur schwer zu laufen ist. Gehen und Laufen wechseln sich ab. Dann verwandelt er sich in einen Waldweg, der mit Steinen und Wurzeln übersäht ist. Ein Baumstamm liegt quer über den Weg, man muss über ihn hinüberklettern.

Bergsteigen

An einer Weggabelung sitzen 2 junge Frauen und weisen rechts nach oben auf einen kleinen, steilen, fiesen Weg. Diesen kraxle ich hoch. Nach einiger Zeit löst sich der Weg auf., bzw. ist kaum noch zu erkennen Man sieht wie es jetzt richtig steil bergauf geht mit vielen Wurzeln und Steinen. Ich kraxle auch da hinauf und treffe auf Hermann. Er schnauft schwer wie eine Dampflokomotive und verabschiedet mich mit den Worten „wir haben es ja gewollt“.Ich antworte „ja“, überhole ihn und laufe weiter. Der Weg wird etwas flacher aber ist genauso schwer zu gehen, man klettert ständig über große Steine, Stufen und umgestürzte Baumstämme. Irgendwann bin ich oben am Gipfelkreuz. Ich gehe kurz zum Rand und sehe mir das Panorama an und fotografiere es. Ich bin so mit Laufen beschäftigt, dass ich buchstäblich nichts denke oder empfinde. Der erste große Berg ist geschafft. Nein, denkste. Der Weg geht erst eben entlang, wird dann schmal, steinig, schwer zu gehen und steigt dann weiter an. Nach einigen Hundert Metern endet er an einer kleinen Fläche. Helfer haben eine kleines offenes Zelt aufgebaut, sitzen davor und lotsen die Läufer. Neben der Zelt geht eine Wand gerade nach oben. Ganz rechts führt ein kleiner Pfad auf genau diese Wand und vor diesem Pfad ist ein Pfeil auf einen Stein gesprüht, der genau in diese Richtung zeigt. Also laufe ich dahin und kraxle weiter, steiler denn je. Ob Udo hier auch läuft? Es ist für ihn eine innere Verpflichtung jeden Schritt zu laufen und nicht zu gehen, aber hier? Ist nicht laufbar, ich muss ihn mal fragen…

Schon nach wenigen Schritten habe ich eine enorme Höhe erreicht. Irgendwann geht es nicht mehr höher, scheinbar ist der erste Berg jetzt wirklich erreicht, denn der Weg wird ebener und beginnt sich allmählich bergab zum neigen. Dadurch ist er aber kein bißchen leichter zu laufen wegen seiner vielen großen Steine und Wurzeln. Hochkonzentriert laufe ich weiter bis ich auf einen asphaltierten Weg stoße, der bergab führt. Ob ich diesen Weg auch wieder zurück muss? Ein großer Schreck fährt mit bei diesem Gedanken in die Glieder. Ich schiebe ihn weg mit der Einsicht, dass ich das ja dann sehen kann, aber Unsicherheit bleibt. kommen insgesamt 2 oder 3 große Berge beim Keltentrail? Hätte ich mir im Vorfeld mal das Streckenprofil genauer angesehen.

Bergab geht es nun ziemlich rasch, vor allem weil der Weg keine großen Steine oder sonstigen Hindernisse hat. Wieder sitzen zwei freiwillige Helfer am Weg und weisen auf eine Biegung die natürlich wieder hoch führt. Aber nur für einige Hundert Meter, dann eben und schließlich bergab. Wir stoßen auf einen breiten Weg der auch bergab geht. Ich lasse laufen und rase den Weg herunter. tut gut mal flott zu laufen, nach den vielen schwer zu laufenden Steigungen mit Felsen und Wurzeln.

Unten sieht man einen Verpflegungsstand und eine Straße. Ich trinke mein Cola – Wasser – Gemisch und laufe weiter. Es geht über die Straße und wieder bergauf. Es ist ein schöner ebener Waldweg, der für längere zeit gerade bergauf geht. Ein Stück tripple ich hinauf, fange aber bald an schnell zu gehen, zu groß ist inzwischen die körperliche Abnutzung. Auf dem Weg kommt mir ein keltisch gekleideter Mensch mit Startnummer entgegen. Ich grüße ihn, er brabbelt seine Antwort auf tiefbayrisch. Ich verstehe nichts. Immer wieder beginne ich zu laufen, was sich nach kurzer Zeit wieder in Gehen verwandelt. Der gerade Bergaufweg endet. Ein jungen Helfer weist auf einen trailigen, steinigen, teilwiese steileren Weg bergauf, nicht ganz so schlimm wie beim Berg zuvor, aber schwer genug. Die steilen Passagen gehe ich, die flacheren laufe ich. Auf dem engen Pfad stoße ich auf mehrere Wanderer. Sie gehen sofort zur Seite und feuern mich an. Ich überhole und grüße sie, bedanke mich und laufe weiter, will diesen Berg hinter mich bringen. Wieder kommt eine Weggabelung. Ein jungen Mann sitzt dort und zeigt natürlich nach oben mit den Worten „gerade nach hinten und den Stempel abholen“. Nach vielen Hundert Metern kommt ein Turm, davor steht eine junge Frau mit Stempel. Sie stempelt meine Startnummer. Dabei entdecke ich, dass diese auf einer Seite herausgerissen ist, also nur noch an einem Loch befestigt ist. OK muss ich aufpassen, wenn ich sie verliere, dürfte ich disqualifiziert werden, da sich auf ihrer Rückseite Transponderchips befinden, die beim Überqueren der Start- und Ziellinie ein Signal am Computer auslösen. Ich laufe um den Turm herum, treffe dabei auf Phenix und grüße ihn. Ich staune, dass er vor mir liegt. Denn wer längere Strecken läuft wird langsamer. Wer sehr lange Strecken läuft wird sehr langsam. Ich überhole ihn und laufe weiter. Es geht zuerst den gleichen Weg zurück zum sitzenden jungen Mann und dann einen natürlich schwer zu laufenden Weg mit vielen Steinen, Steinstufen und quer über den Weg liegenden Baumstämmen bergab, was sonst. es hätte ja auch mal leicht sein können…

Plötzlich sehe ich rechts einen kleinen leuchtenden Pfeil, einige Meter geht es steil herunter auf einen kleinen flachen Platz, unten steht ein freiwilliger Helfer. Ich laufe, blicke und denke „geht es hier entlang?“ und dabei passiert es und zwar alles zugleich: Ich knicke um, ein stechender Schmerz durchläuft meinen rechten Fuß, ich laufe die paar Meter herunter und fange wegen des Schmerzes im rechten Fuß zugleich wild tanzend an zu hinken. Dabei entweicht mir ein Schmerzensschrei. Auf diese Weise komme ich irgendwie die paar Meter herunter ohne auf die Schnauze zu fliegen. Nach paar Sekunden ist alles vorbei und zum Glück scheint nichts passiert zu sein. Ich werfe dem jungen Helfer ein „alles gut, nichts passiert“ zu und laufe weiter. Jetzt geht der Weg eben und ohne Hindernisse bergab, endlich. Ich ärgere mich über mich und frage mich wie ich so hohl und arrogant man sein kann: Hatte der Keltentrail jetzt 2 oder 3 Berge? Muss ich den ersten Berg erneut besteigen oder nicht? Hätte ich mal das Streckenprofil genauer studiert. Während ich flott bergab renne, innerlich auf mich schimpfend kommt eine Frau mit Hund entgegen. Sie strahlt mich an. Ich werde etwas langsamer und erkenne sie: Ines, Udos Frau. Sie strahlt mich an und streckt mir ihre Hand entgegen. Es wäre ein leichtes anzuhalten, kurz mit ihr zu reden und dann weiter zu laufen. Aber das schaffe ich nicht. Meine Mission heißt laufen. Durch die zunehmende Erschöpfung komme ich einfach nicht auf die Idee.In mir sind nur noch die fürs Laufen notwenigen Hirnregionen aktiv. Ich versuche beim Vorbeilaufen ihre Hand zu berühren, strahle sie an, schaffe es nicht sie zu berühren und laufe weiter. Einerseits bin ich beglückt sie getroffen zu haben. Ihr Strahlen hat mir in diesem Moment gut getan. Aber es dämmert mir beim weiter Laufen, dass ich hätte anhalten sollen, aber ich kam einfach nicht auf die Idee. Viel zu fokussiert war ich. Sie wird es mir nachsehen hoffe ich.

Unten kommt wieder die Verpflegungsstation von vorhin. Ich rechne fest damit den fiesen Berg hinauf zu müssen, nehme ein Gel zu mir, trinke Wasser – Cola und frage nach. „Nein, Ihr habe die Berge jetzt hinter Euch. Ihr müsst jetzt rechts um den Berg herum“. „Gott sei Dank, Danke, Tschüss…“ und weiter. Irgendwie hätte ich den Berg mit seinen fiesen Passagen auch noch geschafft, aber ich bin Gott froh. Es geht einen schön eben Feinkiesweg in den Wald hinein. Im Wald erscheint plötzlich ein hübsches altes Herrenhaus, irgend ein Museum.

Der Weg geht eben, ich laufe flott, bremse mich etwas, schließlich habe ich noch 8 Kilometer zu laufen und ich darf mich nicht zu arg abschießen, nächste Woche will ich schließlich weiter trainieren. Nach einger Zeit überhole ich einen etwas jüngeren Ultraläufer. „Du hast dir dein Rennen besser eingeteilt!“ Mir ist sein Kompliment peinlich, ich antworte „ach jo, Zufall“. Er „mal geht es gut, mal schlecht, oder?“ Ich stimme zu und laufe weiter. Der Weg geht leicht bergauf, ich werde erheblich langsamer, muss schwer kämpfen. Laufen kann ich noch, meine bergauf – Lauffähigkeiten schwinden aber zunehmend und streben gegen Null. Stückweise gehe ich, stückweise laufe ich, dann gehe ich wieder um dann wieder zu laufen. Der Weg wird schmaler und trailiger. Vor mir sehe ich einige Läufer. Da ich mich nicht völlig abschießen will, lege ich es nicht darauf an, sie in jedem Fall zu überholen.

Der Weg wird noch trailiger, wieder liegt ein Baumstamm quer über dem Weg. Er kommt mir bekannt vor: Also sind wir jetzt auf dem gleiche Weg wie zu Beginn des Keltentrails. Der trailige Weg mündet wieder auf einen glatten hindernisfreien Weg und es geht bergab. Wieder kommen die Häuser des Dorfes. Ich nehme meine Kraft zusammen. und laufe weiter Ein Läufer ist einige Meter vor mir. Ich bleibe hinter ihm, will mich nicht für eine Platzierung völlig abschießen. Es geht zum Eingang zur Ehrenrunde um den Fußballplatz herum ins Ziel. Ich bekomme eine wunderschöne Medaille umgehängt, trinke Cola und hole mir mein Finishershirt. Da es sehr kalt ist und ich fürchte krank zu werden, gehe ich zum Auto und ziehe mich um. Auf dem Rückweg kommt mir Hermann entgegen. Er wurde mit 5:38:36 Stunden 60. männlicher Starter. Er zieht sich um. Danach trinken wir in Römhild noch einen Kaffee und essen Kuchen und fahren dann heimwärts.

Mit 5:20:56 Stunden bin ich 50. von 106 männlichen Startern. Mit meiner Leistung bin ich absolut zufrieden. Während des Laufes war ich sehr ruhig, gar nicht aufgeregt oder nervös, was ungewöhnlich für mich ist. Die ersten 20 Kilometer und auch nach einmaligem auf die Uhr Blicken bin ich den Rest der Strecke rein nach Gefühl gelaufen und zwar in einem guten Tempo, auch das ist neu für mich. Die vielen Höhenmeter habe ich für meine Verhältnisse gut bewältigt und weggesteckt. Meine Form geht zweifelsfrei nach oben. Ob es freilich für einen Dromos Athanaton mit 140 km und 3000 Höhenmetern reicht bleibt abzuwarten. Ob ich dort überhaupt starten kann, bleibt auch abzuwarten. Auch muss ich dann abschätzen ob ich für so ein Vorhaben ausreichend trainiert bin. Alles ist unsicher und bleibt im Fluss. Ich bin auch mehr als skeptisch, was meine Pläne im nächsten Jahr angeht. Ich möchte im Mai 2021 beim Olympian Race starten und werde auch darauf im Winter trainieren, aber ob dieses Rennen wirklich stattfindet ist mehr als unsicher, ebenso der Mauerweglauf im August.

Der Borderland Ultra ist ein perfekt organisierter Lauf. Die Strecke ist schön aber sehr schwer zu laufen, gerade beim Keltentrail sind einige Passagen nicht laufbar. Die Markierung ist nahezu perfekt. Zusätzlich sitzen noch an allen Weggabelungen Helfer. Die Verpflegungsstationen gibt es etwa alle 7 – 8 Kilometer und sind gut bestpckt. Die Einschränkungen (keine Duschen, nicht in einer warmen Halle sitzen) obliegen den behördlichen Auflagen und sind nicht dem Veranstalter anzulasten. Dieser hat eine wunderschöne Veranstaltung aus organisiert und bei Behörden durchgesetzt. Wie ich von Einheimischen hörte war das Wetter für lokale Verhältnisse gut, das war es auch, es regnete nämlich nicht.

Was bei mir bei diesem Lauf hängen bleibt und großartig ist: Gelaufen bin ich diesmal ganz nach Gefühl…..

Über Cornelius Knecht

Beruflich arbeite ich mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Das Laufen hilft mir den Kopf freizukriegen und neue Energien zu tanken. Ich liebe vor allem die langen, meditativen Läufe durch die Weinberge in der Südpfalz. Als Kind spendierte mir mein Vater immer ein Eis, wenn ich ihn zum Lauftreff begleitete. So kam es, dass ich im Alter von sieben Jahren mal einen 10 km Lauf in 56 Minuten absolvierte.
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