Lektionen in Demut – Night52 am 15.7.23 in Bretten

Vorgeschichte

Dieser Abschnitt fasst die letzten 2 Jahre meiner läuferischen Lebenskrise zusammen und hat nichts mit dem Wettkampf direkt zu tun. Wer sich nur für den Wettkampf interessiert, kann diesen Abschnitt überspringen.

Der Night52 in Bretten ist der erste Wettkampf seit dem 3.7.2021. Ich musste meinen ersten 24h Lauf bei den Deutschen Meisterschaften nach knapp 5 Stunden abbrechen. Im Vorfeld wusste ich, sollte ich meine Leistung abrufen können, würde ich 200 Kilometer laufen können. Auch wusste ich dass das aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens für das Podium, wenn nicht gar für den Titel des Deutschen Seniorenmeisters meiner Altersklasse reichen würde. Genau das war mein Plan. Wegen einer Borreliose war ich geschwächt, ging dennoch an den Start. Meine beiden Ärzte sahen kein Problem darin, weswegen ich auf Autoritäten hörte und nicht auf mein Gefühl achtete. Hätte ich auf mein Gefühl gehört, hätte ich nicht starten dürfen. Beim Wettkampf selber fühlte ich mich ab Kilometer 15 sehr schwach. Nach 46 Kilometern fühlte ich mich immer noch schlecht. Weil ich eine schwere Verletzung befürchtete brach ich diesen Wettkampf schweren Herzens ab, was ich im Nachhinein als große Leistung bewerte.

Einige Wochen nach diesem Wettkampf kam die befürchtete schwere Verletzung: Ich spürte ein Ziehen an der oberen Innenseite des rechten Knies. Mein Untermieter (Osteopath) machte zwei Tests und empfahl mir MRT wegen Verdacht auf Menikusriss. Der hintere Meniskus war gerissen, zusätzlich hatte ich ein Knochenmarködem. Mir wurde gesagt, dass der Knochen absterben kann, wenn ich diese Verletzung nicht ausheile. Ein anerkannter Knieoperateur empfahl mir eine konservative Behandlung. So ließ ich mich mit Akupunktur, Osteopathie und Stoßwellen behandeln. Um die Unsicherheit auszuhalten zu können, aus der Warteposition herauszukommen, dem Fiebern wann ich wieder mit dem Laufen beginnen kann hörte ich innerlich mit dem Laufen auf. Auch konnte mir keiner sagen, ob ich wieder so wie früher würde laufen können. Also hörte ich innerlich mit dem Laufen auf, um es vielleicht irgendwann wieder beginnen zu können und trauerte heftig, meine Familie litt mit.

Die ärztliche Prognose war, dass ich im allerbesten Fall nach 6 Monaten mit ersten Laufversuchen starten könne. In welchem Umfang stehe in den Sternen. Nach 3 Monaten forderten mich sämtliche Behandler auf, erste Laufversuche zu starten. Ein erneutes MRT attestierte mir eine vollständige Heilung des Knochenmarködems. Der Meniskus würde veröden, ich würde ihn manchmal wahrnehmen. Bei den ersten Laufversuchen spürte ich das Knie nach 5 Minuten laufen leicht, lief aber auch immer nur einige Minuten lang. Auch änderte ich meine Ernährung, vermied konsequenter entzündungsfördernde Nahrung wie Zucker, Weißmehl, Milchprodukte, Schweinefleisch. Und lernte Ying Chi, eine taoistische Bewegungsmeditation. Ein Element dieser Meditation stammt auf dem Kung Fu und stärkt Knochen, Bänder und Sehnen. Nach etlichen Fortbildungen in Sachen Psychotraumatherapie wollte ich einmal etwas für mich machen und eine Fortbildung mit dem Thema „Lebensenergie kultivieren“ erschien mir genau richtig, war es auch, ich profitiere enorm von dieser Fortbildung.

Im Frühjahr 2022 konnte ich die Distanzen ein wenig steigern auf 4 – 5 Kilometer. Ende 2022 war ich bei 10 Kilometern als längster Distanz. Mein Knie spürte ich gar nicht mehr, es sei denn ich übertrieb es. Im Laufe dieses Jahres steigerte ich allmählich die Distanz des Lalas (= langer Lauf) sowie die Wochenkilometer.

So schöpfte ich zu Beginn dieses Jahres Hoffnung auf eine Rückkehr in den Wettkampfsport, vermied es aber mir konkrete Ziele zu setzen, lebte läuferisch von Tag zu Tag, freute mich über jeden kleinen Erfolg. Der große läuferische Lebenstraum war natürlich die ganze Zeit präsent.

Bis April diesen Jahres pirschte ich mich an die 30 Kilometer als längster Distanz heran. Der Night52 sollte ein erster Härtetest sein, ein Versuchsballon, der zeigen sollte, was aktuell möglich ist, um bei Erfolg wieder größere Ziele anzusteuern.

Wettkampftag

Auf den Brettener Night52 habe ich nicht gezielt trainiert, hatte in der Woche vorher sehr viel Stress in der Praxis (Arbeit) gehabt, zu wenig geschlafen und unzureichend getapert, startete quasi aus so gut wie vollem Training heraus. Auch fand am Tag des Wettkampfes auf einem Familientreffen, wo sich der ganze Clan mütterlicherseits traf. Meiner Parkinsonerkrankten 87 jährigen Mutter war es sehr wichtig, dass ich dort erscheine.

Mein längster Lala im Flachen umfasste 43 Kilometer, in den Weinbergen war ich 32 Kilometer am Stück gelaufen. Insgesamt also suboptimale Voraussetzungen, genau so sollte man nicht zu einem 52 Kilometerlauf mit 800 Höhenmetern erscheinen, ich habe alles gemacht, was man nicht tun sollte. Auf der anderen Seite ist genau das der gewollte Härtetest. Zur Startzeit um 17.45 waren 34 Grad gemeldet. da ich grundsätzlich gegen 16.30 Uhr laufe, bin ich im Training meist bei Hitze gelaufen, habe diese trainiert. Höhepunkt war letzten Dienstag ein Tempolauf bei 35 Grad, auch bei diesem störte mich die Hitze nicht wirklich.

Gegen 16 Uhr verließ ich das 20 Fahrminuten vom Start entfernten Familientreffen, wurde von den Verwandten, die meine Lauferei immer noch nicht mitbekommen hatten, als verrückt erklärt, also nichts Neues.

Am Start war es wahnsinnig schwül, es wurde für den späteren Abend Regen angekündigt. Auch war es sehr voll und laut. Es fanden zahlreiche Kinderläufe statt.

Einige Minuten vor dem Start kommt der erste Regenguss, wodurch die Schwüle etwas abimmt. Ich wechsele ein paar Worte mit Ultraurgestein Udo, der mit seinen 70 Jahren noch einmal die 100 Meilen des Mauerweglaufes angehen will, dabei jeden Meter laufen absolvieren. Auch ist mein Nachbar Herrman am Start, er war mit seinen Mitte 60 Jahren vor einigen Wochen ältester Finnischer des 111 Kilometer langen Zugspitzenultralaufes, der ich glaube 5000 Höhenmeter hat. Ich trage natürlich eine kurze Hose, Kompressionssocken, als Sonnenschutz eine Mütze sowie meinen Umschnallgürtel. In diesem habe ich einige Gels, Salzkapseln sowie eine vom Veranstalter geforderte Trinkflasche befestigt.

Ich bin völlig verunsichert ob meiner Leistungsfähigkeit. Der Arbeitsstress der Woche, zu wenig Schlaf, und auch das Familienfest werden sich allerhöchstwahrscheinlich negativ auswirken. Auch bin ich unsicher ob meiner Ausdauerfährigkeit, ahne was gerade auf den letzten Kilometern auf mich zukommen dürfte. Meine Stimme auf der kurz vor dem Start Sprachnachricht klingt sehr angespannt, auch auf dem Vorherfoto sehe ich sehr angespannt und müde aus.

Erste Probleme gleich nach dem Start

Wie immer bei Ultras geht der Start ohne Highway to hell von AC/DC ziemlich unspektulär von statten. Wegen zwei Umleitungen, eine gleich in Bretten, eine in Großbillar sollen es diesmal insgesamt 53 Kilometer sein. Ich laufe mit Hermann los aus dem Stadion heraus. Nach einem Kilometer kommt die erste angekündigte Umleitung sowie die erste heftige Steigung am Ende von Bretten durch ein Wohngebiet. Wir haben 30 Grad, die Sonne kommt wieder hervor und lässt uns Läufer odentlich schwitzen. Schon in den ersten Kilometern löst sich die Flasche aus dem Gürtel. Ich befestige sie wieder. Rasch rutscht sie wieder. Also stütze ich sie mit meiner rechten Hand ab. „So kannst du doch nicht den ganzen Wettkampf laufen. Hättest du mal das Material bei einem Trainingslauf getestet. Schließlich ist das der erste Wettkampf seit zwei Jahren, Idiot, aber nein, der hohe Herr hat das scheinbar nicht nötig, jetzt sehe wie du damit zurecht kommst“. Ich höre meine innere Stimme, ärgere ich mich über mich selbst, bringt aber nichts, ich versuche die Flasche besser zu befestigen und laufe weiter. Ich fühle mich gut, laufe etwas zu schnell, deutlich schneller als 6 Minuten pro Kilometer und versuche mich einzubremsen was nur semioptimal gelingt. „Jetzt brems dich halt aus, Vollidiot, willst du dich schon hier abschießen?“ aber egal, hintenraus werde ich eh kämpfen müssen. Der Asphalt weicht einem Wiesenweg durch das wunderschöne Kraichgau. Man sieht Felder, Wiesen, Bäume und Hügel. Bei der zweiten Steigung schaffe ich es mich etwas abzubremsen, im Flachen und bergab lasse ich es laufen.

Nach 6 Kilometern laufen wir bergab nach Sprantal zur ersten Verpflegungsstation. Ich nehme etwas Wasser, knote meinen Gürtel auf und fester zu und laufe rasch ohne Hermann weiter. Gleich geht es noch im Dorf zur nächsten heftigen Steigung. Ich erreiche einen Läufer mit Milchpackung in der Hand. Er ist sehr stark schweißgetränkt. Für eine Weile laufen wir nebeneinander. Ich bin etwas verwundert ob seiner Milchpackung. „Trinkst du bei diesem Lauf wirklich Milch?“ frage ich ihn. Er antwortet, dass er sie mit Wasser gefüllt hat um sich abzukühlen. Er will sie über sein Gesicht schütten. Es geht weiterhin überwiegend bergauf unterbrochen von kurzen Gefällen und ebenen Wegstücken. Die ersten 10 Kilometer beende ich in 54 Minuten, das ist schnell, definitiv zu schnell.

Zu schnell?

Wir überqueren eine befahrene Straße, auf der anderen Seite stehen viele Jugendliche in ihrer Vereinskluft Spalier und feuern uns Läufer an. Etwas weiter in Bauschlott bei Kilometer 14 kommt die nächste Verpflegungsstation. Ich nehme Salzkapsel, 1 Gel, einiges Wasser. Gürtel wieder auf und fester zuknoten, Flasche hineinklemmen höre meine innere Stimme „Vollidiot“ und laufe weiter. Nach einem Biobauernhof kommt ein von Bäumen umsäumter Fischsee. Bald darauf geht es in den Wald, natürlich bergauf und nach einiger Zeit wieder bergab. Immer noch läuft es überraschend gut, das war bei meinen Trainingsläufen aber auch so und ganz plötzlich so meist bei ca 25 Kilometern ging ganz ohne Vorahnung plötzlich gar nichts mehr. Ich habe mich damit abgefunden ebene und abwärts verlaufende Wegstücke sehr schnell zu laufen, bei Steigungen bremse ich mich, ganz steile gehe ich. Den 20. Kilometer beende ich nach 1 Stunde und 52 Minuten.

Der Weg windet sich in Schlangenlinien durch das Tal. Dann geht es über die Straße zur Verpflegungsstelle 3 bei Knittlingen.

Temporäre Dyskalkulie

Als mentales Ziel setze ich mir Kilometer 30, weil dann habe ich ja nur noch 13 Kilometer so denke ich mir. Erst einige Zeit später dämmert es mir, dass ich mich verrechnet habe. „Bist du nicht mal mehr in der Lage gescheiht zu rechnen? Wenn du schon so fertig bist, dass du einfache 1.Klässler Aufgaben nicht mehr rechnen kannst, dann sieht es um deinen Zustand ja wohl sehr schlecht aus!“ Das ist mir bei Lala (Langen Läufen) im Training auch schon passiert. Laufen und Rechnen zugleich harmonieren bei mir einfach nicht. Laufend kann ich einfach nicht rechnen, bekomme für die Zeit des Laufs eine temporäre Dyskalkulie. Also ist mein nächstes mentales Ziel Kilometer 40 und nicht 30. Nach der Verpflegungsstation geht es, wie könnte es anders sein ein Stück steil bergauf. Ich gehe. Die Hauptsteigungen des Laufes befinden sich auf den ersten 15 Kilometern. Aber auch auf dem Rest der Strecke wird es bis zum Schluss Steigungen geben, das weiß ich noch von meiner letzten Teilnähme vor 3 Jahren. Sehr plötzlich verändert sich die Landschaft von Feldern und Bäumen in einen Weinpanoramaweg. Jetzt blicke ich von einem Hochweg ins Tal und sehr nur Weinreben. Ein Anblick den ich von meinen Trainingsläufen zu Hause in der Südpfalz gewöhnt bin. Vor drei Jahren wurde der Lauf früher gestartet, da saßen auf einer Bank mehrer Wein trinkende Menschen, die ins Tal und uns Läufer sahen. Dieses Mal ist es am Dämmern. in der Ferne sieht man dunkle Wolken, hört Donner und Blitze. Erst einmal egal, weiter laufen heißt die Devise.

Gewitter?

Jetzt kommt ein langer, flacher und gerader Weg. Ihm folge ich für einige Kilometer. Ein Gewitter kommt näher, ist aber noch weit genug weg. Ich laufe, mehr kann ich nicht machen. Natürlich sind die Beine etwas schwerer, aber immer noch geht es erstaunlich gut. Kurz vor Großvillars kommt die angekündigte Umleitung. Wir Läufer werden um das Dorffest geleitet. Nach einiger Zeit werden wir dennoch ins Dorf, an den Rand des Dorffestes geleitet. Hier ist die nächste Verpflegungstsation. Ich sehe sehr schlecht wenn ich müde bin, kann den Kilometerstand meiner Uhr nicht mehr erkennen. So bitte ich eine Helferin, mir diesen abzulesen: 39,2 Kilometer. Also noch etwa 14 Kilometer. Es ist jetzt ziemlich dunkel, die grünen Wegpfeile sind nicht mehr zu erkennen, also schalte ich meine Stirnlampe an. Da diese sehr stark ist, drehe ich sie weit nach unten, damit ich entgegenkommende Menschen und Fahrzeuge nicht blende.

Begegnung mit der eigenen Endlichkeit – schwer wird leicht was

Im meinem Körper ist eine zunehmende Schwere, vor allem in den Beinen, nach wie vor laufen diese aber überaschend gut. Ich bin immer noch unerwartet fit. In meinem Kopf ist Nebel, alles geht langsamer, das Denken fällt mir schwerer. Ich bin nicht mehr in jedem Moment voll anwesend. „Bist du sicher dass du keinen Pfeil verpasst hast? Das wäre Scheiße, wenn wir uns hier verliefen!“. In mir macht sich Unsicherheit breit. Also gehe ich und blicke mich um. Nach einigen Hundert Metern feuern mich andere Menschen an „Hopphopp, auf gehts, lauf weiter!“. „Wo gehts lang, bin ich richtig?“ frage ich. „Ja, geradeaus, dort vorne rechts und dann ganz lange gerade aus. In 10 Minuten wird es aber heftig regen“. „Ja Pech“ sage ich und fange wieder an zu laufen. Ich bin auf finishen programmiert und realisiere in diesem Moment nicht was uns da erwartet, bei Regen laufe ich oft, ist nass aber kein Problem für mich. Ich komme aber nicht auf die Idee dass ein gefährliches Gewitter kommen könnte, obwohl sich dieses ja schon seit einiger Zeit ankündigt.

Der Himmel ist Wolken übersäht schwarz, kein Mond und kein Stern ist zu sehen. Nach dem Abbiegen geht es leicht aufwärts aus dem Dorf heraus in eine Landschaft mit Feldern und Wiesen und vereinzelt stehenden Bäumen. Ich bin gerade dabei zwei Läufer zu überholen, als es plötzlich und ohne Vorwarnung in meiner direkten Nähe stürmt, blitzt und donnert. Regen prasselt gegen mein Gesicht, die Regentropfen fühlen sich wie Hagel an. Der Regen ist so stark, dass ich nichts sehen kann. Einige andere Läufer haben unter dem einzigen in der Nähe befindlichen großen Baum Schutz gesucht. Ab jetzt übernimmt mein Hirnstamm die Kontrolle. Ein altes evolutionäres Überlebensprogramm schaltet sich ein, eine Art Autopilot. Theoretisch weiß ich das aus meiner Tätigkeit als Psychotraumatherapeut, jetzt erlebe ich es selber. Das realisiere ich in diesem Moment nicht, ich bin viel zu beschäftigt. Die Müdigkeit ist nicht mehr vorhanden, mein Gehirn ist wach, jede Faser meines Seins ist schlagartig in heftigster Erregung und hochaktiv. Hauptfokus ist in diesem Moment ins Ziel kommen, Pfeile finden und überleben. Aus diesen Informationen trifft mein Autopilot die Entscheidung weiterlaufen.

Ich finde es nicht wirklich sicher unter diesem Baum. „Was machen wir jetzt?“ fragt einer der Läufer, den ich am Überholen war. „Ich laufe weiter!“ antworte ich. Für einige Hundert Meter geht der Weg über eine baumlose Steppe, dahinter kommt ein dunkler Wald. Hochkonzentriert blicken meine Augen bauf den Boden um ja keinen Pfeil zu verpassen. Der aufwärts führende Weg hat sich binnen Sekunden in einen reißenden Bach verwandelt, meine Schuhe und Füße, mein ganzer Körper sind sofort platsch nass. Ich laufe über die Steppe und suche die Blitze, noch sind sie nicht völlig nah. „Wenn du jetzt die falsche Entscheidung triffst, wird das wirklich dein Abschiedslauf, und du wirst ihn dann nicht einmal beenden,!“. Ich spüre in mich hinein, mein Gefühl sagt, dass es bis zum Ziel haarig wird, ich das aber heil überstehe. Dennoch hinterfrage ich die ganze übrige Zeit meine Entscheidung, habe Angst die falsche zu treffen, gehe ständig alle Alternativen durch, während ich mich zugleich durch den Regen kämpfe, mich nach Blitzen umblicke und nach den Pfeilen Ausschau halte.

Ich erreiche den Wald. Im Wald geht es -wie soll es anders sein- erst einmal aufwärts. Neben einem am Rand parkenden Auto steht eine Frau mit Regenschirm, die mich nach links lotst. Also biege ich nach links ab bis sie „Halt“ schreit. Ich war zu früh abgebogen und gerade dabei in mich Wald zu verlaufen und vom Weg ab zu kommen. Die Sicht ist so schlecht, dass ich das nicht erkenne und mich beinahe verlaufe und das in dieser Dunkelheit und ohne Handy „Der Hohe Herr hat es ja nicht nötig gehabt, das Handy mit zu nehmen, wenn wir uns jetzt verlaufen, haben wir ein großes Problem“. Ich bin viel zu konzentriert auf meine innere Stimme zu achten. Es geht nun abwärts, ich suche weiterhin nach Pfeilen, hinterfrage weiterhin meine Entscheidung und laufe so schnell es geht. Blitze erkenne ich keine, bin zu tief im dunklen Wald, höre aber nahen Donner.

Jetzt erreiche ich den Rand des Waldes, für eine Weile verläuft der Weg am Waldrand entlang, und wird dann in eine freie Baumarme Fläche münden. Dort blitzt und donnert es heftig. Ich blicke umher, die Blitze sind nah aber nicht zu nah. Mein Gefühl sagt laufen. Also laufe ich so schnell es geht aus dem Wald heraus den Weg die baumarme Wiese entlang. Blitze um mich herum, aber noch genug entfernt von mir. Aber schon nach kurzer Zeit auf der Ebene hört das Gewitter auf. Ich erreiche die letzte Verpflegungsstation namens Marienkapelle in Neibsheim. Die gesamte Standbesatzung ist stark durchnässt. Ich nehme ein Gel, 1 Salzkapsel und lasse meine Flasche halb mit Iso und halb mit Wasser füllen, bedanke mich und laufe weiter. Es geht auf einem unbefestigten Waldweg erst aufwärts und danach flach weiter. Er ist sehr durchmatscht, ich muss aufpassen nicht hinzufliegen, kann dadurch nicht so schnell laufen wie gewünscht. Der Regen hat nachgelassen und hört schließlich ganz auf. So schnell es geht will ich ins Ziel, die Gefahr ist noch nicht gebannt. Nach dem sehr matschigen Wegstück geht der Weg nach links, hoch und weniger matschig. Teils laufe ich ihn teils gehe ich. Nach der Steigung verläuft der Weg nun flach durch den Wald. Ich laufe so rasch es halt geht, ich weiß dass das Gewitter jederzeit wieder anfangen kann, Gefahr besteht weiterhin. Schließlich geht der Weg aus dem Wald heraus in eine Wiesen- Buschlandschaft. Dann kommt die -wie ich von vor drei Jahren weiß- letzte Steigung. Oben angelangt geht es kurz wieder abwärts und dann nach rechts. Vor drei Jahren war es hier direkt runter nach Bretten reingegangen. Ich laufe nach rechts. Nach ungefähr einem Kilometer geht es wieder nach links und schließlich den alten Weg runter nach Bretten. Während ich nach Bretten hereinlaufe sehe ich oben 4 Stirnlampen den Berg hinunter laufen.„Die Schweine kürzen ab! Ist doch egal, ihre Sache, aber wir behalten unsere Platzierung!“ Ich beschleunige auf den Brettener Straßen, die Stirnlampen sind verschwunden. Inzwischen denke ich sie kürzten nicht ab sondern liefen den Zusatzschlenker, bogen also rechts ab. Sie kommen einige Minuten nach mir ins Ziel. Es geht durch die Brettener Fußgängerzone. Diese ist menschenleer. Auf einer Uhr sehe ich, dass es 22.50 Uhr ist. Mein Herz macht einen Sprung, doch eine tolle Zeit. Am Ende der Fußgängerzone sitzen Menschen vor einer Kneipe und feuern mich an. Ich winke ihnen und laufe weiter. Es geht durch Gassen zwischen den Häusern hindurch, ich weiche den vorbeifahrenden Autos aus. Dann geht es an dem Wiesenstück entlang zur Brücke auf den Weg ins Stadion. Die Stadionrunde zum Ziel. Den letzten Kilometer laufe ich in 4:15 Min / km. Die Zielbefestigung ist weggeweht, sie liegt neben der Aschenbahn. Ich laufe über die rote Ziellinie nach 5 Stunden 9 Minuten und 31 Sekunden. Ich bekomme ich eine Medaille umgehängt. Sofort kommen zwei Organisatoren und zollen mir ihren Respekt. Wie ich höre wurden alle Verpflegungsstationen angewiesen, alle Läufer für die Dauer des Gewitters bei sich zu behalten. Direkt nach dem Zieleinlauf fängt es wieder an zu regen. Die Zielverpflegung wurde wegen des heftigen Gewitters verbunden mit dem starken Wind in die Überdachung verlegt. Ich trinke zwei Alkoholfreie Biere und lasse diesen Höllenritt Revue passieren. Nach 45 Minuten Fahrt bin ich wieder zu Hause, ich bin aber so aufgedreht, dass ich erst nach 3 Uhr einschlafe. Von 105 angemeldeten Läufern kamen 72 ins Ziel. Ich wurde Gesamtzehnter sowie Altersklassensieger.

Die Organisatoren haben meiner Meinung nach angemessen reagiert. Als das Gewitter losging, wurden alle Läufer angewiesen, bei den Verpflegungsstationen zu bleiben. Die Läufer wie ich, die zwischen den Verpflegungsstationen unterwegs waren waren auf sich alleine gestellt. Jeder Läufer ist für sich selber verantwortlich, zugleich ist er durch die Erschöpfung nur schwer in der Lage, klar und vernünftig zu denken. Hätte ich an der Verpflegungsstation bleiben sollen mit dem Wissen dass es bald regnet? Vielleicht, ich war aber zu stark auf rasch ins Ziel kommen programmiert. In meinem Universum kam ein gefährliches Gewitter nicht vor, das war das Problem. Ob ich bzw mein Autopilot noch einmal so handeln würde? Ich weiß es nicht. Vielleicht wird mein System das nächste Mal auf diese Erfahrung zurückgreifen und mich genau so handeln lassen. Vielleicht lässt es mich anders handeln. Wir werden sehen, ich denke eher letzteres. Diese Erfahrung hat mich aber tief berührt und beschäftigt mich.

Vom Ergebnis her bin ich super zufrieden, kann darauf aufbauen. Zudem bin ich zum ersten Mal Altersklassensieger geworden, das fühlt sich gut an. Und von der Zeit her bin ich 15 Minuten schneller als vor drei Jahren, wo die Strecke 1 Kilometer kürzer war. Meine Form kommt, jetzt kann ich an größere künftige läuferische Aufgaben denken.

Der Night52 war meiner Ansicht nach aus dieses Jahr gut organisiert, die Landschaft gefällt mir, wenn es passt komme ich gerne wieder.

Über Cornelius Knecht

Beruflich arbeite ich mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Das Laufen hilft mir den Kopf freizukriegen und neue Energien zu tanken. Ich liebe vor allem die langen, meditativen Läufe durch die Weinberge in der Südpfalz. Als Kind spendierte mir mein Vater immer ein Eis, wenn ich ihn zum Lauftreff begleitete. So kam es, dass ich im Alter von sieben Jahren mal einen 10 km Lauf in 56 Minuten absolvierte.
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