Dieser Abschnitt fasst die letzten 2 Jahre meiner läuferischen Lebenskrise zusammen und hat nichts mit dem Wettkampf direkt zu tun. Wer sich nur für den Wettkampf interessiert, kann diesen Abschnitt überspringen.
Der Night52 in Bretten ist der erste Wettkampf seit dem 3.7.2021. Ich musste meinen ersten 24h Lauf bei den Deutschen Meisterschaften nach knapp 5 Stunden abbrechen. Im Vorfeld wusste ich, sollte ich meine Leistung abrufen können, würde ich 200 Kilometer laufen können. Auch wusste ich dass das aller Wahrscheinlichkeit nach mindestens für das Podium, wenn nicht gar für den Titel des Deutschen Seniorenmeisters meiner Altersklasse reichen würde. Genau das war mein Plan. Wegen einer Borreliose war ich geschwächt, ging dennoch an den Start. Meine beiden Ärzte sahen kein Problem darin, weswegen ich auf Autoritäten hörte und nicht auf mein Gefühl achtete. Hätte ich auf mein Gefühl gehört, hätte ich nicht starten dürfen. Beim Wettkampf selber fühlte ich mich ab Kilometer 15 sehr schwach. Nach 46 Kilometern fühlte ich mich immer noch schlecht. Weil ich eine schwere Verletzung befürchtete brach ich diesen Wettkampf schweren Herzens ab, was ich im Nachhinein als große Leistung bewerte.
Einige Wochen nach diesem Wettkampf kam die befürchtete schwere Verletzung: Ich spürte ein Ziehen an der oberen Innenseite des rechten Knies. Mein Untermieter (Osteopath) machte zwei Tests und empfahl mir MRT wegen Verdacht auf Menikusriss. Der hintere Meniskus war gerissen, zusätzlich hatte ich ein Knochenmarködem. Mir wurde gesagt, dass der Knochen absterben kann, wenn ich diese Verletzung nicht ausheile. Ein anerkannter Knieoperateur empfahl mir eine konservative Behandlung. So ließ ich mich mit Akupunktur, Osteopathie und Stoßwellen behandeln. Um die Unsicherheit auszuhalten zu können, aus der Warteposition herauszukommen, dem Fiebern wann ich wieder mit dem Laufen beginnen kann hörte ich innerlich mit dem Laufen auf. Auch konnte mir keiner sagen, ob ich wieder so wie früher würde laufen können. Also hörte ich innerlich mit dem Laufen auf, um es vielleicht irgendwann wieder beginnen zu können und trauerte heftig, meine Familie litt mit.
Die ärztliche Prognose war, dass ich im allerbesten Fall nach 6 Monaten mit ersten Laufversuchen starten könne. In welchem Umfang stehe in den Sternen. Nach 3 Monaten forderten mich sämtliche Behandler auf, erste Laufversuche zu starten. Ein erneutes MRT attestierte mir eine vollständige Heilung des Knochenmarködems. Der Meniskus würde veröden, ich würde ihn manchmal wahrnehmen. Bei den ersten Laufversuchen spürte ich das Knie nach 5 Minuten laufen leicht, lief aber auch immer nur einige Minuten lang. Auch änderte ich meine Ernährung, vermied konsequenter entzündungsfördernde Nahrung wie Zucker, Weißmehl, Milchprodukte, Schweinefleisch. Und lernte Ying Chi, eine taoistische Bewegungsmeditation. Ein Element dieser Meditation stammt auf dem Kung Fu und stärkt Knochen, Bänder und Sehnen. Nach etlichen Fortbildungen in Sachen Psychotraumatherapie wollte ich einmal etwas für mich machen und eine Fortbildung mit dem Thema „Lebensenergie kultivieren“ erschien mir genau richtig, war es auch, ich profitiere enorm von dieser Fortbildung.
Im Frühjahr 2022 konnte ich die Distanzen ein wenig steigern auf 4 – 5 Kilometer. Ende 2022 war ich bei 10 Kilometern als längster Distanz. Mein Knie spürte ich gar nicht mehr, es sei denn ich übertrieb es. Im Laufe dieses Jahres steigerte ich allmählich die Distanz des Lalas (= langer Lauf) sowie die Wochenkilometer.
So schöpfte ich zu Beginn dieses Jahres Hoffnung auf eine Rückkehr in den Wettkampfsport, vermied es aber mir konkrete Ziele zu setzen, lebte läuferisch von Tag zu Tag, freute mich über jeden kleinen Erfolg. Der große läuferische Lebenstraum war natürlich die ganze Zeit präsent.
Bis April diesen Jahres pirschte ich mich an die 30 Kilometer als längster Distanz heran. Der Night52 sollte ein erster Härtetest sein, ein Versuchsballon, der zeigen sollte, was aktuell möglich ist, um bei Erfolg wieder größere Ziele anzusteuern.
Wettkampftag
Auf den Brettener Night52 habe ich nicht gezielt trainiert, hatte in der Woche vorher sehr viel Stress in der Praxis (Arbeit) gehabt, zu wenig geschlafen und unzureichend getapert, startete quasi aus so gut wie vollem Training heraus. Auch fand am Tag des Wettkampfes auf einem Familientreffen, wo sich der ganze Clan mütterlicherseits traf. Meiner Parkinsonerkrankten 87 jährigen Mutter war es sehr wichtig, dass ich dort erscheine.
Mein längster Lala im Flachen umfasste 43 Kilometer, in den Weinbergen war ich 32 Kilometer am Stück gelaufen. Insgesamt also suboptimale Voraussetzungen, genau so sollte man nicht zu einem 52 Kilometerlauf mit 800 Höhenmetern erscheinen, ich habe alles gemacht, was man nicht tun sollte. Auf der anderen Seite ist genau das der gewollte Härtetest. Zur Startzeit um 17.45 waren 34 Grad gemeldet. da ich grundsätzlich gegen 16.30 Uhr laufe, bin ich im Training meist bei Hitze gelaufen, habe diese trainiert. Höhepunkt war letzten Dienstag ein Tempolauf bei 35 Grad, auch bei diesem störte mich die Hitze nicht wirklich.
Gegen 16 Uhr verließ ich das 20 Fahrminuten vom Start entfernten Familientreffen, wurde von den Verwandten, die meine Lauferei immer noch nicht mitbekommen hatten, als verrückt erklärt, also nichts Neues.
Am Start war es wahnsinnig schwül, es wurde für den späteren Abend Regen angekündigt. Auch war es sehr voll und laut. Es fanden zahlreiche Kinderläufe statt.
Einige Minuten vor dem Start kommt der erste Regenguss, wodurch die Schwüle etwas abimmt. Ich wechsele ein paar Worte mit Ultraurgestein Udo, der mit seinen 70 Jahren noch einmal die 100 Meilen des Mauerweglaufes angehen will, dabei jeden Meter laufen absolvieren. Auch ist mein Nachbar Herrman am Start, er war mit seinen Mitte 60 Jahren vor einigen Wochen ältester Finnischer des 111 Kilometer langen Zugspitzenultralaufes, der ich glaube 5000 Höhenmeter hat. Ich trage natürlich eine kurze Hose, Kompressionssocken, als Sonnenschutz eine Mütze sowie meinen Umschnallgürtel. In diesem habe ich einige Gels, Salzkapseln sowie eine vom Veranstalter geforderte Trinkflasche befestigt.
Ich bin völlig verunsichert ob meiner Leistungsfähigkeit. Der Arbeitsstress der Woche, zu wenig Schlaf, und auch das Familienfest werden sich allerhöchstwahrscheinlich negativ auswirken. Auch bin ich unsicher ob meiner Ausdauerfährigkeit, ahne was gerade auf den letzten Kilometern auf mich zukommen dürfte. Meine Stimme auf der kurz vor dem Start Sprachnachricht klingt sehr angespannt, auch auf dem Vorherfoto sehe ich sehr angespannt und müde aus.
Erste Probleme gleich nach dem Start
Wie immer bei Ultras geht der Start ohne Highway to hell von AC/DC ziemlich unspektulär von statten. Wegen zwei Umleitungen, eine gleich in Bretten, eine in Großbillar sollen es diesmal insgesamt 53 Kilometer sein. Ich laufe mit Hermann los aus dem Stadion heraus. Nach einem Kilometer kommt die erste angekündigte Umleitung sowie die erste heftige Steigung am Ende von Bretten durch ein Wohngebiet. Wir haben 30 Grad, die Sonne kommt wieder hervor und lässt uns Läufer odentlich schwitzen. Schon in den ersten Kilometern löst sich die Flasche aus dem Gürtel. Ich befestige sie wieder. Rasch rutscht sie wieder. Also stütze ich sie mit meiner rechten Hand ab. „So kannst du doch nicht den ganzen Wettkampf laufen. Hättest du mal das Material bei einem Trainingslauf getestet. Schließlich ist das der erste Wettkampf seit zwei Jahren, Idiot, aber nein, der hohe Herr hat das scheinbar nicht nötig, jetzt sehe wie du damit zurecht kommst“. Ich höre meine innere Stimme, ärgere ich mich über mich selbst, bringt aber nichts, ich versuche die Flasche besser zu befestigen und laufe weiter. Ich fühle mich gut, laufe etwas zu schnell, deutlich schneller als 6 Minuten pro Kilometer und versuche mich einzubremsen was nur semioptimal gelingt. „Jetzt brems dich halt aus, Vollidiot, willst du dich schon hier abschießen?“ aber egal, hintenraus werde ich eh kämpfen müssen. Der Asphalt weicht einem Wiesenweg durch das wunderschöne Kraichgau. Man sieht Felder, Wiesen, Bäume und Hügel. Bei der zweiten Steigung schaffe ich es mich etwas abzubremsen, im Flachen und bergab lasse ich es laufen.
Nach 6 Kilometern laufen wir bergab nach Sprantal zur ersten Verpflegungsstation. Ich nehme etwas Wasser, knote meinen Gürtel auf und fester zu und laufe rasch ohne Hermann weiter. Gleich geht es noch im Dorf zur nächsten heftigen Steigung. Ich erreiche einen Läufer mit Milchpackung in der Hand. Er ist sehr stark schweißgetränkt. Für eine Weile laufen wir nebeneinander. Ich bin etwas verwundert ob seiner Milchpackung. „Trinkst du bei diesem Lauf wirklich Milch?“ frage ich ihn. Er antwortet, dass er sie mit Wasser gefüllt hat um sich abzukühlen. Er will sie über sein Gesicht schütten. Es geht weiterhin überwiegend bergauf unterbrochen von kurzen Gefällen und ebenen Wegstücken. Die ersten 10 Kilometer beende ich in 54 Minuten, das ist schnell, definitiv zu schnell.
Zu schnell?
Wir überqueren eine befahrene Straße, auf der anderen Seite stehen viele Jugendliche in ihrer Vereinskluft Spalier und feuern uns Läufer an. Etwas weiter in Bauschlott bei Kilometer 14 kommt die nächste Verpflegungsstation. Ich nehme Salzkapsel, 1 Gel, einiges Wasser. Gürtel wieder auf und fester zuknoten, Flasche hineinklemmen höre meine innere Stimme „Vollidiot“ und laufe weiter. Nach einem Biobauernhof kommt ein von Bäumen umsäumter Fischsee. Bald darauf geht es in den Wald, natürlich bergauf und nach einiger Zeit wieder bergab. Immer noch läuft es überraschend gut, das war bei meinen Trainingsläufen aber auch so und ganz plötzlich so meist bei ca 25 Kilometern ging ganz ohne Vorahnung plötzlich gar nichts mehr. Ich habe mich damit abgefunden ebene und abwärts verlaufende Wegstücke sehr schnell zu laufen, bei Steigungen bremse ich mich, ganz steile gehe ich. Den 20. Kilometer beende ich nach 1 Stunde und 52 Minuten.
Der Weg windet sich in Schlangenlinien durch das Tal. Dann geht es über die Straße zur Verpflegungsstelle 3 bei Knittlingen.
Temporäre Dyskalkulie
Als mentales Ziel setze ich mir Kilometer 30, weil dann habe ich ja nur noch 13 Kilometer so denke ich mir. Erst einige Zeit später dämmert es mir, dass ich mich verrechnet habe. „Bist du nicht mal mehr in der Lage gescheiht zu rechnen? Wenn du schon so fertig bist, dass du einfache 1.Klässler Aufgaben nicht mehr rechnen kannst, dann sieht es um deinen Zustand ja wohl sehr schlecht aus!“ Das ist mir bei Lala (Langen Läufen) im Training auch schon passiert. Laufen und Rechnen zugleich harmonieren bei mir einfach nicht. Laufend kann ich einfach nicht rechnen, bekomme für die Zeit des Laufs eine temporäre Dyskalkulie. Also ist mein nächstes mentales Ziel Kilometer 40 und nicht 30. Nach der Verpflegungsstation geht es, wie könnte es anders sein ein Stück steil bergauf. Ich gehe. Die Hauptsteigungen des Laufes befinden sich auf den ersten 15 Kilometern. Aber auch auf dem Rest der Strecke wird es bis zum Schluss Steigungen geben, das weiß ich noch von meiner letzten Teilnähme vor 3 Jahren. Sehr plötzlich verändert sich die Landschaft von Feldern und Bäumen in einen Weinpanoramaweg. Jetzt blicke ich von einem Hochweg ins Tal und sehr nur Weinreben. Ein Anblick den ich von meinen Trainingsläufen zu Hause in der Südpfalz gewöhnt bin. Vor drei Jahren wurde der Lauf früher gestartet, da saßen auf einer Bank mehrer Wein trinkende Menschen, die ins Tal und uns Läufer sahen. Dieses Mal ist es am Dämmern. in der Ferne sieht man dunkle Wolken, hört Donner und Blitze. Erst einmal egal, weiter laufen heißt die Devise.
Gewitter?
Jetzt kommt ein langer, flacher und gerader Weg. Ihm folge ich für einige Kilometer. Ein Gewitter kommt näher, ist aber noch weit genug weg. Ich laufe, mehr kann ich nicht machen. Natürlich sind die Beine etwas schwerer, aber immer noch geht es erstaunlich gut. Kurz vor Großvillars kommt die angekündigte Umleitung. Wir Läufer werden um das Dorffest geleitet. Nach einiger Zeit werden wir dennoch ins Dorf, an den Rand des Dorffestes geleitet. Hier ist die nächste Verpflegungstsation. Ich sehe sehr schlecht wenn ich müde bin, kann den Kilometerstand meiner Uhr nicht mehr erkennen. So bitte ich eine Helferin, mir diesen abzulesen: 39,2 Kilometer. Also noch etwa 14 Kilometer. Es ist jetzt ziemlich dunkel, die grünen Wegpfeile sind nicht mehr zu erkennen, also schalte ich meine Stirnlampe an. Da diese sehr stark ist, drehe ich sie weit nach unten, damit ich entgegenkommende Menschen und Fahrzeuge nicht blende.
Begegnung mit der eigenen Endlichkeit – schwer wird leicht was
Im meinem Körper ist eine zunehmende Schwere, vor allem in den Beinen, nach wie vor laufen diese aber überaschend gut. Ich bin immer noch unerwartet fit. In meinem Kopf ist Nebel, alles geht langsamer, das Denken fällt mir schwerer. Ich bin nicht mehr in jedem Moment voll anwesend. „Bist du sicher dass du keinen Pfeil verpasst hast? Das wäre Scheiße, wenn wir uns hier verliefen!“. In mir macht sich Unsicherheit breit. Also gehe ich und blicke mich um. Nach einigen Hundert Metern feuern mich andere Menschen an „Hopphopp, auf gehts, lauf weiter!“. „Wo gehts lang, bin ich richtig?“ frage ich. „Ja, geradeaus, dort vorne rechts und dann ganz lange gerade aus. In 10 Minuten wird es aber heftig regen“. „Ja Pech“ sage ich und fange wieder an zu laufen. Ich bin auf finishen programmiert und realisiere in diesem Moment nicht was uns da erwartet, bei Regen laufe ich oft, ist nass aber kein Problem für mich. Ich komme aber nicht auf die Idee dass ein gefährliches Gewitter kommen könnte, obwohl sich dieses ja schon seit einiger Zeit ankündigt.
Der Himmel ist Wolken übersäht schwarz, kein Mond und kein Stern ist zu sehen. Nach dem Abbiegen geht es leicht aufwärts aus dem Dorf heraus in eine Landschaft mit Feldern und Wiesen und vereinzelt stehenden Bäumen. Ich bin gerade dabei zwei Läufer zu überholen, als es plötzlich und ohne Vorwarnung in meiner direkten Nähe stürmt, blitzt und donnert. Regen prasselt gegen mein Gesicht, die Regentropfen fühlen sich wie Hagel an. Der Regen ist so stark, dass ich nichts sehen kann. Einige andere Läufer haben unter dem einzigen in der Nähe befindlichen großen Baum Schutz gesucht. Ab jetzt übernimmt mein Hirnstamm die Kontrolle. Ein altes evolutionäres Überlebensprogramm schaltet sich ein, eine Art Autopilot. Theoretisch weiß ich das aus meiner Tätigkeit als Psychotraumatherapeut, jetzt erlebe ich es selber. Das realisiere ich in diesem Moment nicht, ich bin viel zu beschäftigt. Die Müdigkeit ist nicht mehr vorhanden, mein Gehirn ist wach, jede Faser meines Seins ist schlagartig in heftigster Erregung und hochaktiv. Hauptfokus ist in diesem Moment ins Ziel kommen, Pfeile finden und überleben. Aus diesen Informationen trifft mein Autopilot die Entscheidung weiterlaufen.
Ich finde es nicht wirklich sicher unter diesem Baum. „Was machen wir jetzt?“ fragt einer der Läufer, den ich am Überholen war. „Ich laufe weiter!“ antworte ich. Für einige Hundert Meter geht der Weg über eine baumlose Steppe, dahinter kommt ein dunkler Wald. Hochkonzentriert blicken meine Augen bauf den Boden um ja keinen Pfeil zu verpassen. Der aufwärts führende Weg hat sich binnen Sekunden in einen reißenden Bach verwandelt, meine Schuhe und Füße, mein ganzer Körper sind sofort platsch nass. Ich laufe über die Steppe und suche die Blitze, noch sind sie nicht völlig nah. „Wenn du jetzt die falsche Entscheidung triffst, wird das wirklich dein Abschiedslauf, und du wirst ihn dann nicht einmal beenden,!“. Ich spüre in mich hinein, mein Gefühl sagt, dass es bis zum Ziel haarig wird, ich das aber heil überstehe. Dennoch hinterfrage ich die ganze übrige Zeit meine Entscheidung, habe Angst die falsche zu treffen, gehe ständig alle Alternativen durch, während ich mich zugleich durch den Regen kämpfe, mich nach Blitzen umblicke und nach den Pfeilen Ausschau halte.
Ich erreiche den Wald. Im Wald geht es -wie soll es anders sein- erst einmal aufwärts. Neben einem am Rand parkenden Auto steht eine Frau mit Regenschirm, die mich nach links lotst. Also biege ich nach links ab bis sie „Halt“ schreit. Ich war zu früh abgebogen und gerade dabei in mich Wald zu verlaufen und vom Weg ab zu kommen. Die Sicht ist so schlecht, dass ich das nicht erkenne und mich beinahe verlaufe und das in dieser Dunkelheit und ohne Handy „Der Hohe Herr hat es ja nicht nötig gehabt, das Handy mit zu nehmen, wenn wir uns jetzt verlaufen, haben wir ein großes Problem“. Ich bin viel zu konzentriert auf meine innere Stimme zu achten. Es geht nun abwärts, ich suche weiterhin nach Pfeilen, hinterfrage weiterhin meine Entscheidung und laufe so schnell es geht. Blitze erkenne ich keine, bin zu tief im dunklen Wald, höre aber nahen Donner.
Jetzt erreiche ich den Rand des Waldes, für eine Weile verläuft der Weg am Waldrand entlang, und wird dann in eine freie Baumarme Fläche münden. Dort blitzt und donnert es heftig. Ich blicke umher, die Blitze sind nah aber nicht zu nah. Mein Gefühl sagt laufen. Also laufe ich so schnell es geht aus dem Wald heraus den Weg die baumarme Wiese entlang. Blitze um mich herum, aber noch genug entfernt von mir. Aber schon nach kurzer Zeit auf der Ebene hört das Gewitter auf. Ich erreiche die letzte Verpflegungsstation namens Marienkapelle in Neibsheim. Die gesamte Standbesatzung ist stark durchnässt. Ich nehme ein Gel, 1 Salzkapsel und lasse meine Flasche halb mit Iso und halb mit Wasser füllen, bedanke mich und laufe weiter. Es geht auf einem unbefestigten Waldweg erst aufwärts und danach flach weiter. Er ist sehr durchmatscht, ich muss aufpassen nicht hinzufliegen, kann dadurch nicht so schnell laufen wie gewünscht. Der Regen hat nachgelassen und hört schließlich ganz auf. So schnell es geht will ich ins Ziel, die Gefahr ist noch nicht gebannt. Nach dem sehr matschigen Wegstück geht der Weg nach links, hoch und weniger matschig. Teils laufe ich ihn teils gehe ich. Nach der Steigung verläuft der Weg nun flach durch den Wald. Ich laufe so rasch es halt geht, ich weiß dass das Gewitter jederzeit wieder anfangen kann, Gefahr besteht weiterhin. Schließlich geht der Weg aus dem Wald heraus in eine Wiesen- Buschlandschaft. Dann kommt die -wie ich von vor drei Jahren weiß- letzte Steigung. Oben angelangt geht es kurz wieder abwärts und dann nach rechts. Vor drei Jahren war es hier direkt runter nach Bretten reingegangen. Ich laufe nach rechts. Nach ungefähr einem Kilometer geht es wieder nach links und schließlich den alten Weg runter nach Bretten. Während ich nach Bretten hereinlaufe sehe ich oben 4 Stirnlampen den Berg hinunter laufen.„Die Schweine kürzen ab! Ist doch egal, ihre Sache, aber wir behalten unsere Platzierung!“ Ich beschleunige auf den Brettener Straßen, die Stirnlampen sind verschwunden. Inzwischen denke ich sie kürzten nicht ab sondern liefen den Zusatzschlenker, bogen also rechts ab. Sie kommen einige Minuten nach mir ins Ziel. Es geht durch die Brettener Fußgängerzone. Diese ist menschenleer. Auf einer Uhr sehe ich, dass es 22.50 Uhr ist. Mein Herz macht einen Sprung, doch eine tolle Zeit. Am Ende der Fußgängerzone sitzen Menschen vor einer Kneipe und feuern mich an. Ich winke ihnen und laufe weiter. Es geht durch Gassen zwischen den Häusern hindurch, ich weiche den vorbeifahrenden Autos aus. Dann geht es an dem Wiesenstück entlang zur Brücke auf den Weg ins Stadion. Die Stadionrunde zum Ziel. Den letzten Kilometer laufe ich in 4:15 Min / km. Die Zielbefestigung ist weggeweht, sie liegt neben der Aschenbahn. Ich laufe über die rote Ziellinie nach 5 Stunden 9 Minuten und 31 Sekunden. Ich bekomme ich eine Medaille umgehängt. Sofort kommen zwei Organisatoren und zollen mir ihren Respekt. Wie ich höre wurden alle Verpflegungsstationen angewiesen, alle Läufer für die Dauer des Gewitters bei sich zu behalten. Direkt nach dem Zieleinlauf fängt es wieder an zu regen. Die Zielverpflegung wurde wegen des heftigen Gewitters verbunden mit dem starken Wind in die Überdachung verlegt. Ich trinke zwei Alkoholfreie Biere und lasse diesen Höllenritt Revue passieren. Nach 45 Minuten Fahrt bin ich wieder zu Hause, ich bin aber so aufgedreht, dass ich erst nach 3 Uhr einschlafe. Von 105 angemeldeten Läufern kamen 72 ins Ziel. Ich wurde Gesamtzehnter sowie Altersklassensieger.
Die Organisatoren haben meiner Meinung nach angemessen reagiert. Als das Gewitter losging, wurden alle Läufer angewiesen, bei den Verpflegungsstationen zu bleiben. Die Läufer wie ich, die zwischen den Verpflegungsstationen unterwegs waren waren auf sich alleine gestellt. Jeder Läufer ist für sich selber verantwortlich, zugleich ist er durch die Erschöpfung nur schwer in der Lage, klar und vernünftig zu denken. Hätte ich an der Verpflegungsstation bleiben sollen mit dem Wissen dass es bald regnet? Vielleicht, ich war aber zu stark auf rasch ins Ziel kommen programmiert. In meinem Universum kam ein gefährliches Gewitter nicht vor, das war das Problem. Ob ich bzw mein Autopilot noch einmal so handeln würde? Ich weiß es nicht. Vielleicht wird mein System das nächste Mal auf diese Erfahrung zurückgreifen und mich genau so handeln lassen. Vielleicht lässt es mich anders handeln. Wir werden sehen, ich denke eher letzteres. Diese Erfahrung hat mich aber tief berührt und beschäftigt mich.
Vom Ergebnis her bin ich super zufrieden, kann darauf aufbauen. Zudem bin ich zum ersten Mal Altersklassensieger geworden, das fühlt sich gut an. Und von der Zeit her bin ich 15 Minuten schneller als vor drei Jahren, wo die Strecke 1 Kilometer kürzer war. Meine Form kommt, jetzt kann ich an größere künftige läuferische Aufgaben denken.
Der Night52 war meiner Ansicht nach aus dieses Jahr gut organisiert, die Landschaft gefällt mir, wenn es passt komme ich gerne wieder.
Ich laufe über die Brücke an den Toiletten vorbei zu unserem Pavillon. Zielstrebig laufe ich zum Stuhl, den ich mit den Worten „damit ich ihn nicht brauche nehmen wir ihn mit“ eingepackt hatte, setze mich, vergrabe mein Gesicht im Handtuch um allein zu sein. Mein Kopf will es noch nicht wahrhaben, was der ganze Rest meines Seins längst weiß…
…..aber es kann nicht sein was nicht sein darf, also stehe ich nach einer kurzen Weile wieder auf und laufe weiter….
Vorgeschichte
„Albert ich habe am Knie einen roten Kreis, kannst du mal nachsehen?“ Albert, Nachbar und Allgemeinarzt, sieht es sich an. „Hm einen Rand hat es nicht, wir beobachten es, wenn es größer wird und heiß, dann ist es ein Erythma Migrans, dann brauchen wir ein Antibiotikum, was man 20 Tage nehmen muss, wenn es in den nächsten Tagen nicht weggeht musst du es mir erneut zeigen“.
Es kann nicht sein was nicht sein darf, also trainiere ich weiter, absolviere die letzten 2 Tage meiner 200 Kilometer Trainingswoche. Bei meiner letzten harten Einheit, einer 70 Kilometerrunde muss ich die letzten 20 Kilometer kämpfen, bewältige sie aber. Ich gebe dem Kämpfen bei der 70 Kilometer Einheit keine Bedeutung, weil ich durch die vielen Wochenkilometer natürlich müde bin. Das ist auch beabsichtigt, da ich bei dem 24 h Lauf auch größtenteils bei zunehmender Erschöpfung laufen werde. Zum ersten Mal seit ich laufe musste ich mich auf den letzten 2 Kilometern der 70er Runde übergeben. Ab Kilometer 40 war mir schlecht, nahm ab da nur noch Wasser zu mir. Florian spricht von zu vielen Kohlenhydraten, sagt dass die 60 g pro Stunde für Iron – Man Wettkämpfe gelten aber nicht für die eher langsamen Ultraläufe. Dennoch bleiben Unsicherheiten. Bei überlangen Läufen wird der Magen zu wenig durchblutet wodurch es zu Übelkeit und Übergeben kommen kann. Ich hatte gedacht ernährungsmäßig mit einem eigentlich sehr verträglichen Produkt in diesem Bereich keine Probleme zu haben….
3 Tage später zeige ich Albert wieder die rote Stelle, sie ist größer geworden und innen heiß. Er sieht es sich an, tastet und spricht von einer Borreliose, was bedeutet, dass ich 20 Tage lang ein Antibiotikum nehmen muss. „Übernächstes Wochenende sind die 24 h DM, kann ich da laufen?“. „Wenn du ansonsten fit bist und dich gut fühlst schon, Risiko besteht dann keins!“.
Das folgende Wochenende liege ich wegen starker Schwäche 3 Tage im Bett und laufe in den dann folgenden Tagen fast nicht und nur sehr langsam. Im Lauf der dann folgenden Tage fühle ich mich allmählich wieder besser, Mittwoch Abend gut, also starten wir das Abenteuer.
Wettkampf
Da sich in Deutschland pandemiebedingt kein Ausrichter fand, wurden die Veranstalter in der Steiermark, Bad Blumau gefragt, parallel zu den dort stattfindenden österreichischen und steirischen Meisterschaften die Deutschen Meisterschaften auszurichten. Um daran teilnehmen zu dürfen, muss man sich nicht qualifizieren, man muss in einem Verein aktiv sein und einen Startpass haben. Durch erreichen der WM – Norm kann man sich bei den DM für die Teilnahme bei einer Weltmeisterschaft qualifizieren. Meines Wissens liegt die Norm bei 230 Kilometer. Jedoch wurden die Weltmeisterschaften dieses Jahr pandemiebedingt abgesagt.
Am Donnerstag reisen wir an und besichtigen das Areal. Direkt hinter einer Brücke beginnt ein gesplitteter Weg neben einem Bach mit Wiese, Büschen und Bäumen. Unter dem größten Baum bauen wir unser Pavillon auf. Da es sehr heiß werden soll bleibt es da schattig kühl.
Bei der Startnummernabholung treffen wir auf Hannes Kranixfeld, den sympathischen österreichischen Ultraläufer und Organisator des Sommeralm – Marathons, an dessen letztmaliger Durchführung ich teilnehmen durfte. Nach einer größeren Verletzung hat er eine OP hinter sich, kann aber immerhin wieder ohne Krücken gehen.
Jeder Athlet und jeder Supporter muss einen negativen Test vorweisen, geimpft sein oder genesen, was genau kontrolliert wird. Jeder Kontrollierte bekommt ein Band, nur mit diesem Band darf man aufs Gelände.
Start
Am unserem Pavilion sind Ersatzkleider, verschiedene Mützen, Regenjacke, Gel und Flüssigkohlenhydrate, Salzkapseln und mein Fotoapparat deponiert. Mitgenommen habe ich eine regendichte Kappe, 2 Kappen zum Schutz vor Sonne sowie eine Hitzekappe. Zum Start habe ich eine meiner beiden Sonnenschutzkappen an, als Understatement ein altes Kandelmarathonshirt meines ersten Marathons sowie kurze Hosen und Kompressionsstrümpfe.
Von meinem 200 – Kilometerziel bin ich abgerückt, zu unsicher bin ich ob meiner Form. Deswegen will ich mich nicht unnötig unter Druck setzen. Ich will kämpfen und es nehmen wie es kommt. Parallel findet auf der Strecke seit 2 Stunden der ich glaube dritte Marathon der Veranstaltung „10 Marathons in 10 Tagen“ statt. Ich frage mich wer verrückter ist, die Marathonläufer dieser Veranstaltung oder wir 24 h Läufer, finde aber keine Antwort.
Als gefühlter Durchschnittsläufer macht es mich sehr nervös mit solchen Spitzenathleten wie Florian Reus, Stu Thoms und Marika Heinlein am Start zu stehen. Entsprechend stark aufgeregt bin ich.
Gestartet wird wegen des schon laufenden Marathons auf einem Zufahrtsweg auf die 1181 Meter lange Runde mit 2 Höhenmetern pro Runde.
Bei der Startaufstellung stelle ich mich in etwa in die Mitte des Starterfeldes. Im letzten Moment stellt sich Florian Reus neben mich. Wir begrüßen uns und plaudern kurz und sogleich geht der Start wie immer bei Ultraläufen ziemlich unspektakulär von statten. Florian zieht mit seinem Vereinskameraden davon. Die übergroße Nervosität, die Zentnerlasten auf meinen Schultern lösen sich, das Warten hat ein Ende. Ich laufe los und pendle mich rasch auf einem etwas Schnitt von etwas langsamer als 6 Minuten pro Kilometer ein.
Direkt nach dem Start geht es nach 50 Metern auf die eigentliche Strecke durch ein großes Zelt, in dem Verpflegung für die Läufer untergebracht ist. Dann weiter die Zufahrtsstraße zum Vereinsgelände neben dem Fußballplatz entlang rechts über eine Brücke. an der wunderschöne Blumen an den Geländern angebracht.
Die Straße geht weiter durch Bad Blumau vorbei an wunderschönen Höfen, Häusern und Gärten. Auf der Terrasse eines neu eröffneten Restaurants sitzen Leute auf den Stühlen und sehen uns Läufern zu. Nach dem Restaurant ist an der Straße eine Schlauchdusche angebracht. Diese wird später regen Gebrauch finden. Teilweise stehen Läufer Schlange für eine kurze kühle Dusche. Irgendwann geht es zwischen zwei Häusern nach rechts auf einen Splittweg zur gebogenen Brücke. Noch ist sie ziemlich mühelos zu überqueren, aber es ist abzusehen, dass sich das im Laufe der Zeit ändern wird. Nach der Brücke kommen Toiletten. Wir Läufer biegen direkt vor den Toiletten rechts ab und laufen neben dem Bach den Weg entlang zurück zum Start. Rechts vom Weg sind hohe Büsche und Bäume, auf der linken Seite sind nur wenige Bäume, dafür eine große Wiese, die mit unzähligen Zelten und Pavillons der Helfer und Supporter übersäht ist.
In einem anderen Pavillon sehe ich einen Reiskocher stehen. Es geht hier zu wie auf einem Rummelplatz, überall andere Gerüche, ein Gewusel und Gewimmel, überall gehen stehen und sitzen andere Menschen supporten, fiebern essen, ziehen sich um, fotografieren oder laufen, kurz es herrscht eine besondere Atmosphäre auf dem Gelände.
Aus manchen Zelten kommt Musik, ein Italiener spielt und singt mit Gitarre, von woanders kommt Deutschrock. Noch genieße ich die Musik, erfahrungsgemäß wird sie sich bei zunehmender Ermüdung für mich in störenden Lärm verwandeln. Es wird die gleiche Musik sein, nur verändert sich meine Wahrnehmung derselben.
Der Weg macht einen Schlenker nach links zur elektrischen Rundenerfassung.
Zehn Meter weiter kann man auf einem großen Bildschirm seinen Namen sehen. neben Namen und Startnummer erscheinen Rang und Position, was was bedeutet ist mir nicht ersichtlich. Nach dem Bildschirm geht es wieder nach rechts durch das große Verpflegungszelt zu einer neuen Runde. Diese ist 1181 Meter lang.
Neben dem Marathon findet parallel auch ein 6 h Lauf statt. Bei allen Wettbewerben nehme einige eher übergewichtige Läufer teil, die den jeweiligen Wettbewerb wandernd bestreiten. Sie wandern oft zu zweit, teilweise zu dritt, einmal sogar zu viert nebeneinander auf der Ideallinie, so dass wir Läufer in großen Bögen ausweichen müssen. Die Vierergruppe schnauze ich an, weil an dieser Stelle kein Durchkommen möglich ist, bei den anderen bleibe ich ruhig, bin aber etwas genervt von ihrem Verhalten.
Die älteren erfahrenen Teilnehmer wie beispielsweise die 81 jährige Lauflegende Siegrid Eichner wandern auch, aber diese wandern am Rand so dass wir uns gegenseitig nicht stören.
Bei Siegrid sieht man wie sie sich jeden Schritt erkämpfen muss, aber sie macht das mit einer Freude und Lust, die Ihresgleichen sucht. Beim Überholen rufe ich ihr zu „Siegrid du bist wirklich der Hammer!“, sie freut sich und strahlt mich an. Später sehe ich sie mit einem Teller Nudeln in der Hand laufend. Sie wird am Ende Deutsche Vizemeisterin in der Altersklasse W80 werden, weil die ebenfalls 81 jährige Edda Bauer 131 Kilometer absolvieren wird. Gerade die älteren Teilnehmer laufen relaxed ihren Stiefel. Insgesamt herrscht eine lockere kameradschaftliche Volksfestatmopshäre. Allein diese Atmosphäre mit diesen spannenden und interessanten Menschen ist es wert an diesem Wettkampf teilzunehmen.
Regelmäßig rasen die Staffelläufer erkennbar an ihren Staffelstäben in einem Mordstempo an mir vorbei und rasen im Zickzack um die Läufer und Wanderer herum. Ich laufe in meinem eigenen Rhythmus die ersten Kilometer. Der Schweiß fließt in Ströme, so trinke ich frühzeitig viel Wasser. Nach 10 Kilometern trinke ich die ersten 2 Schlücke Flüssigkohlenhydrate. Florian hatte mir geraten wenig aber regelmäßig zu trinken, mit 2 Schlücken kann ich nicht viel verkehrt machen denke ich.
Am Rathaus hinter dem Restaurant wurde inzwischen eine akustische Foltermaschine eingeschaltet: Aus einer Musikanlage werden wir mit Schlagern von Helene Fischer (Gott sei Dank nicht „Atemlos“) und anderen ähnlich singenden Interpreten gequält – Arrrgh.
Etwa alle 10 Kilometer überrundet mich Florian, wir sprechen kurz, dann rast er weiter. Für Florian ist dieser Wettkampf ein Trainingslauf unter Wettkampfbedingungen, da er Ende August bei einem 6 Tageslauf teilnehmen will. Selten habe ich einen Läufer mit so einem wunderbar leichtfüßigen Laufstil gesehen. In seiner Spitzenzeit dominierte Florian die Weltelite über Jahre hinweg, ich denke unter anderem weil er so gut wie nie verletzt war.
So etwa bei Kilometer 15 beginnt in mir leichte Übelkeit aufzusteigen. Zugleich bekomme ich Schmerzen am unteren Rücken. Also nehme ich etwas Tempo heraus und trinke nur Wasser. Weil es jetzt wirklich sehr heiß geworden ist, wechsle ich meine Mütze und ziehe meine „Hitzemütze“ auf. Diese wird in Wasser getaucht, speichert dieses und kühle den Kopf etwas. Getestet hatte ich sie in einem Hochsommer an der türkischen Riviera bei knapp 40 Grad, der Unterschied war dort immens. Aber heute macht mir die Hitze nicht wirklich viel aus.
Im Laufe der Runden nimmt die Übelkeit zu, selbst Wasser traue ich mir zeitweilig nicht zu zu trinken. Vom unteren Rücken wandern die Schmerzen in den Span meines rechten Fußes. Ich bleibe ruhig und laufe weiter. Oft löst sich ein solches „Tief“ ja nach einiger Zeit von selber auf. Natürlich ist mir bewusst, dass ich nicht ewig ohne Wasser laufen kann und auch ohne Flüssigkohlenhydrate werde ich nicht ewig durchhalten. Egal noch kann ich laufen, also laufe ich, bleibe im Jetzt und mache mir keine Gedanken über das Nachher.
Bei der Schlauchdusche im Ort passiert fast ein Zusammenstoß. Eine direkt vor mir laufende Läuferin bleibt ohne Vorwarnung im allerletzten Moment bei der Schlauchdusche abrupt stehen. Ich kann im allerletzten Moment ausweichen. der Zusammenstoß ist so gerade noch verhindert worden. Die anderen Läufer sind durch die Dusche hindurchgelaufen oder haben es durch Zeichen angezeigt, diese Läuferin nicht.
Regelmäßig überrunde ich einen Marathonläufer, der mir auch schon letztes Jahr beim Sommeralmmarathon aufgefallen war. Er walkt die Marathons in etwa 6 Stunden, trägt eine schweinchenrose Hose sowie ein Shirt in der gleichen Farbe. Dazu hat er in der rechten Hand eine Fahne. Zu Beginn des Laufs ist diese eingerollt, so ab Kilometer 30 rollt er sie aus.
Ein paar Kilometer später kann ich immerhin wieder Wasser trinken, es tut gut, zugleich wird die allgemeine Schwäche zunehmend stärker. Selbst bei meinem 70er Lala vor zwei Wochen wo ich die letzten Kilometer wirklich kämpfen musste fühlte ich mich nicht so schwach. In diesem Moment beschäftigt mich das nicht, ich laufe weiter und warte ab. An unserem Pavillon wechsle ich mein Shirt und ziehe das Finishershirt vom letzten Sommeralmmarathon an und trockne ich mein Gesicht ab. Dabei sehe ich Marika Heinlein vorbeilaufen. Sie ist seit vielen Jahren regelmäßige Spartathlonfinisherin und nimmt seit Jahren bei so gut wie allen überlangen Laufveranstaltungen teil. Mit ihren 59 Jahren hüpft sie leichtfüßig wie ein junges Mädchen die Strecke entlang, nur ihre grauen Haare verraten ihr wahres Alter.
Mit „das sieht bei dir aber noch richtig gut aus“ überrundet mich Florian mal wieder und holt mich aus meinen Gedanken. Ich berichte von meinen Problemen, er rät mir zu alkoholfreiem Bier und zieht wieder davon. Das alkoholfreie Bier bleibt „drin“, tut mir gut, dennoch breitet sich die Schwäche immer weiter in mir aus. Im Vollbesitz meiner Kräfte bin ich definitiv nicht, ich bin schwach und stark angeschlagen. Ich kann ohne Risiko laufen solange ich ich gut fühle, aber gut fühle ich mich schon lange nicht mehr, eigentlich seit Kilometer 15 nicht mehr. Belastet ein Weiterlaufen mein Herz? Bleiben dann doch Borrelien zurück? Wie langwierig wird sich der Heilungsprozess hinziehen? Wird mein Körper wieder ganz heilen?
Bei etwas Kilometer 43 laufe ich über die Brücke an den Toiletten vorbei zu unserem Pavillon. Zielstrebig laufe ich zum Stuhl, den ich mit den Worten „damit ich ihn nicht brauche nehmen wir ihn mit“ eingepackt hatte, setze mich auf ihn und vergrabe mein Gesicht im Handtuch um allein zu sein. Mein Kopf will es noch nicht wahrhaben, was der ganze Rest meines Wesens längst weiß…
…..aber es kann nicht sein was nicht sein darf, also stehe ich nach einer kurzen Weile auf und laufe weiter….
So hast du hier nichts verloren, denke ich. Andererseits vielleicht geht ja doch was….
„Im allerhöchsten Fall könntest du aus deinem Körper 140 Kilometer herauspressen verbunden mit einem enorm hohen gesundheitlichen Risiko, hör auf“. Drei Runden lang hadere ich, laufe dann wieder über die Brücke an den Toiletten vorbei zu unserem Pavillon, setze mich auf den Stuhl und höre auf.
Minuten später gehe ich einmal noch den Weg zur elektrischen Rundenerfassung und informiere den Veranstalter von meinem Rennabbruch. Der Veranstalter gratuliert mir zu meinem Entschluss dass ich der Gesundheit Vorrang gebe.
Wie angeschlagen ich wirklich bin merke ich später in unserer Unterkunft. Ich laufe die Treppe herunter zum Auto, um Sachen zu holen. Dem Weg die kurze Treppe hinauf in unser Zimmer verursacht bei mir Kreislaufprobleme. Auch am nächsten Tag kann ich bei der Rückfahrt immer nur kurze Zeiten am Steuer sitzen, weil es ist einfach zu anstrengend ist.
In den Stunden nach meinem Rennabbruch fühlte ich nichts, war innerlich vollkommen leer. Am nächsten Tag bei der Rückfahrt „sackte“ es, wurde ich unheimlich traurig und ich muss zugeben dieser Rennabbruch war für mich eine harte Nuss.
Beim Laufen fühle ich mich ungeheuer lebendig. Gerade Wettkämpfe sind ganz intensive lebendige Momente für mich, die ich nicht missen möchte. Traurigkeit und Niederlagen gehören da auch dazu, diese machen für mich ein lebendiges Leben aus. Um der Lebendigkeit willen möchte ich beides nicht missen.
Das Schreiben dieses Berichts hat mir geholfen zu verstehen und zu verarbeiten. Jetzt würde ich sagen ich hatte von Anfang an nur eine sehr geringe Chance. Hätten meine Ärzte mir abgeraten, wäre ich nicht gestartet, hätte aber dann nicht dieses geile Event erleben dürfen.
Ja, ich bin traurig, an einem Sahnetag kann ich 200 Kilometer laufen, da bin ich mir sicher. Laufen bei Hitze hatte ich trainiert da es bei uns in der Südpfalz ins den letzten Wochen an vielen tagen Temperaturen von weit mehr als 30 Grad hatte. Da wäre etwas gegangen. Aber es hat nicht sollen sein, ich war nicht im Vollbesitz meiner Kräfte. Dennoch bin ich absolut dankbar bei diesem geilen Event gewesen zu sein, teilgenommen zu haben, diese spannenden verrückten Menschen getroffen zu haben. Dass ich in der DUV – Statistik jetzt als 24 h Bestleistung 46 Kilometer stehen habe, muss ich aushalten. Bei Deutschen Meisterschaften im 24 h Lauf möchte ich definitiv noch einmal teilnehmen, starten und versuche dann bis zum Schluss dabei zu sein.
Wie es weitergeht
Die Übelkeit scheint vom Antibiotikum verursacht worden sein. Da die Borreliose bzw das Antibiotikum mich so geschwächt haben wie sie es haben, wird es einige Zeit dauern bis ich fit bin. Ich muss noch einige Tage lang das Antibiotikum nehmen und werde auch dann noch einige Wochen brauchen bis ich wirklich wieder im Vollbesitz meiner Kräfte bin.
Derzeit „lüfte“ ich läuferisch meine Füße, bin gestern und heute 6 Kilometer gelaufen und werde vorerst weiter nach Gefühl wenig und langsam laufen. Sobald ich wieder voll fit bin, wird man sehen, was geht. Wenn mich die Pandemie eines gelehrt hat, dann dass man nichts planen kann und absolut im „Hier und Jetzt“ leben muss. Bin ich Ende September fit genug um in Pilsen einen neuen Anlauf für 24 h zu nehmen? Ist das Pandemiemäßig dann möglich? Alles ist im Fluß und offen, ich rechne aber eher nicht mit einem weiteren großen Wettkampf meinerseits in diesem Jahr, aber man wird sehen.
Auch das heftige und anstrengende Training war völlig geil, mein Doppeldecker mit 30 und 60 Kilometern. Zur 70 Kilometereinheit begleitete mich eine Freundin mit Fahrrad und 11 Litern Flüssigkeit. Wir liefen bzw. fuhren eine wunderschöne Südpfalztour. Alles in allem war es das wert und ich würde es wieder so machen.
Dank
Danke an Albert („du spinnst, aber wahrscheinlich schaffst du es sogar, ich traue es dir zu“), der mir immer alle nötigen Atteste und Bescheinigungen ausstellt, mich zu jeder Tages- oder wenn nötig auch Nachtzeit untersucht und berät. Danke an Anke, die mit Neuroathletik meine Verletzungsanfälligkeit reduzierte und mir zu einem geraderen, ökonomischen Laufstil verhalf, Angelika für die liebevolle Begleitung, Benjamin fürs Reduzieren der körperlichen Dysbalancen, Monika für die besondere Freundschaft, Petra fürs Begleiten bei der 70er Einheit mit 11 Litern Flüssigkeit in der Satteltasche („Petra du spinnst mich 7,5 Stunden mit dem Fahrrad zu begleiten“, sie „Nein Cornelius du spinnst 70 Kilometer in der Hitze zu laufen“), meinem Sohn Gabriel für die Unterstützung, er erkundigte sich während des Wettkampfes stündlich per Handy nach dem Zwischenstand und fieberte mit und meiner Frau Simone dass sie mich aus Liebe immer wieder los- und ziehen lässt, weil sie weiß dass ich das brauche.
Die Pensionswirtin lässt uns herein und bittet und kurz zu warten. Plötzlich blickt sie mich mit großen Augen an und brüllt: „Gut“. Und gleich darauf erneut: „Gut“. Für einen Moment bin ich verwirrt, Will sie mich auf diese Weise fragen, ob es mir gut geht? Jedenfalls ist es eine seltsame Art mit Gästen umzugehen. Später erklärt mir Hermann, dass sie damit ihren Mann gemeint hatte, er soll den elektrischen Türöffner loslassen…..
30 Minuten vorher: „Hermann, meine Gabel ist gebrochen“. Die Schokoladenschicht der Donauwelle war so dick, dass beim Versuch sie zu durchstoßen die Gabel einen Zinken verlor. Hermann lacht. „Wir dürfen wegen Corona leider kein echtes Geschirr ausgeben“ hatte die Frau hinter der Kuchentheke gesagt. Gut, essen wir unsere Stücke Kuchen halt mit Plastikgeschirr und trinken den Kaffee im Pappbecher…..
Mit Laufkumpel Hermann habe ich mich nach Thüringen zum Borderland Ultra aufgemacht. Wir sind am Vormittag gemütlich losgefahren, um dem Freitags Verkehr aus dem Weg zu gehen. Die Pension lässt uns erst ab 15 Uhr herein, also gehen wir vorher Kuchen essen und Kaffee trinken. Zur Feier des Tages esse auch ich Kuchen, das mache ich sonst nie, zu süß und zu viel Zucker. Danach checken wir in unserer Pension in Hildburgshausen ein und ruhen uns aus. Am frühen Abend fahren wir die 18 Kilometer nach Römhild, wo der Borderland Ultra gestartet wird, sehen uns das Gelände an und holen unsere Startunterlagen ab. Schon von weitem ist der große Berg mit Gipfelkreuz sichtbar, den wir morgen werden besteigen müssen. Er thront majestätisch – Respekt einflößend über dem Startgelände. Außer dem Startnummer Abholen findet alles draußen statt, es dürfte am nächsten Tag eine recht kalte Angelegenheit werden, auch ist Regen für den nächsten Tag angesagt.
Angemeldet hatte ich mich zum Borderland Ultra mit der Vorstellung an einem schönen Spätsommertag bei etwa 20 Grad in Sonnenschein zu laufen und nebenbei wieder tolle Leute zu treffen. Dies sollte ein guter Trainingswettkampf als Vorbereitung zum Dromos Athanaton werden. So die Vorstellung. Die Realität sieht freilich anders aus: Es ist kalt, saukalt, etwa 8 Grad, bewölkt und neblig, der Himmel sieht stark nach Regen aus. Und ob der Dromos Athanaton überhaupt stattfindet, steht nach wie vor in den Sternen. Behördlich wurde die Erlaubnis zwar gegeben, ein anderer behördlich abgesegneter Lauf in Griechenland bekam aber von einem Dorf keine Durchlaufgenehmigung, wurde 6 Tage vorher abgesagt. Auch fehlt mir ein vernünftiger Formaufbau. Verletzungsbedingt bin ich die ersten 3 Monate des Jahres nicht gelaufen, habe aus Vorsicht bis August nur wenig trainiert. Ganz leicht hatte ich mein Sprunggelenk bis Juli noch gespürt. So konnte ich auch in den letzten Wochen nicht so intensiv trainieren, wie ich es mir als Vorbereitung für einen Lauf wie den Dromos Athanaton vorstelle, weil mein Körper für intensives Ultratraining einfach nicht austrainiert genug ist. Alles bleibt also offen. Um so glücklicher bin ich, dass heute der Borderland stattfindet und ich am Start stehen kann und darf. Da nehme ich auch sämtliche behördlichen Coronaauflagen in Kauf.
Das Streckenprofil habe ich mit Erlaubnis des Veranstalters von dessen Homepage – Danke dafür
Streng genommen besteht der Borderland Ultra Lauf aus 2 Läufen. Dem Grenzgänger mit 30 km und 450 Höhenmetern und dem Keltentrail mit 20 km und 750 Höhenmetern. Beide Läufe werden einzeln durchgeführt und für uns Ultras kombiniert. Trail und viele Höhenmeter liegen mir nicht. Bei meinem Langen Läufen zu Hause habe ich ab Kilometer 30 Schwierigkeiten Steigungen noch zu laufen. Will ich meine künftigen Ziele erreichen (Olympian Race und irgendwann Sparthatlon), muss ich genau das können. Seit Anfang August, seit meiner Teilnahme am Sommeralmmarathon in der Steiermark, wo mir eine deutliche Grenze in Sachen Berglaufen aufgezeigt wurde, übe ich Höhenmeter laufen im Rahmen von Tempobergaufläufen. Inzwischen bin ich bei 3 x 15 Minuten Tempobergauflaufen angelangt.
Rennen
Eine vermummte Gestalt tippt mich plötzlich an und grüßt mich und erst dann erkenne ich ihn: Udo oder zumindest die Teile von Udo, die um diese frühe Zeit schon aktiv sind, also gar nicht soo viel Udo. Wir trinken unseren Kaffee im Stehen zusammen und plaudern. Dann kommt das Briefing. Vom Veranstalter werden wir vor dem Lochbeton gewarnt. Die Löcher sind so groß, dass man mit den Füßen hängen bleiben und sich verletzen kann. Da Regen angesagt ist, werden wir vor den rutschigen Steinen im Keltentrail gewarnt. Und wir werden gebeten beim Start die Maske aufzuziehen. Anscheinend wollen die Behörden ein Foto vom Start sehen mit nur maskierten Läufern.
Bei der Startaufstellung treffe ich zudem Phenix. Er wollte sich dieses Jahr eigentlich an der langen Version des Goldsteig Race versuchen, einem Lauf mit einer Distanz von 1001 Kilometern, Corona machte diesem Vorhaben für dieses Jahr aber einen Strich durch die Rechnung.
Zu meinem eigenen Erstaunen bin ich die Ruhe selbst, verspüre nicht die für mich eigentlich typische Wettkampfnervosität. Ich bin mir ziemlich sicher, den Lauf zu schaffen. Ja, ich werde kämpfen müssen, wie ich bei jedem Langen Lauf zu Hause auch kämpfen muss, aber das fürchte ich nicht, ich freue mich auf den Lauf.
Start
In den Minuten vor dem Start läuft das für Ultrarennen völlig untypische „Highway to hell“ von AC/DC. Das Lied läuft eigentlich bei so gut wie allen Marathons, aber nicht bei Ultrarennen, die Ultras sind dafür einfach zu gemütlich. Dann wird ein Countdown von einer Computerstimme herunter gezählt gemeinsam mit einer große Menge Kunstnebel, nach „one“ folgt ein „go“ und dann geht es los. Im Rahmen dieser „Start – Show“ passt wiederum das AC/DC – Lied.
Hermann rennt wie immer in schnellem Tempo voraus. Komischerweise bekomme ich nur schwer Luft, bis ich nach ca. 500 Metern bemerke, dass ich meine Maske noch aufgezogen habe, kein Wunder. Ich setze sie ab und dann geht es erheblich leichter.
Grenzgänger
Den ersten Kilometer geht es durch ein Gewerbegebiet und dann auf einen Wiesenweg. Das Feld ist noch eng beisammen, zieht sich aber allmählich auseinander. Die Landschaft besteht aus abgeernteten Feldern und großen Wiesen, voneinander abgetrennt mit Büschen. Ich blicke nicht auf meine Uhr, versuche aber eher langsam zu laufen, will Energie für die letzten 20 Kilometer, den Keltentrail mit seinen vielen Höhenmetern sparen. An jeder Straße stehen Ordner und bremsen gegebenenfalls den Verkehr für die Läufer aus. Auch sitzen an buchstäblich jeder Weggabelung Helfer und lotsen die Läufer. Neben den unzähligen Kreidefarbenen Pfeilen auf dem Boden hängen zudem Bänder an vielen Büschen. Verlaufen ist also schwer möglich. Wie ich sehe ist der erste Teil der Strecke eine Wendestrecke, man sieht auf dem Boden auch die „Zurück – Pfeile“. Auf einer Koppel grasen 2 jung aussehende laut wiehernde Pferde. Danach kommt eine Umzäunung mit einer größeren Kuhherde. Diese stehen ruhig am Zaun, fangen aber plötzlich wie von einer Tarantel gebissen an im Rudel schnell zum anderen Ende der Koppel zu rennen. So aktiv beinahe hektisch habe ich bei uns in der Südpfalz Kühe sich noch nicht bewegen sehen.
Nach einigen Kilometern über die Wiesen biegen wir auf eine Straße ab. Diese führt durch das Dorf Linden, wo wir an einem kleinen Spielplatz, der freiwilligen Feuerwehr vorbei kommen. Es gibt leichte Steigungen, die sich bisher aber noch absolut im Rahmen halten. Ich fühle mich gut, mir graut aber vor dem Keltentrail. Die Landschaft verändert sich allmählich von Wiesen und Feldern in Wälder um.
Laufen durch Löcher
Bei Kilometer 7 kommt in einer kleinen Talsenke die erste Verpflegungsstation. Wie ich sehe gibt es alles was das Ultraläuferherz begehrt, ich aber nicht vertrage: Kleine Salamis, Puffreis mit Schokolade, Wassermelonen, Waffeln und anderes. Grundsätzlich esse ich bei Läufen nichts, dann würde ich mich nämlich ordentlich übergeben, trinke nur und ernähre mich nur von Gels. Hier ist es aber noch zu früh, ich lasse die Verpflegungsstation aus und laufe gleich weiter. Kurz nach der Verpflegungsstation trennen sich der „hin-“ und der „zurück – Weg“. Jetzt kommt also eine größere Runde, die dann hier wieder endet und die knapp 8 Kilometer bis zum Zielbereich zurückgeht. Hier beginnt die alte Grenzanlage und es folgt eine mehrere Kilometer lange Lochbetonstrecke, die mitten durch einen wunderschönen Wald geht. Manche Löcher sind zugewachsen, viele sind aber offen. Wenn der Fuß in eines hereinkommt, bleibt er kurz hängen, es tut weh und man riskiert eine Verletzung. Manchmal kann man in der Mitte des Weges laufen, wenn sich dort eine begehbare Wiese befindet, oft sind dort aber zu hohe Büsche. So tripple ich wie eine Primadonna auf Stöckelschuhen über den schmalen Streifen des Betons, in dem sich keine Löcher befinden. Dafür muss ich meine Füße bei jedem Schritt etwas nach innen bewegen, mein Anblick beim Trippeln wird definitiv lächerlich sein. „Cornelius, die Löcher sind ziemlich groß und gefährlich. Letztes Mal hatte ich einfach keinen Rhythmus gefunden und wurde wahnsinnig“ hatte mich Udo beim Start gewarnt, ganz so weit bin ich nicht.
Im Wald kommt nun eine heftige Steigung. Ein Stück weit tripple ich sie hoch, gehe aber dann den Rest. Zu großen Respekt habe ich vor dem was da noch kommen wird. Auf der anderen Seite geht es genauso steil wieder herunter. Bergab ist dieser Lochbeton für meine Füße eine Herausforderung. Beim Laufen stelle ich mir vor, wie es ist, wenn man zur Zeit der ehemaligen DDR geflohen ist, jederzeit mit Grenzpatroullien rechnen musste und mit Gefängnis und Erschießung. Trotz des dichten Wald- und Buschwerkes ist es schwer, sich hier zu verstecken. Ich bin ehrlich gesagt dankbar, im Westen geboren und aufgewachsen zu sein, meine Meinung frei äußern zu dürfen und und nicht hinter einer Mauer eingesperrt gewesen zu sein. Während ich meinen Gedanken folge, rasen nun die mutmaßlichen Siegläufer des Grenzgänger Laufes an mir vorbei. Aufgrund behördlicher Auflagen durften die „nur“ 30 Kilometer Läufer 15 Minuten nach uns Ultra starten und müssen sich nun an uns langsameren Ultra vorbeischlängeln. Auf den nun folgenden Kilometern geht es leicht bergauf und bergab weiter durch den Wald. Bei uns in der Südpfalz gibt es eigentlich nur Weinberge und Wald, ab und an kommt man auch durch Äcker. Hier gibt es eine absolute Weite, Wiesen und Felder soweit das Auge reicht und Wälder. Während ich die Landschaft genieße, bin ich damit beschäftigt, gut über die Lochbetonstrecke zu kommen.
Ausrüstung
Irgendwann endet die Lochbetonstrecke, man kommt aus dem Wald heraus auf Waldwegen in eine absolute Weite mit Kilometerlangen Feldern. Am Rande eines Ackers steht ein Jägerhochsitz, der auf einem Traktoranhänger befestigt ist. Ein anderer Läufer sieht mich mit meiner Kamera und bietet mir an, von mir ein Foto zu schießen.
Gerne nehme ich an, danach laufen wir beide weiter, jeder in seinem Tempo. Es geht für mehrere Kilometer gerade zwischen zwei Feldern auf einem Ackerweg.
Am Horizont sieht man einen Turm, der wie ein alter Grenzturm aussieht. Direkt unter dem Turm ist wieder eine Verpflegungsstation. Wir sind bei Kilometer 15. Dieses Mal nehme ich ein Gel zu mir. Ich habe dieses mal welche der einzigen Firma, deren Gels und Kohlenhydratpulver ich auch bei Läufen von 100 Kilometern und mehr vertrage dabei. Normalerweise nehme ich bei kürzeren Läufen wie diesem günstigere, aber von denen darf ich aus Verträglichkeitsgründen nicht zu viel nehmen. Aus Respekt vor der Strecke gehe ich bei diesem Lauf auf Nummer sicher. Meine Trinkflasche lasse ich zu einem Drittel mit Cola und den Rest mit Wasser auffüllen, bedanke mich und gehe trinkend weiter. Wir überqueren eine Straße, die von der freiwilligen Feuerwehr bewacht wird, dann geht es einen Waldweg recht steil den Berg hinauf. Ich trinke die Flasche bergaufgehend leer, befestige sie wieder an meiner Gürteltasche und tripple dann den Rest der Steigung langsam hinauf. Oben geht es wieder in einen Wald über einen Wiesenweg, dann am Rande einer Bergkuppe am Waldrand entlang. Ich überhole eine Läuferin, grüße sie. Von ihrer Antwort verstehe ich nur das letzte Wort, nämlich: „Oder?“. Es klang etwas nach Schweizerdeutsch aber nicht einmal das kann ich mit Sicherheit sagen. Nur ist das Nachfragen einfach zu anstrengend. Also antworte ich mit „ja stimmt!“, verabschiede mich und laufe etwas schneller weiter. Der Wiesenweg ist sehr unregelmäßig, so muss ich mich darauf konzentrieren nicht umzuknicken. Nach einer Weile endet der Wiesenweg, wieder stehen freiwillige Helfer an der Weggabelung und es geht auf einem asphaltierten Weg weiter. Da ich keine neuen profilierten Schuhe besitze und mein Laufschuhgeschäft diese Woche Urlaub hat, trage ich alte, abgelaufene profilierte Schuhe. Profilierte Schuhe sind Seitens des Veranstalters Pflicht, was durchaus Sinn macht, da der Keltentrail so steinig sein soll. Wenn es regnet, wird der Weg sehr rutschig, mit normalen Straßenlaufschuhen ist das zu gefährlich. Meine Füße scheinen die abgelaufen Schuhe aber auch auf dem Asphalt zu vertragen. Im Vorfeld hatte ich die Befürchtung meinen empfindlichen Füßen mit den abgelaufenen Schuhen zu schaden, diese sind nämlich absolute Sensibelchen.
Nach einigen Kilometern geht es wieder auf einen Feldweg in den Wald, der sich wieder in Lochbeton verwandelt. Zum ersten und einzigen Mal bei diesem Lauf sehe ich auf meine Uhr, was übrigens absolut untypisch für mich ist. Normalerweise blicke ich zur Tempokontrolle ständig auf meine Uhr, bin erheblich aufgeregter. Aus coronatechnischen Gründen steht ja auch noch der Eselsmützenlauf aus, den ich wegen zu hohem Anfagngstempo beim letzten Mauerweglauf noch durchführen muss. Mit meinem Sohn hatte ich ja die Wette laufen, dass ich, wenn ich bei den ersten 120 Kilometern mehr wie 2 Kilometer schneller wie 6 Min./Km laufen, einen Marathon in Eselsmütze laufen muss. Mein Sohn, der diese Wette gewonnen hatte, möchte bei diesem Lauf aber dabei sein und die Marathons bei uns in der Gegend wurden alle abgesagt.
Ich bin bei Kilometer 19,5 und seit 1:57 Stunden unterwegs, also ziemlich flott. Etwas schwerer sind meine Beine inzwischen geworden, es hält sich aber in Grenzen. Dennoch bremse ich mich etwas. Auf dem Lochbetonweg kommen nach einer Weggabelung und beidseitige Pfeile. Der Rundweg endet hier also und es geht jetzt auf dem gleichen Weg zurück wie es herging. Bis zum Ziel des Grenzgängerlaufes sind es jetzt noch 8 Kilometer. Bei der Verpflegungsstation, die ich auf dem Hinweg ausgelassen hatte trinke ich wieder mein Wasser – Cola – Gemisch und laufe weiter. In Linden entdecke ich ein kleines Schwimmbad, das ich auf dem Hinweg übersehen hatte. Die Kühe stehen am Zaun und glotzen. Ich bleibe stehen und fotografiere sie. Ein anderer Läufer sieht dies, grinst und fragt mich, was die Kühe wohl denken. Ich antworte mit ernstem Gesicht ernster Stimme: „Sie philosophieren über Kants Universelle Moral“ und laufe weiter. Er glotzt mich verwirrt an. Die Müdigkeit macht sich nun etwas stärker bemerkbar, den Lauf bei Kilometer 30 zu beenden ist eine etwas attraktiver gewordene Alternative, kommt aber nicht in Frage. Ich frage mich, ob ich überpaced habe? Nun, das wird man sehen. Kämpfen werde ich müssen, aber diese Aussicht schreckt mich nicht.
Keltentrail
Von Hermann ist weit und breit nichts zu sehen. Hermann ist ein erheblich besserer Berg- und Trailläufer. Wenn ich ihn auf den ersteh 30 Kilometern nicht treffe, dürfte er durch sein. Das wäre insofern geschickt, da er dann verschwitzt in der Kälte auf mich warten müsste und nicht umgekehrt. Coronabedingt gibt es keine Duschen. Es geht zum Ziel. Die Grenzgängerläufer biegen auf auf ihre Finisherrunde um den Fußballplatz, die Ultras laufen am Rand des Fußballplatzes parallel zur Straße entlang zu einem Verpflegungszelt. Für die ersten 30 Kilometer habe ich ziemlich genau 3 Stunden gebraucht, liege also gut in der Zeit. Ich nehme ein Gel zu mir, trinke und laufe weiter. Nach einem Kilometer durchs Dorf auf den großen Berg zu. Das Gipfelkreuz ist von weitem zu sehen. Es geht einen asphaltierten Weg hinauf. Auf diesem sind Pfeile in beide Richtungen, wir werden hier also zurückkommen. Der asphaltierte Weg verwandelt sich in einen Feinsteinweg. Er geht so steil hinauf dass er nur schwer zu laufen ist. Gehen und Laufen wechseln sich ab. Dann verwandelt er sich in einen Waldweg, der mit Steinen und Wurzeln übersäht ist. Ein Baumstamm liegt quer über den Weg, man muss über ihn hinüberklettern.
Bergsteigen
An einer Weggabelung sitzen 2 junge Frauen und weisen rechts nach oben auf einen kleinen, steilen, fiesen Weg. Diesen kraxle ich hoch. Nach einiger Zeit löst sich der Weg auf., bzw. ist kaum noch zu erkennen Man sieht wie es jetzt richtig steil bergauf geht mit vielen Wurzeln und Steinen. Ich kraxle auch da hinauf und treffe auf Hermann. Er schnauft schwer wie eine Dampflokomotive und verabschiedet mich mit den Worten „wir haben es ja gewollt“.Ich antworte „ja“, überhole ihn und laufe weiter. Der Weg wird etwas flacher aber ist genauso schwer zu gehen, man klettert ständig über große Steine, Stufen und umgestürzte Baumstämme. Irgendwann bin ich oben am Gipfelkreuz. Ich gehe kurz zum Rand und sehe mir das Panorama an und fotografiere es. Ich bin so mit Laufen beschäftigt, dass ich buchstäblich nichts denke oder empfinde. Der erste große Berg ist geschafft. Nein, denkste. Der Weg geht erst eben entlang, wird dann schmal, steinig, schwer zu gehen und steigt dann weiter an. Nach einigen Hundert Metern endet er an einer kleinen Fläche. Helfer haben eine kleines offenes Zelt aufgebaut, sitzen davor und lotsen die Läufer. Neben der Zelt geht eine Wand gerade nach oben. Ganz rechts führt ein kleiner Pfad auf genau diese Wand und vor diesem Pfad ist ein Pfeil auf einen Stein gesprüht, der genau in diese Richtung zeigt. Also laufe ich dahin und kraxle weiter, steiler denn je. Ob Udo hier auch läuft? Es ist für ihn eine innere Verpflichtung jeden Schritt zu laufen und nicht zu gehen, aber hier? Ist nicht laufbar, ich muss ihn mal fragen…
Schon nach wenigen Schritten habe ich eine enorme Höhe erreicht. Irgendwann geht es nicht mehr höher, scheinbar ist der erste Berg jetzt wirklich erreicht, denn der Weg wird ebener und beginnt sich allmählich bergab zum neigen. Dadurch ist er aber kein bißchen leichter zu laufen wegen seiner vielen großen Steine und Wurzeln. Hochkonzentriert laufe ich weiter bis ich auf einen asphaltierten Weg stoße, der bergab führt. Ob ich diesen Weg auch wieder zurück muss? Ein großer Schreck fährt mit bei diesem Gedanken in die Glieder. Ich schiebe ihn weg mit der Einsicht, dass ich das ja dann sehen kann, aber Unsicherheit bleibt. kommen insgesamt 2 oder 3 große Berge beim Keltentrail? Hätte ich mir im Vorfeld mal das Streckenprofil genauer angesehen.
Bergab geht es nun ziemlich rasch, vor allem weil der Weg keine großen Steine oder sonstigen Hindernisse hat. Wieder sitzen zwei freiwillige Helfer am Weg und weisen auf eine Biegung die natürlich wieder hoch führt. Aber nur für einige Hundert Meter, dann eben und schließlich bergab. Wir stoßen auf einen breiten Weg der auch bergab geht. Ich lasse laufen und rase den Weg herunter. tut gut mal flott zu laufen, nach den vielen schwer zu laufenden Steigungen mit Felsen und Wurzeln.
Unten sieht man einen Verpflegungsstand und eine Straße. Ich trinke mein Cola – Wasser – Gemisch und laufe weiter. Es geht über die Straße und wieder bergauf. Es ist ein schöner ebener Waldweg, der für längere zeit gerade bergauf geht. Ein Stück tripple ich hinauf, fange aber bald an schnell zu gehen, zu groß ist inzwischen die körperliche Abnutzung. Auf dem Weg kommt mir ein keltisch gekleideter Mensch mit Startnummer entgegen. Ich grüße ihn, er brabbelt seine Antwort auf tiefbayrisch. Ich verstehe nichts. Immer wieder beginne ich zu laufen, was sich nach kurzer Zeit wieder in Gehen verwandelt. Der gerade Bergaufweg endet. Ein jungen Helfer weist auf einen trailigen, steinigen, teilwiese steileren Weg bergauf, nicht ganz so schlimm wie beim Berg zuvor, aber schwer genug. Die steilen Passagen gehe ich, die flacheren laufe ich. Auf dem engen Pfad stoße ich auf mehrere Wanderer. Sie gehen sofort zur Seite und feuern mich an. Ich überhole und grüße sie, bedanke mich und laufe weiter, will diesen Berg hinter mich bringen. Wieder kommt eine Weggabelung. Ein jungen Mann sitzt dort und zeigt natürlich nach oben mit den Worten „gerade nach hinten und den Stempel abholen“. Nach vielen Hundert Metern kommt ein Turm, davor steht eine junge Frau mit Stempel. Sie stempelt meine Startnummer. Dabei entdecke ich, dass diese auf einer Seite herausgerissen ist, also nur noch an einem Loch befestigt ist. OK muss ich aufpassen, wenn ich sie verliere, dürfte ich disqualifiziert werden, da sich auf ihrer Rückseite Transponderchips befinden, die beim Überqueren der Start- und Ziellinie ein Signal am Computer auslösen. Ich laufe um den Turm herum, treffe dabei auf Phenix und grüße ihn. Ich staune, dass er vor mir liegt. Denn wer längere Strecken läuft wird langsamer. Wer sehr lange Strecken läuft wird sehr langsam. Ich überhole ihn und laufe weiter. Es geht zuerst den gleichen Weg zurück zum sitzenden jungen Mann und dann einen natürlich schwer zu laufenden Weg mit vielen Steinen, Steinstufen und quer über den Weg liegenden Baumstämmen bergab, was sonst. es hätte ja auch mal leicht sein können…
Plötzlich sehe ich rechts einen kleinen leuchtenden Pfeil, einige Meter geht es steil herunter auf einen kleinen flachen Platz, unten steht ein freiwilliger Helfer. Ich laufe, blicke und denke „geht es hier entlang?“ und dabei passiert es und zwar alles zugleich: Ich knicke um, ein stechender Schmerz durchläuft meinen rechten Fuß, ich laufe die paar Meter herunter und fange wegen des Schmerzes im rechten Fuß zugleich wild tanzend an zu hinken. Dabei entweicht mir ein Schmerzensschrei. Auf diese Weise komme ich irgendwie die paar Meter herunter ohne auf die Schnauze zu fliegen. Nach paar Sekunden ist alles vorbei und zum Glück scheint nichts passiert zu sein. Ich werfe dem jungen Helfer ein „alles gut, nichts passiert“ zu und laufe weiter. Jetzt geht der Weg eben und ohne Hindernisse bergab, endlich. Ich ärgere mich über mich und frage mich wie ich so hohl und arrogant man sein kann: Hatte der Keltentrail jetzt 2 oder 3 Berge? Muss ich den ersten Berg erneut besteigen oder nicht? Hätte ich mal das Streckenprofil genauer studiert. Während ich flott bergab renne, innerlich auf mich schimpfend kommt eine Frau mit Hund entgegen. Sie strahlt mich an. Ich werde etwas langsamer und erkenne sie: Ines, Udos Frau. Sie strahlt mich an und streckt mir ihre Hand entgegen. Es wäre ein leichtes anzuhalten, kurz mit ihr zu reden und dann weiter zu laufen. Aber das schaffe ich nicht. Meine Mission heißt laufen. Durch die zunehmende Erschöpfung komme ich einfach nicht auf die Idee.In mir sind nur noch die fürs Laufen notwenigen Hirnregionen aktiv. Ich versuche beim Vorbeilaufen ihre Hand zu berühren, strahle sie an, schaffe es nicht sie zu berühren und laufe weiter. Einerseits bin ich beglückt sie getroffen zu haben. Ihr Strahlen hat mir in diesem Moment gut getan. Aber es dämmert mir beim weiter Laufen, dass ich hätte anhalten sollen, aber ich kam einfach nicht auf die Idee. Viel zu fokussiert war ich. Sie wird es mir nachsehen hoffe ich.
Unten kommt wieder die Verpflegungsstation von vorhin. Ich rechne fest damit den fiesen Berg hinauf zu müssen, nehme ein Gel zu mir, trinke Wasser – Cola und frage nach. „Nein, Ihr habe die Berge jetzt hinter Euch. Ihr müsst jetzt rechts um den Berg herum“. „Gott sei Dank, Danke, Tschüss…“ und weiter. Irgendwie hätte ich den Berg mit seinen fiesen Passagen auch noch geschafft, aber ich bin Gott froh. Es geht einen schön eben Feinkiesweg in den Wald hinein. Im Wald erscheint plötzlich ein hübsches altes Herrenhaus, irgend ein Museum.
Der Weg geht eben, ich laufe flott, bremse mich etwas, schließlich habe ich noch 8 Kilometer zu laufen und ich darf mich nicht zu arg abschießen, nächste Woche will ich schließlich weiter trainieren. Nach einger Zeit überhole ich einen etwas jüngeren Ultraläufer. „Du hast dir dein Rennen besser eingeteilt!“ Mir ist sein Kompliment peinlich, ich antworte „ach jo, Zufall“. Er „mal geht es gut, mal schlecht, oder?“ Ich stimme zu und laufe weiter. Der Weg geht leicht bergauf, ich werde erheblich langsamer, muss schwer kämpfen. Laufen kann ich noch, meine bergauf – Lauffähigkeiten schwinden aber zunehmend und streben gegen Null. Stückweise gehe ich, stückweise laufe ich, dann gehe ich wieder um dann wieder zu laufen. Der Weg wird schmaler und trailiger. Vor mir sehe ich einige Läufer. Da ich mich nicht völlig abschießen will, lege ich es nicht darauf an, sie in jedem Fall zu überholen.
Der Weg wird noch trailiger, wieder liegt ein Baumstamm quer über dem Weg. Er kommt mir bekannt vor: Also sind wir jetzt auf dem gleiche Weg wie zu Beginn des Keltentrails. Der trailige Weg mündet wieder auf einen glatten hindernisfreien Weg und es geht bergab. Wieder kommen die Häuser des Dorfes. Ich nehme meine Kraft zusammen. und laufe weiter Ein Läufer ist einige Meter vor mir. Ich bleibe hinter ihm, will mich nicht für eine Platzierung völlig abschießen. Es geht zum Eingang zur Ehrenrunde um den Fußballplatz herum ins Ziel. Ich bekomme eine wunderschöne Medaille umgehängt, trinke Cola und hole mir mein Finishershirt. Da es sehr kalt ist und ich fürchte krank zu werden, gehe ich zum Auto und ziehe mich um. Auf dem Rückweg kommt mir Hermann entgegen. Er wurde mit 5:38:36 Stunden 60. männlicher Starter. Er zieht sich um. Danach trinken wir in Römhild noch einen Kaffee und essen Kuchen und fahren dann heimwärts.
Mit 5:20:56 Stunden bin ich 50. von 106 männlichen Startern. Mit meiner Leistung bin ich absolut zufrieden. Während des Laufes war ich sehr ruhig, gar nicht aufgeregt oder nervös, was ungewöhnlich für mich ist. Die ersten 20 Kilometer und auch nach einmaligem auf die Uhr Blicken bin ich den Rest der Strecke rein nach Gefühl gelaufen und zwar in einem guten Tempo, auch das ist neu für mich. Die vielen Höhenmeter habe ich für meine Verhältnisse gut bewältigt und weggesteckt. Meine Form geht zweifelsfrei nach oben. Ob es freilich für einen Dromos Athanaton mit 140 km und 3000 Höhenmetern reicht bleibt abzuwarten. Ob ich dort überhaupt starten kann, bleibt auch abzuwarten. Auch muss ich dann abschätzen ob ich für so ein Vorhaben ausreichend trainiert bin. Alles ist unsicher und bleibt im Fluss. Ich bin auch mehr als skeptisch, was meine Pläne im nächsten Jahr angeht. Ich möchte im Mai 2021 beim Olympian Race starten und werde auch darauf im Winter trainieren, aber ob dieses Rennen wirklich stattfindet ist mehr als unsicher, ebenso der Mauerweglauf im August.
Der Borderland Ultra ist ein perfekt organisierter Lauf. Die Strecke ist schön aber sehr schwer zu laufen, gerade beim Keltentrail sind einige Passagen nicht laufbar. Die Markierung ist nahezu perfekt. Zusätzlich sitzen noch an allen Weggabelungen Helfer. Die Verpflegungsstationen gibt es etwa alle 7 – 8 Kilometer und sind gut bestpckt. Die Einschränkungen (keine Duschen, nicht in einer warmen Halle sitzen) obliegen den behördlichen Auflagen und sind nicht dem Veranstalter anzulasten. Dieser hat eine wunderschöne Veranstaltung aus organisiert und bei Behörden durchgesetzt. Wie ich von Einheimischen hörte war das Wetter für lokale Verhältnisse gut, das war es auch, es regnete nämlich nicht.
Was bei mir bei diesem Lauf hängen bleibt und großartig ist: Gelaufen bin ich diesmal ganz nach Gefühl…..
Ich blicke den Berg hoch, sehe der Straße nach, wie sie sich gefühlt steil bis in den Himmel nach oben schlängelt und mir stockt der Atem ob des Anblicks…..
„Die ersten 26 Kilometer solltest du Kräfte sparen, weil es dann hier hoch geht“ sagt Udo. Kraxie hat schon die Pfeile für die Läufer auf die Straße gesprüht, alle 30 Meter einen Pfeil. Wir fahren den Berg hoch. „Und so geht es jetzt in etwa bis zum Ziel“ Irgendwann wird die Straße etwas flacher. „Hier kann man jetzt ausruhen“. „Udo, das ist eine Verarschung aber keine Möglichkeit zum Ausruhen“ antworte ich. „Jetzt müssen die Läufer durch diesen Hof hindurch, ich hatte aber nicht gedacht, dass dieser Weg so lange ist, das habe ich nicht mehr in Erinnerung“, meint Udo nachdenklich. Innerlich werde ich immer kleiner, wo eben noch Cornelius war, sitzt nun ein kleiner Junge, arm, einsam, allein und weit weg von zu Hause. Das „das wird schon irgendwie klappen“ Beschwichtigungsgerede hilft nun nicht mehr. ..
„Jetzt geht es hier rechts den Wald hoch, das ist für einige Hundert Meter recht unangenehm, steil und trailig, und dann geht es weiter bergauf bis zum Ziel, das ist ganz da oben“ sagt Udo und zeigt in die Wolken. Geschätzt sind wir jetzt bei Kilometer 36. Ich fühle mich klein, einsam und weit weg von zu Hause….
Einige Wochen vorher
„Hallo Cornelius natürlich kommst du zu mir, übernachtest bei uns und wir fahren dann zusammen. Die Unterkunft musst du übrigens stornieren, denn du wirst bei Kraxie übernachten….“ mailt mir Udo. Ich freue mich und maile ihm ein „sehr sehr gerne“ und habe somit einen tollen Kurzurlaub vor mir Also geht es Freitag Morgen auf die Autobahn in die Nähe von Augsburg zu Udo. Direkt nach der Ankunft Laufklamotten anziehen und zu einem schönen Wald mit vielen kleinen Seen fahren und gemeinsam mit Roxie 10 Kilometer laufen. Hinterher auf dem Balkon sitzen und Kaffee trinken, zusammen einen schönen Tag gemeinsam verbringen und über Persönliches sprechen. Später kommt Udos Frau Ines von der Arbeit und gesellt sich zu uns. Ines ist eine ganz tolle Frau, die sehr gut zu Udo passt, zusammen sind die beiden ein tolles Paar.
Am nächsten Tag fahren wir nach dem Frühstück nach Pöllau in die Steiermark. Nach 6 bis 7 Stunden Fahrt kommen wir bei Kraxie und seiner Frau Barbara an. Neben Kraxies Haus ist ein Pavillon aufgebaut, vor diesem ein großes Schild mit dem Schriftzug „Startunterlagen“. Vor dem Pavillon sitzen noch andere Vereinskameraden von Udo, die ebenfalls am Lauf teilnehmen, alles sehr nette Läufer. Insgesamt sind es neben Udo noch 9 andere Augsburger. Kraxie alias Hannes Kranixfeld und seine Frau Babsi begrüßen uns sofort warmherzig offen und nehmen uns mit einer Selbstverständlichkeit bei sich auf, die ihresgleichen sucht. Vom ersten Moment an fühlt sich der Kontakt zu beiden aber auch zu deren beiden Söhnen und zur Schwester von Babsi so an, als würden wir uns schon ewig kennen, als wären wir alte Freunde. Sämtliche andere Familienmitglieder wurden für diesen Lauf ausquartiert bzw in Zwangsurlaub geschickt, damit möglichst viele Läufer für den Lauf im Haus beherbergt werden können. Die folgenden 2 Tage wird es uns an nichts fehlen, sie beherbergen und verwöhnen uns auf eine Weise, die es so nicht gibt. Zum Abendessen hat Babsi neben Kürbissuppe Unmengen von Spagetti mit dreierlei Soßen (Hackfleisch-, Käse und eine sehr leckere Kürbissoße) kredenzt, dazu gibt es zudem drei Sorten Salat und wer wollte bekam hinterher Eis und die Biertrinker Bier. Nach dieser üppigen „Nudelparty“ gingen alle früh ins Bett.
Start
Als ich am nächsten Morgen um halb sechs Uhr aufstehe, steht in der Küche bereits ein riesiger von Babsi gedeckter Frühstückstisch mit allerlei Leckereien bereit, die keine Wünsche offen lassen. Es gibt Brötchen, Wurst, Käse, mehrere Sorten Marmelade, Frühstücksei und anderes. Zum Start geht es etwa 200 Meter über die Nachbarswiese. Es gibt 2 Startzeiten, 7 Uhr für die Langsameren und für die Schnellen 7.30 Uhr. Da ich hinterher im Ziel genug Zeit zum Duschen und Essen haben will und die Siegerehrung bereits um 14.30 Uhr stattfindet, starte ich deshalb um 7 Uhr. Udos Hund Roxie läuft heute ihren letzten Marathon. „Sie ist jetzt 13 Jahre alt und ich will nie erleben, dass sie bei einem Lauf umfällt, als Rudeltier wird sie solange mitlaufen, bis sie umfällt und ich habe Verantwortung für sie“ sagt Udo. Roxie sieht viele Menschen in Läuferbekleidung und kapiert sofort: es geht zur Jagd, das kann gar nicht anders sein, wofür rennt man sonst so viel und so lange. Sie spring bellend hin und her und freut sich. Ganz kurz vor dem Start ruft Udo sie zurück, sofort kommt sie und bleibt bei ihrem Herrchen. Kraxie zählt von 10 im Countdown hinunter, bei „0“ schießt er mit der Pistole in die Luft und es geht los. Schon morgens um diese Zeit deutet es sich an, dass es heute gut heiß werden wird. Am Himmel sind keine Wolken und schon jetzt ist es recht warm. Ich trage meine hellblauen Kompressionssocken, kurze Laufshorts, mein Vereinsshirt sowie zum Schutz vor der Sonne mein Kappie. In einem Gürtel transportiere ich 5 Gels.
Rennen
Nach dem Start geht es gleich leicht bergauf und nach kurzer Zeit in den Wald in der Nähe von Winzendorf auf einen trailigen Weg über einen Bach auf eine Wiese wieder in den Wald und dann auf den Asphalt . Ich laufe so langsam wie möglich und versuche Energie zu sparen. Steigungen tripple ich langsam hinauf. Innerlich bin ich hochkonzentriert und wie immer bei solchen Läufen tief in mich versunken wie in tiefer Meditation. Udo und Roxie sind schon einige Meter hinter mir, dieses Mal läuft jeder für sich.
Foto ist von Dieter Schaab
Bei Kilometer 5 gibt es die erste Labstelle wie die Verpflegungsstationen in Österreich heißen. Weil der Schweiß schon jetzt in Strömen fließt, zum Start hatten wir 26 Grad Celsius, später würden wir zwischenzeitlich mehr als 30 Grad haben, trinke ich 2 Becher Wasser, bedanke mich freundlich und laufe weiter. Die nächsten Kilometer geht es hoch und runter im Wechsel, tendenziell aber mehr nach oben und mit jedem Meter Höhengewinn wird die Aussicht schöner. Einerseits sieht man hinunter ins wunderschöne Pöllautal, andererseits sieht man mit dem Höhengewinn die grünen Hänge der gegenüberliegenden Berge, Obstbäume und Kühe. Die Steigungen sind sehr beschwerlich zu laufen, das von Udo angeratene Kräfte Sparen fällt mir schwer. Seit dem Night52 in Bretten vor 14 Tagen habe ich einmal Höhenmeter trainiert, bin die Hohe Derst, ein 3 Kilometer langer asphaltierter Waldweg mit 300 Höhenmetern 3 Mal hochgelaufen und hatte so die halbe Sommeralmdistanz und -höhenmeter trainiert. 2 Tage danach ging es mir schlecht, Treppenstufen konnte ich kaum hinauf- oder hintergehen. Dieser Zustand hielt bis 2 Tage vor dem Sommeralmmarathon an. Verletzungsbedingt hatte ich den Formaufbau sehr behutsam vorangetrieben, Saisonhöhepunkt ist Ende Oktober der Dromos Athanaton, 140 Kilometer und 3000 Höhenmeter, sofern die Coronaumstände mir erlauben, an diesem Lauf teilzunehmen. Von daher sehe ich den Sommeralmmarathon als Aufbauwettkampf. Deswegen bin ich aber alles andere als gut für den Sommeralmrathon mit seinen 1800 Metern Steigung und den 800 Metern downhill vorbereitet. Bereits bei Kilometer 11 fliegt Florian förmlich an mir vorbei begleitet vom Begleitfahrrad des Führenden. Florian wird dieses Rennen mit einer fantastischen Zeit von 3:25:40 Stunden mit genau 4 Sekunden Vorsprung gewinnen.
Foto ist von Dieter Schaab
Es geht durch einen Bauernhof wieder auf Wiesen teilweise mit Obstbäumen teils mit Kühen bevölkert. Danach geht es steil hinunter zur Bundesstraße, diese eine Weile entlang laufen, bis man zum Gschaider Sattel kommt und dem zugehörigen Baumdenkmal. es ist eine mehrere Hundert Jahre alte Winterlinde, die majestätisch über der darunter liegenden Labstelle thront. Ich nehme 1 Gel, 1 Wasser, 1 Becher Isoplörre, die gar nicht so süß schmeckt wie sonst – angenehm, 1 weiteren Becher Wasser in meinen Mund und einen Becher Wasser über meinen Kopf als Kühlung, dann weiter. Inzwischen bin ich bei Kilometer 17. Eine Weile geht der Weg einigermaßen eben mit einem tollen Panorama. Bald kommt aber die nächste Steigung und bei Kilometer 23 im angenehm kühlen Wald ein schwer zu laufender Fuß schredernder Bergabtrail, dazwischen leichte Gegenanstiege mit Wiesenabschnitten. Schließlich kann ich weit unten Häuser und die Sommerrodelbahn ausmachen, ab wo dann das Grauen wartet, die große Steigung, die mir Udo am Tag zuvor gezeigt hatte. Ganz unten muss zuerst eine viel befahrenere Bundesstraße überquert werden, dann wartet bei den Häusern eine weitere Labstelle. Wieder 1 Gel, 1 Wasser, 1 Becher Iso, noch 1 Becher Wasser zum Trinken und ein weiterer über den Kopf.
Foto ist von Dieter Schaab
Berg
Ein Mann steht mit laufendem Gartenschlauch auf seinem Grundstück und bietet jedem Läufer eine kühle Dusche an. Ich lehne ab, bedanke mich und mache mich an den Anstieg. Ich verfalle in den Trippelschritt, meine Schritte werden immer kleiner und trippeliger und noch trippeliger und dann gehe ich wie alle anderen auch. Vorbei an Häusern zu Wiesen, Wäldern und einer fantastischen Aussicht. Mal ist die Straße steil, mal noch steiler, mal etwas flacher. Immer wieder, wenn es etwas flacher wird laufe ich einige Hundert Meter um danach wieder zu gehen, was wegen der enormen Steigung ebenso anstrengend ist. Dazwischen kommt eine Labstelle. Mein Bauch fühlt sich komisch an, also kein Gel, nur trinken, den Kopf abkühlen und weiter. Mit dem Gehen habe ich mich abgefunden, selbst das ist enorm anstrengend, auch hier muss ich mir jeden Schritt erkämpfen. Ein Pärchen geht etwas langsamer, ich bin etwas schneller komme ihm immer näher. Ein kleines Stückchen gehen wir zusammen. „Ist das nicht ganz fantastisch?“ fragt sie mich. „Ja“ antworte ich, „aber wahnsinnig anstrengend. Die Aussicht ist jedoch fantastisch“, dann gehe ich schneller weiter, laufe wieder einige Hundert Meter. In Salleg kommt eine weitere Labstelle, der Anstieg geht weiter. Nach einer gefühlten Ewigkeit es vorerst geschafft, 600 Höhenmeter am Stück sind absolviert. Irgendwo hier steht plötzlich am Wegesrand ein von Kraxies Helfern befestigtes Schild auf dem „Die vor dir sehen genauso Scheiße aus“.
Für die nächsten 3 Kilometer kann ich meine geschrederten Beine und Füße zum Laufen animieren, weil es nicht mehr bergauf geht. Almwiesen und Waldabschnitte wechseln sich ab. Ich laufe was das Zeug hält, meine Uhr zeigt 5 Minuten pro Kilometer an. In meinem Inneren tönt eine Sportmoderatorenstimme wie sie bei Sportübertragungen oft zu hören sind: „und läuft mit kräftigen Schritten, pumpt mit jedem Atemzug viel Sauerstoff ins Blut, was vom Herzen in die Beine transportiert wird, wodurch er nur so über den Asphalt fliegt“. Ich muss schmunzeln, den schrägen Humor meines Unterbewusstseins bin ich ja inzwischen gewohnt. Ich lausche den Kommentaren und laufe was das Zeug hält. Obwohl ich am absoluten Limit bin, mir in der Hitze jeden Schritt erkämpfen muss,, meine Beine schmerzen, genieße ich diesen Lauf, diese Situation hier und jetzt,bin im Reinen mit mir. Ich genieße, was ich tue, fühle mich geehrt und privilegiert, an einem solchen Lauf teilnehmen zu können. Natürlich gibt es trotz allem Schönen Momente, in denen ich mich kurzzeitig ob der ungeheuren Anstrengung über den Ar…l…dr…s…berg aufrege, aber das sind nur kurze Momente.
Foto ist von Dieter Schaab
Eine weitere Labstelle, mein üblicher automatisierter Boxenstop diesmal mit Gel und dann geht es von der Straße weg in den Wald. Ich bin bei Kilometer 37 und habe jetzt noch 350 weitere Höhenmeter vor mir. Im Wald wird es steil und trailig, selbst das Gehen ist schwer. Dann nach einigen Hundert Metern aus dem Wald heraus auf eine Wiese zur letzten Labstelle vor dem Ziel mit meinem üblichen Boxenstop nur ohne Gel. Nun folgt eine frequentierte Bergstraße. Ganz links gehe ich so schnell es geht hinauf, zugleich kommen etliche Touristen- und Ausflugsautos herunter. Diese müssen anhalten, da sie wegen dem bergauffahrenden Verkehr nicht auf die andere Fahrbahn wechseln können. Wir alle behindern uns gegenseitig gleichermaßen. Es ist anstrengend, ich muss mich enorm konzentrieren, fühle mich aber sicher.
Finish
Jetzt komme ich aus dem Wald heraus auf ein unbeschreibliches Panorama. Hinter Wiesen, Tälern sieht man ein Panorama, das seinesgleichen sucht. Aber viel wichtiger: Man sieht das etwa 2 Kilometer entfernte Ziel und hört den Sprecher, der die eintrudelnden Läufer ankündigt. Auch gibt es so gut wie keine Steigung mehr, also lege ich einen Zahn zu und laufe so schnell wie ich nur kann. Jeder Schritt schmerzt, Beine schwer. Die Knie fühlen sich so an, als würden sie bald zu machen. Ich bin komplett durchnässt, dennoch genieße ich jeden Schritt, den Kampf, bin eins mit dem was ich mache. Das Ziel rückt immer näher, ein Sprecher kündigt mich den auf der Terrasse der Berghütte Sitzenden an. ich blicke mich um und wechsle auf die andere Straßenseite, biege ab und laufe nach 5:05:43 als 53. Läufer ins Ziel.
Foto ist von Hannes Kranixfeld
Florian, der das Rennen gewann, wird von mir die gesamte übrige Zeit nicht mehr mit seinem Namen angesprochen, sondern ich nenne ihn jedes Mal „Champion“ und jedesmal strahlt er mich mit seiner bescheiden – sympathischen Art an. Sybille wurde 2. Frau, Barbara 4 und Andrea 7. Frau. Udo benötigte 5:32 Stunden bei Roxies Abschiedslauf.
Danach
Der Lauf ist hier noch nicht vorbei. Ein Transporter fährt uns Läufer zu einem Hotel, wo wir am Vortag unsere Autos abgestellt hatten. Im Hotel duschen wir im Wellnessbereich und bekommen ein im Preis inbegriffenes Buffet. Danach werden auf einer Freilichtbühne alle Finnisher geehrt. Hinterher werden Preise per Tombola über die Startnummern verlost. Abends gehen wir in eine österreichische Stube wo die gesamte Familie Kranixfeld zu einer Brotzeit eingeladen wird. Mit Wein, Käse, Schinken und selbstgebackenem Bauernbrot klingt der Abend aus. Am nächsten Morgen wieder das riesige Frühstück mit allem drum und dran bevor es heimwärts geht. Glücklich und angefüllt fahre ich nach Hause. Kraxie hatte im Vorfeld angekündigt, diesen Wettkampf nicht mehr durchzuführen. Jedoch wurde er bei der Finisherehrung mit donnerndem Applaus motiviert bzw unter Druck gesetzt, ihn im nächsten Jahr doch wieder durchzuführen. Kraxie ließ es sich offen…
Der Sommeralmmarahton ist ein Laufwettbewerb, der seinesgleichen sucht. Alles aber wirklich alles war in jeglicher Hinsicht perfekt organisiert und fantastisch.
Für mich war der Sommeralmmarathon einiges: Ein schöner und abwechslungsreicher Kurzurlaub, eine Begegnung mit tollen Menschen bzw anderen Laufbekloppten, wobei Eckard, ein anderer Ultraläufer dazu sagte „Nein, WIR sind die Normalen….“. Vor allem war dieser Lauf für mich eines: eine Grenzerfahrung: Mir wurde klar eine Grenze aufgezeigt, auf die ich gestoßen bin. Um diese zu verschieben oder überschreiten, um meine künftigen läuferischen Ziele und Träume zu verwirklichen, muss und will ich das, will und darf ich genau das trainieren: Höhenmeter.
Sie: „Ich steche Ihnen jetzt drei Nadeln in die Fußsohle und Sie sagen, welche am meisten wehtut“. Ich: „Die zweite“. Sie „Dann steche ich diese tiefer in Ihre Fußsohle“. Ich „Aua“, sie „gut, dann sitzt es“. Ich: „Ich frage mich wofür das gut ist, was mir das sagen will. Ich habe mit dem Laufen und auch dem Muskeltraining komplett ausgesetzt, die Verletzung an der linken Ferse kam ja quasi von selber. Wofür ist sie gut? Nein innerlich habe ich das Olympian Race losgelassen, es könnte noch reichen aber ich lasse es los. 2020 werde ich da definitiv nicht teilnehmen. Theoretisch würde es reichen wenn ich ab Mitte März wieder voll trainieren könnte, aber ich lasse es los.“ Sie: „Das ist gut, das nimmt Ihnen Druck. Ich frage mich auch das gleiche wie Sie: Was Ihre Ferse von mir will? Erst kam die Bänderdehnung am rechten Knie, OK, Sportverletzung. Aber die linke Fußsohle? Sie sind ja nicht gelaufen, haben kein Athletiktraining betrieben. Was will Ihre Ferse von mir?“ Ich einige Nadeln später: „Ich habe so eine vage Idee. Wegen der riesigen Feuchtigkeitsprobleme an unserem Haus habe ich in den letzten Jahren wahnsinnig viel gearbeitet, einfach weil lange nicht sicher war, ob uns das finanziell das Genick bricht. Lange Zeit wussten wir nicht wie viel Geld die Sanierung kostet, zwischenzeitlich lagen Summen von 200.000 Euro im Raum. Als Gegenpol bin ich zeitgleich vom Marathon zum Ultralaufen umgestiegen, bin im August 2019 in Berlin den Mauerweg gelaufen“. Sie nach einigem Schweigen: „Eigentlich haben Sie damit die eine Sucht mit der anderen ersetzt!“ Ich nach längerem Schweigen: „Ich bin aber nicht laufsüchtig, ich kann ja aufhören, sonst wäre ich nicht hier und würde weiterlaufen.“ Aber die Aussage mit der Sucht von ihr arbeitet arbeitet in mir…
Zwei Wochen später bei der nächsten Akupunktursitzung ich: „Ihre Aussage ich hätte eine Sucht durch die andere ersetzt fuxt, ja, ärgert mich. Laufsüchtig bin ich nicht, aber Sie haben recht, das Arbeiten ist sehr extrem, und das Laufen ist schon der Gegenpol. Ich habe nicht mehr so genau in mich hineingespürt um das viele Arbeiten auszuhalten. Das ist eine Art subdepressiver Zustand. Und ich glaube, wenn ich so weiter mache, ist es eine Frage der Zeit bis es gesundheitlich knallt. Ich will mein Leben umstellen. So sehr mich Ihr Satz ärgert, so wichtig ist er.“
So hat sie mich in eine heftige persönliche psychische Krise gestoßen bzw. genauer gesagt, ich habe mich von ihr stoßen lassen. Durch die Verletzung wurde mir meine Hauptressource genommen, das Laufen. Dadurch wurde der Leidensdruck größer, konnte ich ihm nicht weglaufen. In der Folge wurde Alles was mir wichtig ist und war, in Frage gestellt. Und ohne Laufen wurde ich komplett auf mich zurückgeworfen. Eigentlich genial. Es war nötig und gut so, Danke.
WETTKAMPF
Mit rekordverdächtig schlechter Vorbereitung reise ich zum Night52 nach Bretten. Nach meinen beiden Verletzungen Anfang 2020 hatte ich aus Vorsicht meinen Formaufbau sehr vorsichtig vorangetrieben, um keinen Rückfall zu bekommen. So hatte ich im Training gerade mal drei 35 Km Lalas mit jeweils 400 Höhenmetern absolviert und jeweils 65 – 90 Wochenkilometer trainiert.
Udo wird kommen, mit ihm will ich ein Stück weit zusammen laufen und auch der Herr Schauläufer hatte Andeutungen gemacht zu kommen, was mich freut. Udo schätze ich als Läufer und Mensch sehr. Ich halte ihn für ähnlich bekloppt wie mich, auch tickt er ähnlich wie ich was die Einstellung zum Laufen angeht. Jedoch hat er schon alles erreicht, was ich noch erreichen will.
Meine Zielsetzung ist es diesen Lauf zu finishen und die Landschaft zu genießen. Die Zeit ist -man höre und staune- sekundär, Hauptsache ankommen.
Alle Utensilien habe ich gerichtet, aber ich habe abschließend nicht meine Kamera kontrolliert, Akku leer, also keine Fotos. Mist, selten dämlich, also die Kamera schnell zu meinen anderen Sachen gebracht und ohne loslaufen. Gibt es halt keine Fotos.
Aus coronamäßigen Gründen ist der Veranstalter verpflichtet, auf Einhaltung der Abstandsregelung zu achten. Auch gibt es einen fliegenden Start, ab 16 Uhr starten alle 10 Sekunden drei Läufer. Auch wurde die Teilnehmerzahl auf 99 begrenzt, so dass beispielsweise Laufkumpel Hermann keine Startplatz mehr ergattern konnte.
Start
„Udo, du machst egoistisch dein Ding und ich meines und wir sehen, wie lange wir zusammen laufen“ sage ich „und wenn es dir zu langsam ist, läufst du los“ sagt Udo. Kann ich mir aber nicht so recht vorstellen. Letztes Wochenende musste ich wirklich kämpfen bei meinem 35 Km Lala mit nur wenigen Höhenmetern.
Foto ist von Udo Pitsch
Udo und ich reihen uns recht weit hinten ein, wünschten uns Glück, kommen langsam nach vorne, bis wir an der Reihe sind und laufen los. Den ersten Kilometer geht es durch Bretten vorbei an Häusern, die nicht wirklich schön sind. Sonst gibt es eine weitere Schleife durch Bretten, heute nicht. Direkt am Rand von Bretten geht es los mit der ersten Steigung. Sofort wird Udo langsamer und trippelt leichtfüßig langsam den Berg hoch. Ich tue es ihm gleich und lerne. Alleine wäre ich zu schnell gewesen, was ich später hätte büßen müssen. Wir laufen schweigend nebeneinander und genießen die wunderschöne Kraichgaulandschaft. Wiesen, Obstbäume, Felder und Wälder wechseln sich ab. Es ist sehr heiß, beim Start hatten wir 27 Grad und der Asphalt reflektiert die Hitze auch noch von unten. Deswegen habe ich zum Schutz mein Laufcappy an, in meinem Gürtel 4 Gels und eine Trinkflasche. Eigentlich vertrage ich keine Gels aber bei Kurzdistanzen wie dieser schon. Sobald eine Steigung endet, geht es ein kurzes Stück herab und dann wieder bergauf. Udo und ich sind ähnlich schweigsam, scheinen ähnlich autistoid veranlagt zu sein bei Wettkämpfen.
Bei Kilometer 7 in Sprantal kommt die erste Verpflegungsstation. Ich fülle meine Flasche mit halb Wasser und halb einer süßen Isoplörre und gehe die Flasche leerend weiter. Udo nimmt Gel, trinkt und kommt irgendwann nach, wir laufen weiter.
Foto ist vom Veranstalter
Bergauf bin ich meist einige Meter vor Udo und bergab legt er ein enormes Tempo vor, was mich fordert. Wahrscheinlich erlebt er das anders, aber so kam es mir vor. Wir reden fast kein Wort, laufen und genießen. Ich fühle mich gut, freue mich, endlich wieder längere Strecken zu laufen, das tun zu können, wonach meine Atome sich sehnen, weiß aber nicht, wie lange das Gefühl so bleibt.
Oberstes Läuferisches Glaubensaxiom
Für die nächsten Kilometer geht es so gut wie die ganze Zeit bergauf. Ich genieße das Laufen, kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, so insgesamt 52 Kilometer durchhalten zu können. Muss ich auch nicht. Was ich bei meinen überlangen Ultraläufen der letzten Jahre gelernt habe ist, dass es völlig egal ist, ob ich mir vorstellen kann zu finishen, oder nicht. Wichtig ist, jetzt kann ich (noch) laufen, also laufe ich. Und den Rest sieht man dann später. Für die ersten 10 Kilometer brauchen wir 66 Minuten, laufen also langsam genug.
Etwa bei Kilometer 12, kurz vor Neulingen endet die lange Steigung und es geht endlich einmal für längere Zeit eben oder bergab. Am Ende vom Dorf Bauschlott bei Kilometer 16 kommt die zweite Verpflegungsstation. Ich nehme ein vom Veranstalter bereit gelegtes Gel, trinke wieder die Mischung halb Isoplörre halb Wasser und gehe voraus bis Udo angelaufen kommt. Es ist Udos oberste Regel bei einem Wettkampf jeden Meter laufend und eben nicht gehend zu absolvieren. Während ich meine Flasche gehend trinke, frage ich mich, ob das nach Udos Regeln erlaubt ist, ich denke aber schon, das Gehen dient ja dem Zweck zu warten bis er kommt. Es dürfte also keine 7 Jahre Fegefeuer für mich geben…..
Foto ist von Udo Pitsch
Beine jetzt schon schwer
Meine Beine werden schwerer, egal, noch kann ich laufen. Weiterhin laufen wir in einer wunderschönen Landschaft durch Obstwiesen, Getreidefelder und Wildblumenwiesen und auch an einem Teich vorbei.
Für die zweiten 10 Kilometer brauchen wir 62 Minuten, da waren aber auch kaum Steigungen. Zwischen den nächsten beiden Verpflegungsstationen liegen 10 Kilometer, da muss ich genug trinken. In Knittlingen bei Kilometer 23 nehme ich ein eigenes Gel, meines ist besser, trinke zwei Flaschen, eine direkt am Stand, die andere gehend trinkend vor bis Udo angelaufen kommt, dann laufen wir gemeinsam weiter. Die Beine werden immer noch schwerer, allmählich muss ich mir jeden Schritt erkämpfen. Oh Mann, wenn du jetzt schon kämpfen musst, kann das ja nie etwas werden. Die Beine tun weh, der rechte Fuß schmerzt, der untere und obere Rücken auch…..
in die Krise und wieder heraus
Es muss etwas geschehen, ich muss etwas tun, so kann das nicht weiter gehen. Ich achte auf meinen inneren Dialog der „Oh Mann, alles tut weh, das kann nichts werden, jeder Schritt tut weh…“ lautet. Das ist nicht sehr hilfreich. Also ändere ich ihn in „bei jedem Schritt atmest du ruhig und tief viel Sauerstoff, das direkt ins Blut kommt und vom Herzen in deine Beine gepumpt wird und die Beine werden dadurch ganz leicht und du gleitest jeden Schritt leicht und mühelos dahin, setzt einen Schritt vor den anderen, völlig geil, und merkst nicht, wie die Kilometer dahinschmelzen“ (diese Technik stammt von Michele Ufer, kann man in seinen Büchern nachlesen zb in „Mentaltraining für Läufer“. Man sucht sich sogenannte Resourcensituationen, beispielsweise ist das Tauchboot, welches ich im nächsten Abschnitt erwähne, eine Resourecensituation für absolute Gelassenheit. Diese Situationen kann man im Körper „verankern“ und bei bedarf -also im Wettkampf- abrufen und dieses Gefühl per Selbstsuggestion quasi aktivieren). Unmerklich bin ich tatsächlich schneller geworden, laufe etwas schneller als 6 Minuten pro Kilometer und es geht auch etwas leichter. Ich drehe mich um und sehe, dass sich der Abstand zwischen Udo und mir vergrößert,. OK, es war eine schöne Zeit mit ihm, ich habe viel gelernt bei diesen 26 gemeinsamen Kilometern in Sachen konstant Laufen und vor allem in Sachen bergauf Laufen, Danke Udo, läuferisch bist du ein absolutes Vorbild für mich.
Foto ist vom Veranstalter
Ich laufe weiter, es geht wirklich schneller, die Schmerzen und Müdigkeit sind nicht mehr so im Fokus sondern mehr die Leichtigkeit. „…und bist gelassen wie auf dem Tauchboot in Thailand, zuversichtlich wie bei Kilometer 63 beim Karlsruher Nachtlauf und glücklich wie beim Finish beim Mauerweglauf, völlig geil läufst du leichtfüßig und atmest ruhig, gleichmäßig und tief viel Sauerstoff ein, der sofort im Blut vom Herzen in die Füße gepumpt wird, wodurch diese ganz leicht einen Schritt nach dem anderen machen fast wie von selber und die Kilometer schmelzen nur so dahin…“.
Umschalten
In Grossvillars bei Kilometer 34 nehme ich wieder ein eigenes Gel, trinke. Als ich weglaufe kommt Udo, wir sehen und grüßen uns und weiter gehts. Das Anlaufen ist mühsam, aber dann geht es. Weiterhin kommen regelmäßig kurze aber heftige Steigungen, weiterhin tripple ich sie in Udomanier. Und immer bei den Steigungen überhole ich gehende Läufer. Wie in Trance laufe ich weiter, genieße die nach wie vor spektakuläre Landschaft, momentan laufe ich an riesigen Obstwiesen vorbei. Irgendwie merke ich immer wieder, dass es plötzlich wieder mühsam ist, horche in mich hinein „…..schmerzende Beine, ganz schwer, wie soll ich das nur schaffen?…“, halt, falscher innerer Dialog, umschalten „…du atmest ruhig und tief bei jedem Atemzug viel Sauerstoff ein, der sofort vom Herzen in die Beine gepumpt wird, so dass deine Beine mit Leichtigkeit einen Schritt nach dem anderen machen und die Kilometer nur so dahinschmelzen, so läufst du bis ins Ziel und wirst da sogar noch einen Schlussprint machen…“, na also, geht doch. Jetzt bin ich auf einem Weinberg mit spektakulärer Aussicht. Mitten in den Weinberg ist eine kleine Hütte mit Terrasse platziert. Auf der Terrasse sitzen Menschen mit Wein und grüßen mich. Ich grüße zurück und konzentriere mich wieder auf meinen inneren Dialog. Ein Läufer der sehr schnell läuft, dazwischen aber immer wieder geht kommt immer näher. Ich grüße ihn, überhole ihn und weiter. Im Wald ist es schon recht dunkel, die Sonne wird bald verschwinden. Wieder eine fiese Steigung, wieder tripple ich sie hinauf, wieder überhole ich einen Läufer, wieder aus dem Wald heraus in eine spektakuläre Landschaft. Es sind noch etwa 5 Kilometer. „…leichtfüßig setzt du einen Schritt vor den anderen, bist zuversichtlich wie beim Karlsruher Nachtlauf bei Kilometer 65, gelassen wie auf dem Tauchboot in Thailand, atmest ruhig und tief und bei jedem Atemzug pumpt dein Herz den eingeatmeten Sauerstoff direkt in die Beine, die leichtfüßig einen Schritt nach dem anderen machen, völlig geil….“.
Foto ist vom Veranstalter
Finish
Eine Frau war schon längere Zeit in Sichtweite. Endlich erreiche ich sie. „Ich habe mich extra beeilt, als ich merkte, dass du kommst“ sagt sie. „Wir laufen zusammen und nicht gegeneinander, oder ist dir die Platzierung so wichtig?“ frage ich sie. „Ich bin Staffelläuferin und laufe nur 28 Kilometer“. „28 Kilometer sind aber auch eine Menge…“ antworte ich und laufe weiter. Bei der nächsten Steigung ist die Verführung zu gehen da. Auf der anderen Seite habe ich bisher Udos läuferisches Glaubensaxiom bei diesem Lauf erfüllt immer zu laufen, also tripple ich auch diese Steigung laufend hinauf. Jetzt geht es bergab nach Bretten und in Bretten durch die Fußgängerzone. Ich beschleunige auf 5:15 Minuten pro Kilometer, kämpfe mich durch die zahlreichen Menschen in der Fußgängerzone. In Cafés sitzende Menschen bejubeln mich, ich nehme es kaum wahr, will einfach schnell finishen. Nach der Fußgängerzone geht es einige Straßen entlang, dann in einen kleinen Weg zwischen Häusern, durch ein großes Tor zum Stadion. Ich beschleunige die Stationrunde und renne buchstäblich bis ins Ziel, hole mir die Medaille und gehe zu Sybille und Adam, zwei sehr sympathischen Vereinskameraden von Udo, die ich bei diesem Lauf kennengelernt habe. Sie sind läuferisch in einer anderen Liga als ich, Sybille wurde insgesammt zweite Frau. Udo kommt einige Zeit später auch ins Ziel. Vor zwei Wochen ist er beim Saarultra 100 Kilometer gelaufen in 12,5 Stunden und einige Wochen vorher an der Ostsee 125 Kilometer. Dienstag betrieb er Bergtraining, hatte Muskelkater bis genau einen T ag vor dem Night52. Es ist ein absoluter Wahnsinn zu was für Leistungen dieser Mittsechziger imstande ist. „Ich bin mein Experiment, ich finde heraus wie lange das so geht“ sagt er später beim alkoholfreien Zielbier.
Mit 5:24:11 werde ich 24., viel wichtiger ist, ich babe durchgehalten, mich mit positivem inneren Dialog aus dem Tief gekämpft und habe Udos läuferisches Glaubensaxiom erfüllt, bin erstmals bei einem Ultralauf- jeden Meter gelaufen. Ich bin glücklich wieder zurück zu sein, meine geliebten Ultradistanzen laufen zu können und habe trotz allem jeden Meter genossen.
Fazit
Der Night52 ist ein hervorragend organisierter Lauf, der durch eine wunderschöne Landschaft geht. Aufgrund der Steigungen ist er anspruchsvoll. Von den „Coronamaßnahmen“ fühlte ich mich nicht eingeschränkt, habe die Veranstaltung genossen. Sollte ich nicht im Urlaub sein, werde ich künftig gerne wieder starten.
Danke
Danken möchte ich ihr, meiner Ärztin Frau Dr. A. Schoppe-Mungai. Sie hat entscheidenden Anteil daran, dass ich wieder laufen kann und mich wieder mehr darauf konzentriere was ich will und mir gut tut. Sie hat mich geärgert und das war gut so. Danke.
Die Fotos sind von Udo (www.marathon.pitsch-aktiv.de) und vom Veranstalter, habe es jeweils drunter geschrieben. Beiden vielen Dank. Aber Udos Bericht zu diesem Lauf auf seiner Homepage ist in jedem Fall lesenswert.
Bei diesem Wettkampf sind einige wirklich schräge Dinge passiert. Ich schwöre euch hoch und heilig, dass ich alles so erlebt bzw. wahrgenommen habe, wie hier geschrieben. Nichts habe ich willentlich abgeändert oder hinzugefügt. Allerdings hat sich durch die massive Anstrengung meine Wahrnehmung zunehmend verschoben.
Und dann ist es soweit: Schritt für Schritt tripple ich wieder in den Ludwig-Jahn-Sportpark hinein, laufe die Ehrenrunde zum Ziel. Obwohl dunkle, späte Nacht sind sowohl am Eingang des Sportparks als auch im Ziel viele Menschen und applaudieren. Ich nehme alle Kraft zusammen um die Ehrenrunde zu laufen und nicht zu gehen. Erschöpft und überglücklich laufe ich über die Ziellinie direkt zu einer Bank, plumpse auf sie und bleibe erstmal sitzen und lassen Alles wirken. Ich bin eine super Zeit gelaufen, nah dran an der erträumten.
Diese Vorstellung habe ich in den letzten Monaten wieder und wieder vor meinem inneren Auge gesehen, sie mir während unzähliger Trainingseinheiten und auch nachts im Bett wieder und wieder vorgestellt und durchlebt. Dadurch ist sie immer realer geworden.
Heute möchte ich sie wirklich und echt in die Realität umsetzen, erleben und durchleben. 162 Kilometer, den ganzen Weg der ehemaligen Mauer entlang vom Ludwig-Jahn-Sportpark aus gegen den Uhrzeigersinn um Berlin nach Postdam über Checkpoint Charlie zurück wieder in den Ludwig-Jahn-Sportpark ins Ziel hineinlaufen. In tiefer Nacht werde ich in Berlin City um die feiernden Gestalten im Zickzack herum laufen müssen. Und das obwohl ich erst vor 14 Monaten meinen ersten Ultralauf finishte.
Ich freue mich total, dass es endlich losgeht, seit November letzten Jahres bereite ich mich auf diesen Lauf vor, alle Wettkämpfe seither waren letztendlich Vorbereitungs- bzw. Trainingsläufe für dieses Ziel, den Mauerweglauf, dem schwierigsten und längsten Laufes meines bisherigen Lebens. Und zum ersten Mal habe ich richtig die Hosen voll. Rein gefühlsmäßig ist ein Scheitern im Bereich des Möglichen. Natürlich kommt das nicht in Frage, solange ich einen Fuß vor den anderen setzen kann, werde ich das auch tun und ich habe viel Zeit, 30 Stunden, das muss ich schaffen. Die ersten 120 Kilometer kann ich in 14 Stunden laufen und hätte für den verbleibenden Marathon noch 16 Stunden Zeit, sagt der Kopf. Aber das ist meinem Gefühl, meiner Angst egal, Angst interessiert Logik nicht. Und der Unterschied zu meinen bisherigen Ultraläufen ist der, dass ich bei Ihnen wusste, dass ich irgendwie finishen würde, diesmal bin ich mir nicht völlig sicher.
Ich kenne mich. Wegen meines riesigen Ehrgeizes und meiner Angst hätte ich aus Unerfahrenheit viel zu früh viel zu viel trainiert, hätte mich eventuell verletzt oder Anfang Juli eine Bombenform gehabt und wäre Mitte August wie eine Primel eingegangen. Ich bin einfach noch zu unerfahren, fühle mich wie ein Greenhorn beim Veteranentreff. Deshalb habe ich Florian Reus engagiert als „Autorität“, die mich bremst, mir von ihm mein Training steuern lassen. Und es hat sich gelohnt. Gerade im Frühjahr war ich oft über die Trainingspläne erstaunt und dachte „ist das Alles?“. In den letzten 8 Wochen ging es aber dann richtig zur Sache. Erst kamen pro Woche neben einem Lala ein Milala (= Mittellanger Langer Lauf) hinzu und schließlich 2 Lalas in einer Woche. In Spitzenzeiten kamen manchmal 180 – 190 Wochenkilometer zusammen. Und der Kontakt zu Florian ist gut, ich lerne viel von ihm und mag ihn gerne, er ist so wunderbar bescheiden geblieben finde ich.
„Cornelius 100 Meilen sind eine komplett neue Welt, ganz anders als 100 Kilometer. Es geht darum, sich irgendwie zwischen Kilometer 100 und Kilometer 160 von Verpflegungsstation zu Verpflegungsstation durchzuschleppen und sich nicht vorstellen können auch noch 2 weitere Kilometer zu laufen – was anderes wird das nämlich in dieser Phase nicht sein (ich weiß wovon ich rede) – ohne komplett zu resignieren,“ mailte mir Florian im Vorfeld des Mauerweglaufes.
Mit meinem Sohn habe ich eine Wette laufen. Da ich in meinen ersten beiden Ultrawettkämpfen die ersten Kilometer harakirimäßig viel zu schnell angegangen bin, verpflichtete ich mich, sollte ich beim Mauerweglauf in den ersten 120 Kilometern mehr wie 2 Kilometer schneller als 6 Minuten pro Kilometer laufen (Ausnahme abschüssiges Gelände), den nächsten Kandelmarathon mit Eselsmütze zu bestreiten.
Wettkampftag
Um 4 Uhr hatte ich im Hotel groß gefrühstückt. Für uns Läufer wurde das Frühstücksbuffet um kurz vor 4 Uhr geöffnet, danach fuhr uns ein Bus zum Ludwig-Jahn-Sportpark. Ich hatte viel gefrühstückt. Bei diesem langsamen Lauftempo kann ich die ersten Stunden mit vollem Bauch gut laufen, das mache ich zu Hause im Training auch oft. Es sind ja auch noch 2 Stunden bis zum Start.
Gegen 5.30 Uhr sitze ich mit einem Kaffee in der Hand auf einer Bierbank vor dem Ludwig-Jahn-Sportpark und rede mit Mike, Klaus und Udo. Mike und Klaus kenne ich aus dem Internet. Mit beiden entsteht sofort ein guter Draht als würden wir uns schon ewig kennen. Mit Udo ist der Draht sowieso gut. Diesmal durfte ich sogar seine wunderbare Frau kennenlernen.
Innerlich bin ich angespannt wie noch nie vor einem Lauf, habe wirklich „die Hose voll“. Die Gespräche mit diesen tollen Menschen lenken mich ab. Ich fühle mich nicht allein, eher wie unter Freunden und das obwohl meine Familie viele Hundert Kilometer entfernt in der Südpfalz zu Hause ist.
Im Internet wird der Start des Mauerwegs live übertragen. Meine Frau ist aufgestanden und wird meinen Start live im Bett hinter dem Laptop verfolgen. Auch will sie meine Zwischenzeiten verfolgen. Bei jeder Verpflegungsstation wird die Zwischenzeit live im Internet veröffentlicht, so wird meine Familie zu Hause mitfiebern. Es tut gut das zu wissen. Um kurz vor 6 Uhr gehen wir in den Sportpark hinein zum Start. Es ist leichter Regen und viel Wärme für heute angesagt. Ich trage mein Vereinsshirt, eine kurze Hose und Kompressionssocken. Ernährungstechnisch habe ich mich für Bewährtes entschieden. In einer Gürteltasche habe ich Salzkapseln und einige Beutel des so ziemlich einzigen Kohlenhydratpulvers deponiert, dass ich vertrage. Dazu 2 Ersatzgels derselben Firma und eine Trinkflasche, in die ich schon die erste Portion des Kohlenhydratpulvers eingefüllt habe und mein eingeschaltetes Handy. Man musste bei der Abholung der Startunterlagen seine Handynummer hinterlegen. Im Briefing wurde darauf hingewiesen, dass es sein kann, dass die Rennleitung einen anruft. Wer nicht erreichbar ist, wird disqualifiziert. Zum Schutz vor Regen und Sonne habe ich mein Laufcappy aufgesetzt. In der Hand halte ich meine kleine Kamera.
Zu drei Dropbagstationen auf der Strecke konnte man persönliche Dinge in so genannten Drobags transportieren lassen. In die ersten beiden Dropbags habe ich weiteres Kohlenhydratpulver sowie 2 Ersatzgels bringen lassen, zur dritten Station Ersatzkleidung (Hose, Socken, Jacke, Ersatzschuhe) sowie meine Nachtausrüstung (Stirnlampe, Ersatzstirnlampe und eine Reflektionsweste) und natürlich weiteres Kohlenhydratpulver. Beim Briefing wurden wir darauf hingewiesen, dass das Tragen einer funktionierenden Stirnlampe einer reflektierenden Warnweste Pflicht ist. „Wer das nicht hat wird aus dem Rennen genommen. Wenn eine Stirnlampe aus technischen Gründen nicht geht auch, das ist dann euer Problem“.
Das Rennen
Wie immer bei Ultraläufen geht der Start ziemlich unspektakulär von statten. Eine kurze Rede, der Sprecher zollt uns Läufern Respekt für unser Vorhaben, dann wird von 10 heruntergezählt und dann geht es los: Eine Runde durch den Ludwig-Jahn-Sportpark, dann aus ihm heraus an einem Stadion vorbei auf die Straßen zur Mauer bzw zum Mauerweg. Obwohl es sehr früh ist, stehen viele Leute am Ausgang des Sportparks und jubeln. Ich bekomme das kaum mit, bin weit weg, in mir, fokussiert, stelle mich auf die Anstrengung ein, die vor mir liegt. Bezüglich meiner Pace sind die ersten Kilometer die schwierigsten, da ich noch völlig angespannt und aufgeregt bin und in solchen Phasen des Rennes dazu neige, viel zu schnell zu laufen. Meine Uhr zeigt starke Paceschwankungen an. Mal bin ich mit 3 Minuten pro Kilometer unterwegs und dann wieder 9, obwohl meine Pace sich kaum geändert hat. Egal, einfach so gut es geht laufen. Die Laufrichtung ändert sich beim Mauerweg jedes Jahr, diesmal geht es gegen den Uhrzeigersinn, so dass die vielen Ampeln erst nachts gegen Ende des Rennens kommen. Wer bei Rot über die Ampel rennt, wird disqualifiziert und bei so gut wie jeder Ampel in den ersten Kilometern stehen Ordner, die das kontrollieren. Mir fällt es schwer bei jedem Grün wieder gleich die richtige Pace zu bekommen, zumal meine Uhr gerade heute so ungenau ist.
Panne
Schon nach wenigen Kilometern werden die Häuser weniger und es kommen erst Grünanlagen und dann immer mehr Bäume, schließlich dichter Wald.
Hier kommt der erste ungeplante Zwischenfall. Wieder und wieder fallen meine Kohlenhydratpulverbeutel aus meiner Gürteltasche heraus. Ausprobiert hatte ich zu Hause 3 Beutel, hier habe ich 4 und 2 Gels. Ich hebe sie immer wieder auf und laufe weiter, stopfe sie besser in die Gürteltasche hinein, bis sie wieder herausfallen. Ich ärgere mich über meine Nachlässigkeit und laufe weiter, kann eh nichts ändern.
Nach 1,5 Stunden ist es Zeit für die erste Ladung Kohlenhydrate. Ich fülle Wasser in meine Flasche, schüttle und trinke etwa die Hälfte gleich, den Rest nach und nach auf der Strecke. Natürlich nehme ich stündlich 2 Salzkapseln zu mir. Regelmäßig kann man Gedenktafeln von ermordeten Maueropfern sehen. Auch fühlt es sich ungut an, sich vorzustellen, wie beklemmend und öde die jetzt schöne Landschaft früher durch die Mauer ausgesehen hatte.
Nach einigen Kilometern geht es aus dem Wald heraus in ein Wassergebiet. In einem Seegebiet sind viele kleine Sportboote. Im Ruderclub Havel kommt eine weitere Verpflegungs- sowie die erste Dropbagstation. Ich habe genug Kohlenhydratpulver für die nächsten 40 oder 50 Kilometer, nehme mir deswegen nichts aus meinem ersten Dropbag und laufe weiter.
Etwa bei Kilometer 40 schließe ich zu zwei anderen Läufern auf, laufe einige Kilometer mit ihnen und rede mit ihnen. Von ihnen erfahre ich, dass wir mit einer 6er Pace unterwegs sind. „Wirklich?“ frage ich. „Meine Uhr spinnt, zeigt ständig schwankende Werte an“ sage ich. „Nein stimmt aber“ sagt er und fragt seinen Begleiter. „Wir sind schon seit einigen Kilometern mal leicht schneller mal leicht langsamer als 6 Minuten pro Kilometer unterwegs“. „Scheiße“ antworte ich, „dann habe ich wohl verloren“ und erzähle ihnen von meiner Wette. „Es sei denn die Verpflegungsstationen und Ampeln retten meinen Ar…“. „Das kann gut sein“ meinen sie, „warte doch mal ab“. Ich verabschiede mich von ihnen und laufe von nun an erheblich langsamer. Einen kurzen Moment schießt durch meinen Kopf der Gedanke, dass durch dieses hohe Tempo in den ersten 40 Kilometern das Ende dieses Laufs ganz hart wird, aber diesem Gedanken gebe ich keine Bedeutung und laufe so gut es geht erheblich langsamer weiter. Bei Kilometer 50 achte ich auf meine Zeit. Ich habe für diese 5:07 Stunden benötigt, geplant waren 5:30 Stunden, das sind Welten, das wird sich später definitiv rächen, ist mir in diesem Moment aber egal.
Fantasie
In Extremsituationen hat mein Unterbewußtsein des öfteren einen ziemlich schrägen Humor. Während ich langsam durch die wunderschöne Landschaft des Mauerweges entlanglaufe beschäftige ich mich mit der wohl verlorenen Wette. Ganz sicher bin ich mir zu diesem Zeitpunkt nicht, da ich an jeder Verpflegungsstation angehalten und getrunken habe. Ich bin aber immer so schnell wie möglich weiter gelaufen, habe versucht die Aufenthaltszeiten so kurz wie möglich zu machen. Während ich mich damit beschäftige, entsteht in meinem Kopf folgende surreale Phantasieszene:
Richter: „Die Anklage hat das Wort“.
Anklage: “Der Angeklagte ist ein nutzloses Element unserer Läufergemeinschaft, läuft seine Ultrawettkämpfe immer viel zu schnell ohne Sinn und Verstand und ist damit eine Schande unserer Ultraläufergemeinschaft. Chancen hat er viele bekommen sich zu bessern, sie aber nicht genutzt, auch hier bei einem 100 Meilenlauf läuft er wieder mal viel zu schnell. Ich halte ihn für nicht resozialisierbar. Ich beantrage, dass er als abschreckendes Beispiel für die anderen Läufer unserer Gemeinschaft dazu verurteilt wird, jede Trainingseinheit und jeden Wettkampf mit Eselsmütze zu bestreiten als Schandmahl.
Richter: “Was hat der Angeklagte dazu zu sagen?“
Ich: „Beim WHEW habe ich aber eine gute Pace geschafft. Zu Beginn eines Wettkampfes bin ich extrem aufgeregt und brauche DRINGEND eine Uhr mit genauer Angabe meiner Pace zur Kontrolle derselben. Diesmal hat meine Uhr gesponnen, dafür kann ich nichts und bitte deswegen um Gande“.
Anklage: „Einspruch, nichts als Ausreden. Gnade und zweite Chancen hat der Angeklagte genug gehabt. Er muss hart bestraft werden!“
Richter: „Ich verurteile den Angeklagten, den nächsten Bienwaldmarathon in Eselsmütze zu bestreiten!“ Nach dem Rennen muss ich mir meine Pace mal genau ansehen und sollte ich immer über 6 Minuten pro Kilometer liegen, gehe ich in Berufung“ denke ich mir.
Weitere Panne
Innerlich muss ich schmunzeln über diese Phantasie, hilft aber nichts, ich laufe weiter. Meine Beine sind erheblich schwerer geworden, ich muss mehr kämpfen. Es geht in einen hübsch angelegten Park vom Schloss Sacrow, der nächste Verpflegungsstand sowie die zweite Dropbagstation. Hier kann und muss ich weitere Kohlenhydratpulverbeutel aus meinem Dropbag holen. Ich gehe zum Dropbagstand, nenne meine Startnummer. Der Helfer geht zu den vorsortierten Beuteln, sucht, kommt wieder und sagt „bitte geh erst mal etwas trinken, ich muss genauer suchen!“. Gut, ich trinke und gehe zurück. Nach 5 Minuten kommt er zu mir: „Sorry ich kann ihn nicht finden, war da etwas Wichtiges drin?“ „Ja, das so ziemlich einzige Kohlenhydratpulver, dass ich vertrage“. „Kannst du was essen?“ „Ne, da muss ich kotzen, aber Pech so ist das nun mal, da kann man jetzt nichts machen“. „Du nimmst das aber locker“ sagt er. „Jetzt muss ich mich mit Limonade ernähren, so viel trinken, dass ich in keinen Kohlenhydratmangel kommen, aber so wenig, dass ich mich nicht übergeben muss“ denke ich mir. Erstaunlicherweise nehme ich das in diesem Moment als gegeben hin. Erst im Nachhinein fällt mir auf wie fokussiert ich da war. Ich laufe weiter, nicht wissend wie ich diesen Lauf beenden soll, merke aber in den folgenden Kilometern, dass mir das viel ausmacht. Also nehme ich mein Handy und rufe Simone an, entlaste mich hzw. „kotze“ mich (verbal) aus, erzähle ihr von meinem Leid. Zum Glück wusste ich in diesem Moment nicht, was noch kommen würde.
Simone hört mir zu, was mir guttut. Zugleich sagt sie mir, dass sie mich im Internet nicht findet, ich gebe ihr den Tip es bei Raceresult zu probieren. Ich sage ihr, dass das was jetzt kommt richtig hart werden wird und bitte sie und meinen Sohn Gabriel an mich zu denken. Sie antwortet, das ganz viele Freunde und Verwandte mitfiebern. Das rührt mich, ich danke ihr und lege auf.
Über die folgenden Kilometer weiß ich fast nichts mehr. Ich weiß noch dass es um einen See herum ging, durch ein paar Dörfer. Ich hadere mit meinem Schicksaal, bin extrem frustriert und laufe weiter. Meine Beine werden immer schwerer. Bei Kilometer 60 kommt die Gedenktafel des diesjährigen Maueropfers, Dieter Wohlfahrt, der vielen Menschen die Flucht in den Westen als Fluchthelfer ermöglich hat und dabei als sehr junger Mann erschossen wurde. Als Aktion konnte man seine Gedanken auf eine Karte schreiben und an ein Pinnwand pinnen. Ich bin so „weg“ bzw. „im Tunnel“, dass ich es nicht schaffe etwas zu schreiben. So bleibe ich kurz vor der Gedenktafel stehen, gedenke Dieter Wohlfahrt und bekunde meinen Respekt und laufe weiter.
Krise
Am Rande von Postdam passiert es: Ich kann nicht mehr, ich gehe. Wieder und wieder versuche ich zu laufen, schaffe es aber nicht. Während ich durch Potsdam wandere, rechne ich mir aus, dass ich wandernd gegen 3 Uhr das Ziel erreichen werde. Natürlich hatte ich mich bei der Zeitangabe total verrechnet. Die Aufenthaltszeiten bei den Verpflegungsständen hatte ich bei dieser Rechnung gar nicht berücksichtigt, auch nicht die enormen Wartezeiten an den roten Ampeln. Ich wundere mich, wie früh das ist, finde den Fehler nicht und gehe weiter. Insgeheim rechne ich damit, bis zum Ziel wandern zu müssen und programmiere mich darauf. Zur Unterstützung rufe ich Florian an, spreche auf Mailbox und bitte um Rückruf. 10 Minuten später bin ich mir absolut sicher zu finishen und spreche ihm erneut auf Mailbox und sage, dass sich das erübrigt hat. 10 Minuten später kommt eine Wattsapp – Nachricht. Florian schreibt, dass er wieder am Computer sitzt und mich verfolgt. Also rufe ich ihn an und berichte von meinem Leid und vom Entschluss notfalls die ganze Nacht durchzuwandern. Er bestätigt mich darin. „Du hast eine super Zeit, liegst gut im Rennen, sieh zu, dass du ins Ziel kommst, du wirst sehen, dass das ein ganz besonderes Erlebnis für dich wird. Und wenn du kannst, dann laufe. Je länger du wanderst, um so schwerer wird das Laufen“. Mich rührt es, dass selbst er mich über Internet verfolgt, ich bedanke mich und sage ihm, dass er sein Handy ausschalten soll, wenn er ins Bett geht, da ich auch ihm ein „Nachherfoto“ schicken werde. Er lacht und wir legen auf. In diesem Moment hätte ich ihn knutschen können.
Zwei Senioren kommen mir entgegen. „Wie kann man nur einfach so durch die Landschaft laufen immer weiter und immer weiter, das ist doch verrückt“ schimpft er in aggressiver Stimme zu seiner Frau. „Wärst du auch mal gelaufen, dann wärst du nicht so motzig aggressiv“ denke ich mir. Zugleich muss ihm in Sachen „verrückt“ recht geben.
weiter
Am Ende von Potsdam kommt der Königsweg. Auf den Boden haben die Streckenmarkierer gesprüht: „Ab hier 7 Kilometer keine Markierung, ab hier Weg 7 Kilometer weiter“. Ich probiere zu laufen und siehe da es klappt. Weil der Königsweg sehr wellig ist, kommen einige Steigungen die ich gehe, aber so gut wie alles laufe ich. Mit der Ernährung ist es eine Gradwanderung. Ich kann Limonade schon trinken, aber nicht bei zu langen Läufen. Also trinke ich bei jedem Verpflegungsstand etwas Grapfruitlimonade und trinke danach zu Verdünnung viel Wasser. Ab und an wird mir leicht übel, dann trinke ich einige Zeit weniger Limo und mehr Wasser. Dann bekomme ich wieder Hunger, dann trinke ich mehr Limonade. Ich beschäftige mich nicht mehr mit dem Kohlenhydratpulver sondern versuche zu finishen und lasse mich von den Umständen verhältnismäßig wenig ablenken.
nächste Panne
Aus dem Wald geht es auf den Fußgängerweg einer Straße. Genau auf der anderen Seite verschwindet ein Läufer. Die Straße führt zu einem Rondell. „Aha, führt der Weg ums Rondell“ denke ich mir. Aber es geht nach dem Rondell in eine andere Richtung weiter. Auf der anderen Straßenseite laufen viele Läufer zurück. „Das ist aber doof, denke ich mir, da hätten die aber auch kreativer bei der Streckenführung sein können“. Dann geht es links in einen Feldweg in eine Sporthalle, ein weiterer Verpflegungsstand. Das ist die Halle von Teltow, Kilometer 102. Ich bin nun so weit gelaufen wie noch nie in meinem Leben. Das Rennen ist aber noch nicht gelaufen. In meinem jetzigen Zustand sind 60 noch zu laufende Kilometer eine riesige Herausforderung. „Komm heil zu Kilometer 120, mogele dich dann zu Kilometer 140 durch und kämpfe dich dann bis ins Ziel“ sage ich mir immer wieder als Mantra. Die ganze Zeit sehe ich mich in Dunkelheit ins Ziel laufen. In Teltow gibt es Liegematten zum Ausruhen. Natürlich meide ich sie. Ich trinke und laufe weiter, keine Zeit verlieren. Die Aufenthaltszeiten werden erfahrungsgemäß mit dem weiteren Rennverlauf immer länger, da kann man viel Zeit verlieren. Deswegen immer möglichst schnell weiter.
Wieder geht es durch den Wald. Gehen und Laufen wechseln sich ab, ich laufe aber mehr als ich gehe. Bei Kilometer 112 kommt die dritte Dropbagzone. „Wenn die auch dort deinen Beutel nicht finden, musst du das Rennen aufgeben“, denke ich mir. Während Kilometer 112 unaufhaltsam näher rückt, steigt meine Nervosität. Die Verpflegungsstation bei Kilometer 112 kommt, keine Dropbags. Ich wundere mich und frage nach, keiner weiß eine Antwort. Anscheinend habe ich mich vertan. Also weiter zur nächsten bei Kilometer 120. Mein Handy klingelt. Simone. „Seit Kilometer 102 kommt im Internet nichts mehr von dir. Geht’s dir gut?“ „Ja“ sage ich und berichte kurz. Dann verabschieden wir uns.
Es geht durch ein Wohngebiet, dann durch eine wunderschöne Baum – Buschlandschaft aber auch an Autobahnen und Schnellstraßen entlang. Einige Ampeln haben 10 Sekunden grün und 3 Minuten rot – Phasen. Ich laufe und gehe. Eine Läuferin deren Alter ich auf Mitte – Ende 50 schätze läuft schon die ganze Zeit mit mir in einem wunderbar konstant langsamen Tempo aber mit einem enorm sauberen Laufstiel. Ich wundere mich, wie sauber sie noch laufen kann. Kurz vor Kilometer 120 eröffnet sie mir, dass sie Staffelläuferin ist und bei der nächsten Verpflegungsstation aufhört.
Dropbag 3
Die Verpflegungsstation kommt – wieder keine Drop Bags. Ich frage nach. Einer der Volunteers am Stand sieht nach und sagt mir, dass die letzte Dropbagstation in Teltow also bei Kilometer 102 war. Auch jetzt kann ich rückblickend nicht verstehen wie ruhig ich blieb. Ich sage „wir haben 20 Uhr, ab 21 Uhr sind Stirnlampe und Warnweste Pflicht, das wars dann wohl mit meinem Rennen“: Er sagt „Moment, warte mal“ und geht weg. Ich setze mich auf eine Bank und rede mit einem Staffelläufer. Der Volunteer kommt wieder, „warte Cornelius, das kriegen wir schon hin“ und verschwindet. Gefühlte 5 Minuten sitze ich, bin innerlich und äußerlich vollkommen ruhig. Der Volunteer kommt wieder mit jemand anderem. „Ich habe eine Lampe für dich“ sagte der Volunteer. „Aber es ist nur eine Brustlampe“ sagt der andere. „Wann kommst du ins Ziel?“ fragt er. „Ich bin tot, das kann dauern, ich denke es wird 2 Uhr“ sage ich. Wir verabreden, dass ich ihm seine Lampe auf dem Postweg schicke. Da ich mich außer Lage sehe, seine Adresse in mein Handy zu tippen erledigt er dies für mich. Er ist Radbegleiter eines anderen, schnelleren englisch sprechenden Einzelläufers. „Ich brauche aber auch eine Warnweste“ sage ich. „Moment“ sagt er, rennt weg und kommt 1 Minute später mit einer orangenen aus seinem Auto. „Gib sie im Ziel ab und sage dass sie von Mike von der Verpflegungsstation bei Kilometer 120 ist“. „Mike Tausend Dank, du hast mir den Ar… gerettet, du bist ein Schatz“, dann laufe ich beglückt weiter.
Auf den folgenden Kilometern treffe ich ständig meinen Retter, der mir die Brustlampe gegeben hatte. Der Läufer, den er begleitet, schwächelt, ich kann größtenteils laufen. „Du kommst ja wohl erheblich früher als 2 Uhr ins Ziel“ sagt der Radbegleiter. „Das hoffe ich“ antworte ich. Ich nehme wahr, wie sowohl die Prozessorleistung als auch der Arbeitsspeicher in meinem Kopf abnehmen. Mein Kopf verwandelt sich allmählich von einem Hochleistungscomputer in einen alten „Commodore 64“ (ein Computer der allerersten Generation). Immer wieder bemerke ich „moment, da ist etwas“. Dann überprüfe ich was da ist. „Jemand hat etwas gesagt“. Dann überprüfe ich, ob ich gemeint bin, wenn ja, versuche ich dem Gesagten einen Sinn zu geben. Wenn das klappt antworte ich, wenn nicht, frage ich nach. Dieser Vorgang dauert von Kilometer zu Kilometer länger.
Berlin
Es dämmert. Wir erreichen die Außenbezirke von Berlin. Nach einer großen Brücke geht es neben eine Autobahn. Dieser folgen wir für die nächsten Kilometer. Wieder treffe ich den Läufer mit dem Radbegleiter, dessen Brustlampe ich habe. Weil die Brustlampe an der Brust hängt, schwank durch meine Laufbewegungen der Lichtkegel, als wäre er völlig betrunken. Stört mich ungemein, ist aber Pech. Ich gehe, der andere Läufer auch. „What are we doing here?“ fragt der Läufer seinen Begleiter. „A craziness“ antwortet der Radbegleiter. „No, it´s an absolutely motherfucking craziness” antworte ich. Wir alle lachen, dann geht es weiter. Ich gehe, die anderen auch, ich bin aber etwas schneller. „Wow you have a fast walking pace“ sagt der andere Läufer, allerdings beginnt er schneller als ich los zu laufen, weg ist er, ich sehe ihn nicht mehr.
Gesichter
Seitlich am Rande des Weges sind immer wieder Gebüsche. In den Gebüschen gibt es Aussparungen. In einer der Aussparungen sehe ich plötzlich eine hässliche Fratze. Erstaunt blicke ich nach rechts und sehe sie nicht mehr. Lange musste ich überlegen, woher ich diese Fratze kannte. Erst am nächsten Tag fiel bei mir der Groschen: Es gibt einen James Bond Film mit Roger Moore in dem Vodoo vorkommt, ich weiß nicht mehr wie er heißt. Und mehrmals kommen in diesem Film lebensgroße Puppen vor mit hässliche Fratzen als Gesicht. Und genau diese sehe ich plötzlich. Ich wundere mich, gebe dem keine Bedeutung und wandere weiter. Immer wieder versuche ich zu laufen, das klappt aber fast nicht mehr, ein paar Hundert Meter, dann wandere ich wieder. Die Autobahn endet. Es geht in Richtung Innenstadt. Mike hatte mich schon von der Säufermeile in Kreuzberg gewarnt. Zuerst kommt ein schöner Park. Bei Kilometer 95 hatte ich einen sehr langsam gehenden sehr jungen Läufer mit gebücktem Kopf überholt und ihm Mut zugesprochen. Ich hatte gesagt „hey bleib am Ball, selbst wenn du ab jetzt nur noch wanderst kommst du rechtzeitig ans Ziel“. Ich treffe ihn wieder und wir laufen zusammen. Weil wir uns schon mehrmals begegnet sind bei diesem Lauf und wir auch jetzt schon wieder ein paar Kilometer zusammen. Ich zitiere ich ihm ein Filmzitat aus dem Film „der Gladiator“: „If we stay and fight together, we will survive“. Nach einiger Zeit läuft er alleine weiter.
Die Fratzen an Gebüschaussparungen und Hauseingängen werden häufiger. Ich gebe ihnen keine Beachtung, will einfach nur finishen. Wir sind in einem Wohngebiet für sozial Schwache. Es geht in einen Park. Dieser ist voll von feiernden, betrunkenen Menschen. In der Luft liegt ein starker süßlicher Geruch von Cannabis. Zwei Kiffer spreizen Zeige- und Mittelfinger bei ausgestreckter Hand, das „Peace-Zeichen“ der Kiffer. Dann geht es eine Straße an der Mauer entlang. Der Fußgängerweg ist voll von feiernden Leuten um die ich herumlaufen muss. Auch ist es extrem schwer die Pfeile der Wegmarkierung zu finden. Das ist kein Vorwurf an die Organisatoren. Diese haben in Sachen Wegmarkierung und auch in Allem sonst ganz hervorragende Arbeit geleistet. Nur war die Navigierung durch die vielen Leute und meine zunehmende Müdigkeit so schwer. Weiter geht es via Potsdamer Platz, Checkpoint Charly an allen historischen Plätzen der Mauer vorbei. Zwei Polizisten an der Britischen Botschaft applaudieren. Meine Uhr gibt ihren Geist auf. Die vorletzte Verpflegungsstation ist von Vietmanesinnen bewirtschaftet. Sie strahlen mich stolz an und versorgen mich. Es macht auf mich den Eindruck als seien sie richtig stolz uns Läufer versorgen zu dürfen. Toll. Wie immer bedanke ich mich und laufe weiter. Jetzt am Bundestag vorbei, dann durch Straßen zur letzten Verpflegungsstation. Ich lasse meine Flasche halb mit Wasser und halb mit Grapfruitlimonade füllen. „Jetzt hast du noch 5 Kilometer, genieße sie“ sagen mir die Frauen vom Stand. Sie blicken mich liebevoll an als wissen sie was es bedeutet 162 Kilometer zu laufen. „Ne, fürs genießen bin ich zu tot“ sage ich. „Dann geniße den Zieleinlauf“ sagen sie, „mache ich“. Selbst das Wandern fällt mir immer schwerer. Die ganze Straße ist eine Allee. Unter den Bäumen klebt der Boden. Bei jedem Schritt gibt es ein komisches „Plopp-Geräusch“. Die Fratzen werden häufiger, ich beachte sie nicht, nur weiter, immer weiter bis ins Ziel.
Obwohl ich als Kinderpsychotherapeut vom Fach bin, habe ich während des Rennes nicht kapiert, dass ich halluziniere. Ich bin aber absolut richtig damit umgegangen, ich nahm die Fratzen als gegeben hin, gab ihnen keine Bedeutung und beachtete sie nicht. Ich war absolut aufs Finishen fokussiert. Im Nachhinein läuft ein Schauer den Rücken hinunter, wenn ich daran denke.
Ziel
Schon fertig geduschte Staffelläufer stehen an der Straße feuern mich an und bejubeln mich. „Ist es noch weit?“ frage ich, „neh, das Tor ist dort vorne“. Ich rufe Simone an „das Tor kommt jetzt, ich habe eine orangene Warnweste an und eine Brustlampe, keine Stirnlampe und meine typisch hellblauen Socken. Dann geht es durch das Tor am Station vorbei zum Eingang des Ludwig-Jahn-Sportparks.
Und dann ist es soweit: Schritt für Schritt tripple ich wieder in den Ludwig-Jahn-Sportpark hinein, laufe die Ehrenrunde zum Ziel. Obwohl dunkle, späte Nacht sind sowohl am Eingang des Sportparks als auch im Ziel viele Menschen und applaudieren. Ich nehme alle Kraft zusammen um die Ehrenrunde zu laufen und nicht zu gehen. Erschöpft und überglücklich laufe ich über die Ziellinie direkt zu einer Bank, plumpse auf sie und bleibe erstmal sitzen und lassen alles wirken. Ich bin eine super Zeit gelaufen, nah dran an der erträumten.
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen im Ziel durch die Internetkamera Simone zu grüßen, aber das schaffe ich nicht mehr. Auf der Bank bleibe ich erstmal lange sitzen, telefoniere mit Simone, danke ihr, schieße das „Nachherfoto“, dass ich Verwandten und Freunden sowie Florian Reus schicke. Er ist tatsächlich aufgeblieben, um sich meinen Zieleinlauf anzusehen, gratuliert mir per Wattsapp, und geht dann ins Bett. „Du musst schleunigst ins Hotel, sonst wirst du krank“ denke ich mir. Also wanke ich wie ein alter Mann zum Fahrzeug, wo der Chip abgeben werden muss, gebe ihn ab und bekomme plötzlich ganz heftigen Zitteranfall, bemerke dass ich völlig durchgefrohren bin. Also ganz schnell Dropbags und Finishershirt holen. Dann schleppe mich ins obere Stockwerk zur Dusche. Der Weg die Treppe hoch erkämpfe ich mir Stufe für Stufe und komme mir wieder mal wie bei einem Ultratrail Lauf vor.
Blasen
In der Umkleide sind zwei andere Läufer. Wir fotografieren unsere Füße und schicken diese Bilder an unsere Frauen. Unter anderem habe ich eine riesige Blutblase. Ich spreize meinen Zeh, damit man die Blase besser sieht, der andere fotografiert sie mit meinem Handy. Dann schicke ich die Bilder ab. „Deine Frau wird erschrecken wenn sie das sieht“ sagt der eine Läufer. „Nein, sie wird sagen „ach Bär das tut mir so leid, deine armen Füße““..Eine Minute später kommt eine Sprachnachricht von Simone. Ich stelle mein Handy auf „laut“ und die exakt gleichen Wörte im exakt gleichen Tonfall wie ich 1 Minute vorher: „Ach Bär, das tut mir leid, deine armen Füße“. Wir müssen alle drei lachen. „Deine Frau hat eine schöne Stimme, das muss eine tolle Frau sein“ sagt der eine Läufer. „Ja“ antworte ich, „ich bin froh dass ich mit ihr verheiratet bin“.
Die Nacht war kurz und heftig. An nächsten Tag hielt Reiner Eppelmann eine bewegende Rede zum Thema Mauer und dann wurden alle Finisher einzeln geehrt. Da die Teilnehmerzahl dieses Jahr von 350 auf 500 Einzelläufer erhöht wurde, hatte die Ehrung für mich dieses Jahr den Charakter einer Massenveranstaltung. Alle Läufer wurden geehrt, wurden wegen der großen Anzahl aber rasch „durchgeschleust. Aber alle sahen wir uns wieder, Udo, Klaus, Mike und all die anderen. Jeder erzählte seine Geschichte und wusste genau, was der andere durchgemacht hatte. Auch wenn wir uns im Rennen nicht oder kaum gesehen haben, hat uns dieses gemeinsame Erlebnis verbunden. Mit Mike, Rüdiger und den jeweiligen sympathischen Frauen, die dieses Jahr ja noch den Spartathlon vor sich haben, wurde der Tag im Biergarten ausgeklingen gelassen. Neben dem Lauf waren die Begegnungen mit den Menschen ungemein bereichernd und wertvoll für mich. Obwohl ich diese Menschen kaum kenne, fühlt es sich an, als wären es alte Freunde, die ich schon ewig kenne.
Mit 19 Stunden und 36 Minuten bin ich von 367 Männern 40. geworden. Stolz macht mich die Tatsache wie ich mit den Widrigkeiten umgegangen bin. Auch wenn ich viel gewandert bin, bin ich so viel gelaufen wie es nur ging. Mehr hätte ich nicht laufen können. Aber ich denke mehr laufen ist trotz aller Erschöpfung möglich. Ich glaube, das ist eine Frage der Erfahrung. Mit zunehmender Erfahrung kann auch ich das lernen.
Wette
Die Wette mit meinem Sohn habe ich freilich verloren. Zu meiner Entlastung kann ich aber die unzuverlässig funktionierende Uhr ins Feld führen. Ich hatte sie aus Unerfahrenheit auf eine zu oberflächliche Taktung eingestellt, was mein Fehler war, aber dadurch hatte ich schlichtweg keine Chance, die Wette zu gewinnen. Zu aufgeregt bin ich bei einem solchen Wettkampf die ersten Kilometer. Wenn mein Sohn eine Eselsmütze auftreibt, werde ich den nächsten Kandelmarathon mit dieser bestreiten. Wettschulden sind Ehrenschulden. Da meine Frau aber bereits eine Eselsmützenstrickanleitung aus dem Internet gezogen hat, rechne ich mit dem Schlimmsten. Sollte es aus Trainings- oder sonstigen Gründen beim Kandelmarathon nicht klappen, würde ich einen gleichwertigen Marathon heraussuchen. So oder so werde ich dies im Runnerworldforum bekannt geben. Bei meinen bisherigen Kandelmarathonteilnahmen hatte es meistens zwischen 15 und 20 Grad. Noch nie waren die Bedingungen so, dass eine solche Mütze nicht absolut stressig wäre. Das kann also ein „Vergnügen“ werden
Wie´s weiter geht
In meinem Bericht zum Karlsruher Nachtlauf, meinem ersten Ultralauf, hatte ich berichtet, wie ich während einer Verletzungsphase unsicher war, ob ich wieder würde richtig laufen können. Ich hatte erkannt dass ich jetzt Ultralaufen muss. Simone hatte mit „das weiß ich schon lange, endlich kapierst du´s auch“ reagiert. Ich hatte ihr damals aber noch mehr gesagt, was ich in dem Laufbericht nicht geschrieben hatte: Ich hatte ihr gesagt dass ich in jedem Fall am Mauerweglauf teilnehmen würde und es wohl auch darauf hinauslaufen würde, dass ich am Sparthatlonlauf teilnehme. Auch dazu hatte Simone gesagt „das weiß ich schon lange, endlich kapierst du´s auch“. Nur wusste ich damals nicht und weiß auch heute nicht ob es jemals dazu kommen wird, jedoch ist dies definitiv ein Traum von mir. Wenn ich das Gefühl habe soweit zu sein und es dann familiär passt, werde ich den Sparthatlon laufen, wenn nicht dann nicht. In jedem Fall bin ich diesem Traum nun ein Stück weit näher gekommen. Nur sehe ich es nicht ein mir die Gegenwart durch die Zukunft kaputt machen zu lassen. Meine läuferische Gegenwart finde ich absolut geil, genieße sie ungemein, bin stolz und glücklich, das erleben zu können. Jetzt müssen wir sehen was kommt. Nur weiß ich, dass es jederzeit passieren kann, dass mein Körper mir signalisiert, dass es reicht. Und dann wird es reichen, dann höre ich auf. Wenn ich aber soweit bin und die Chance besteht. dann…..aber ich warte ab, genieße die Gegenwart, und nehme es wie es kommt.
Dank
Danken möchte ich meiner Familie, die mich immer unterstützt, meine Ultralauferei mitträgt und immer mitfiebert. Um es irgendwie auszuhalten hat Simone während des Wettkampfes alle möglichen Nachbarn, Freunde und Verwandte informiert, um ihre Nervosität irgendwie in Aktivität umzusetzen, meiner Mutter und meinen Schwiegereltern sowie allen Freunden und Nachbarn, die am Computer und per telefonischer Verbindung mit Simone mitgefiebert und die Siegerehrung am Computer mitverfolgt haben. Es hatte richtig gutgetan, während des Laufs zu hören, dass sie alle mitfiebern. Florian Reus für seine Unterstützung und sein Telefoncoaching. Auch möchte ich allen wunderbaren Menschen, die ich beim Mauerweglauf kennenlernen durfte, denen ich mich durch das gemeinsam erlebte inzwischen sehr nah fühle ,danken. Etlichen Volunteers, Mike beispielsweise, der mir sprichwörtlich den Ar… gerettet hat, allen Läufern und deren Frauen, die ich treffen durfte. Die Begegnungen mit Euch haben mich bereichert und diese werde ich in meinem Herzen tragen. Und natürlich dem Radbegleiter, der mich seiner Brustlampe rettete.
Alles geben die Götter die Unendlichen ihren Lieblingen ganz. Die Freuden die Unendlichen, die Leiden die Unendlichen – ihren Lieblingen – ganz (Goethe)
Noch vor 2 – 3 Jahren lief ich ausschließlich Marathon, hatte es noch nötig in 2 Marathons pro Jahr meine Bestzeit zu jagen. Als ich dann von Ultraläufern hörte, die an vielen Wochenenden an Marathon- oder gar Ultrawettkämpfen zu Trainingszwecken teilnahmen und dabei auch noch kaum langsamer waren als ich, war ich erstaunt. Obwohl ich nicht wenig trainierte, konnte ich mir nicht vorstellen, wie man an so vielen Wettbewerben teilnehmen kann, und so viel laufen kann. Das lag absolut außerhalb meiner Vorstellung, faszinierte mich aber zugleich. Für mich hatten diese Ultraläufer damals, das gebe ich hiermit zu, einen „ordentlichen Sprung in der Schüssel“. Meine 83 jährige Mutter eröffnete mir übrigens kürzlich, dass es ihr peinlich sei, ihren Freundinnen und Schwestern von meiner Lauferei zu berichten, da diese das absolut nicht verstünden und mich für verrückt erklärten oder als laufsüchtig. Kann ich absolut verstehen.
Inzwischen kam es anders. Obwohl bei der Marathonbestzeitenjagd das Ende der Fahnenstange bei weitem nicht erreicht war, wurde mir klar, dass ich jetzt und nicht erst später Ultralaufen will und muss. Natürlich gab und gibt es in mir auch einen Anteil, der den versäumten Marathonbestzeiten nachtrauert, aber wat mut dat mut.
Mitte August steht der Mauerweglauf an, der mit 161 Kilometern der längste Lauf meines bisherigen Lebens werden wird. In der Vorbereitung nehmen die Langen Läufe einen entsprechenden Stellenwert ein. So sehr ich diese Lalas liebe, das lange eher langsame durch die südpfälzer Weinberge laufen, so schwierig finde ich die Organisation der Ernährung. Gerade wenn es wärmer ist brauche ich viel zu trinken. Und ich laufe nicht so gerne kleinere Runden zu meinem Auto, in dem ich dann Trinken lagerte, auch laufe ich ungern nach 30 Kilometern nach Hause um Wasser nachzutanken und dann wieder loszulaufen. So kam die Idee meine Lalas auf Wettkämpfe zu verlegen. Also habe ich „die Fronten gewechselt“, gehöre jetzt also selber zu denen mit ordentlichem „Sprung in der Schüssel“.
Eigentlich wollte ich den Eifelultralauf mit meiner Familie als ein schönes Wochenende in der Eifel verbringen, aber ein Auftritt meines Ensembles machte einen Strich durch die Rechnung. Ich spiele Cello in einem Ensemble, in dem wir eigene Musik mit krummen Rhythmen spielen, und Samstag Abend traten wir auf. Also fuhr ich Sonntag Morgen alleine in die Eifel nach Waxweiler.
In der Nacht hat es geregnet, zum Start ist es sonnig warm, aber nicht heiß, etwa 20 Grad. Vor dem Start sitze ich in der Halle, trinke noch einen Kaffee. Ich habe 2 Gels und einen Fotoapparat dabei. Man sieht die üblichen verdächtigen Ultraläufer, aber auch einige Neulinge. Diese erkennt man an ihrer überbordenden übertriebenen, absolut neuen Ausrüstung. Sie haben trotz der alle 3 – 5 Kilometer vorhandenen Verpflegungsstationen einen Trinkrucksack bei sich.
Für den Wettkampf habe ich mir vorgenommen langsam zu laufen und möglichst wenig zu gehen. In dieser Woche habe ich bereits 75 Trainingskilometer auf dem Buckel, habe nicht getapert, in der Praxis (Beruf) viel gearbeitet und eher wenig geschlafen. Ich möchte möglichst konstant, nicht am Limit laufen und mehr als 5 Stunden brauchen.
Ich stelle mich am Startblock etwa in die Mitte des Feldes, da die schnellen Marathonläufer einfach schneller sind als ich, und unterhalte mich mit anderen Läufern. Ohne großes Theater wird von 10 heruntergezählt und dann geht es los. Nach dem Start geht es erst etwa 2 Kilometer eine Straße entlang zu einem Wendepunkt und wieder zurück nach Waxweiler, aber auch schon da leicht hügelich. Auf den ersten Kilometern muss ich mich stark einbremsen und muss an die laufende Wette denken, die ich mit meinem Sohn habe: Sollte ich beim Mauerweglauf in den ersten 120 Kilometern mehr wie 2 Kilometer schneller als 6 Minuten pro Kilometer laufen (Ausnahme abschüssiges Gelände), so verpflichte ich mich, den nächsten Kandelmarathon mit Eselsmütze zu laufen. Meine Frau hat auch schon eine Strickanleitung für Eselsmützen aus dem Internet gezogen. Da sie unserem Sohn eine wunderschöne Monstermütze gestrickt hat, traue ich ihr auch diese „Abscheulichkeit“ zu. Ein Tempo schneller wie 6 Min/km wären in Berlin Harakiri, deswegen wird mir das dort wohl gelingen, denke ich. Aber auf den ersten Kilometern wird es schwer. In der Zeit, die ich nach dem Start brauche um die Wettkampfnervosität abzulegen ist das Risiko diese Wette zu verlieren am höchsten. Hier beim Eifelultralauf hätte ich auf den ersten Kilometern die Wette bereits verloren. Erst nach 2 – 3 Kilometern bin ich im Wettkampf angekommen und laufe ruhig, gleichmäßig in angemessenem Tempo.
Mir fällt ein Marathonläufer mit angeleintem Hund auf, diesen Wettkampf wollen sie also gemeinsam bestreiten. Finde ich gut, dass das bei manchen Wettkämpfen geht. Sehe ich kein Problem dabei, wenn die Hunde gut erzogen sind. Da dieser Hund an seinem Herrchen angeleint ist, dürfte das wohl kein Problem sein.
Zurück in Waxweiler geht es stärker hügelig weiter. Auf einer kleinen gesperrten Straße kommen weitere vorerst noch kürzere Steigungen. Ich nehme für diese Tempo heraus und tripple sie langsam herauf. Von der Straße weg geht es auf einen Wiesenweg. Vom nächtlichen Regen ist diese etwas aufgeweicht aber gut laufbar. Ich habe meine Straßenlaufschuhe an (Salming Lite) und komme mit diesen gut zurecht. Über eine niedliche Brücke geht es in den Wald. Alle Bäume und Wiesen sind saftig grün, man hört ständig Vögel zwitschern, die Aussicht ist einfach toll, grüne, üppige Weite. Aus dem Wald geht es auf eine Wiese wieder auf eine Straße und auf dieser kurz und steil bergauf.
Auf dem Boden sind jeweils Pfeile mit „Hinweg“ und „Rückweg“ gezeichnet. Diesen Teil der Strecke werden wir also zurücklaufen. Da die Landschaft so wunderschön ist, macht es mir nichts aus, diese 2 Mal zu sehen. Mal wieder geht es hoch in ein Dorf und von dort aus weiter hoch in den Wald und im Wald wieder herunter. Ich fühle mich gut, die Beine sind leicht, ich kann mich aber nicht treiben lassen, muss aber ständig in mich herein spüren und mein Tempo immer wieder der Strecke anpassen. Wenn es bergab geht werde ich automatisch schneller und behalte dieses Tempo auf der Ebene, bemerke dann, dass ich bei der nächsten Steigung zu heftig atmen muss, und verringere dann wieder mein Tempo. Der Wald ist kühl, üppig grün. Nach einer Kurve kommt eine längere und steilere Steigung bei er außer mir alle Läufer gehen, ich tripple in kleinen Schritten hinauf. Im Training versuche ich Steigungen zu laufen aus Trainingszwecken, bei Wettkämpfen gehe ich wo es sinnvoll ist. Dieser Wettkampf zählt für mich aber als Training, also laufe ich. Oben angekommen geht es genauso steil und lang wieder herunter. Ein bißchen grauht mir vor dem Rückweg, weil ich weiß, dass ich diese Bergabpassagen mich werde hochquälen müssen. An manchen Stellen ist der Boden sehr weich vom Regen, aber es geht, meine Füße finden immer einen guten Tritt.
Alle 3 bis 5 Kilometer gibt es Getränkestationen mit so ziemlich Allem, was das Läuferherz begehrt. Immer stehen genug nachgefüllte Becher bereit und die Helfer sind sehr freundlich engagiert. Ich trinke Wasser, bedanke mich und laufe weiter. Die zweite „Rampe“ kommt, eine längere, steilere, schwerer zu laufende Steigung und Senkung. Wegen matschigem Untergrund muss man hier mehr aufpassen nicht hinzufallen, geht aber. Der Weg ist eng, überholen kann man nicht, ist aber nicht schlimm, so ruhe ich etwas aus und bleibe für einige Zeit hinter den langsameren Läufern. Als der Weg breiter und ebener wird, überhole ich und laufe meinen Stiefel. Weiterhin besteht die Strecke aus Wiesen, Wäldern und Vogelgezwitscher in allen Variationen.
Irgendwann demnächst werden uns die Halbmarathonis entgegen kommen, da der Halbmarathon etwa auf halber Strecke im Schloss Hamm gestartet wird. Und auf einem matschigen engen Weg ist es soweit. Die Führenden Halbmarathonis rennen uns entgegen. Es ist eng für uns, geht aber irgendwie, Alle machen etwas Platz und so kommt man aneinander vorbei. Zu meinem Erstaunen haben nicht wenige Halbmarathonis einen Trinkrucksack. Kann ich nicht verstehen, so viele Getränkestationen wie es gibt. „Cornelius das sind Laufanfänger, die wissen es noch nicht besser“, sagte mir Laufkumpel Herman ein paar Tage später bei einer unserer zahlreichen gemeinsamen 40 Kilometerrunden.
Allmählich kann man die Stimme eines Sprechers hören, Schloss Hamm ist also nicht mehr weit. Dortwurde der Halbmarathon gestartet. Für einige Kilometer geht es dann die Strecke der Halbmarathonis entlang, bis eine Abzweigung für die Ultras kommt. Schloss Hamm sieht majestätisch aus. Man läuft durch ein großes Tor herein. Im Schlosshof steht ein Sprecher mit Mikrophon. Ihm scheint langweilig zu sein, jedenfalls kommentiert er jeden Läufer und so ziemlich jedes Detail. Im Schlosshof gibt es zudem eine Getränkestation und eine Gruppe von Dudelsackspielern, die gerade Pause machen (Uff, Glück gehabt). Auf der anderen Seite des Schlosshofes geht es wieder heraus. Ich bin noch nie bei einem Wettkampf durch ein solches Schloss gelaufen, ist eine Premiere. Es geht einen Weg hinunter zu einer Straße und dann diese entlang über eine Brücke durch ein Dorf. Bald wird die „Ultraabzweigung“ kommen, dort muss eine heftige, steile, lange „Rampe“ kommen. Ich nehme ein Gel zu mir. Es ist von der gleichen Firma wie meine Flüssigkohlenhydrate. Es geht direkt durch den Magen in den Darm, deswegen wird mir davon nicht übel, aber auch bei diesem Gel merke ich, dass ich es nicht auf Dauer nehmen darf. Ich muss mir also beim Mauerweglauf die Flüssigkohlenhydrate auf der Strecke mixen. Mein Bauch ist aber gefüllt. Der Weg geht von der Straße weg und, wie soll es anders sein, bergauf. Nach einiger Zeit kommt ein See und man läuft am See entlang in einem schattigen Wald. Es hat 22 Grad, Sonne, also nach wie vor idelales Laufwetter. Nachdem der See halb umrundet ist kommt die Ultraabzweigung. Die übrigen Läufer umrunden den See ganz. Die Ultras biegen rechts ab auf eine Zusatzrunde über einen Parkplatz einen asphaltierten Weg entlang in Richtung hügeligen Wald. Am Waldrand biegt ein Weg von rechts in den Hauptweg. Auf dem Boden ist ein Pfeil zurück mit „Rückweg“ und ein zweiter Pfeil in meine Richtung mit „Hinweg“ zu sehen. Die Streckenmarkierung ist bei diesem Lauf vorbildlich. Und nun kommt sie die Rampe. Es geht lange steil bergauf. Die erste Hälfte laufe ich, den Rest gehe ich. Ich möchte mich nicht völlig verausgaben bei diesem Lauf. Deswegen gehe ich. Etwa befinde ich mich jettzt bei Kilometer 27. Sobald die Steigung etwas nachlässt tripple ich wieder los. Für einige Kilometer geht es jetzt immer wieder bergauf. Am Höhepunkt bevor es bei der „Ultrazusatzrunde“ wieder herunter geht wird der Weg stark vermatscht morastig. Zum Glück nur für 20 bis 30 Meter. Bei jedem Schritt lösen sich meine Füße nur schwerfällig und zudem mit einem lauten „Blubb“ vom Boden. Meine Füße bleiben aber trocken. Jetzt geht es bergab. Die nächste Getränkestation fotografiere ich. „Dir scheint es ja noch gut zu gehen, wenn du sogar Zeit für Fotos hast“ sagt einer der beiden Standwärter. „Ja, ich bin nicht am absoluten Limit“ antworte ich, trinke Wasser und laufe weiter.
Vor mir läuft ein nach vorne gebeugter Läufer mit platschnassem Oberkörper. Einige Zeit laufen wir zusammen, bis ich ihn überhole. Meine Beine werden schwerer, ich bin nicht am Limit, aber wohl etwas zu nah dran. Egal, Tempo herausnehmen und weiter, die Ultrazusatzrunde beenden und dann zurück. Das stetige Bergab läuft sich alles Andere als angenehm. Ist halt so. Irgendwann kommen wir wieder zum Hauptweg, diesmal folge ich dem „Rückweg – Pfeil“. Zurück geht es durch Wiesen zum Parkplatz, über eine Straße, bei der von Helfern die Autos für die Läufer angehalten werden zur gemeinsamen Strecke der (Halb) Marathons. Es geht am See entlang nur auf der anderen Seite. Meine Oberschenkel schmerzen etwas, macht aber nichts, laufen geht noch gut und ist auch kein Vergleich zu den Schmerzen, die ich beim WHEW vor ich glaube 5 Wochen hatte. Ich überhole zunehmend mehr Läufer. Da ich 100 Kilometer gewöhnt bin, bin ich zwar müde, aber längst nicht so müde, wie die anderen Läufer, deren Limit 51 Kilometer sind. Auf der Terrasse eines Hotels, das direkt am See liegt, sitzen Besucher, trinken, essen und sehen schweigend den Läufern zu.
Nach Beendigung der Seeumrundung geht es wieder die Straße und dann den Waldwegentlang wie beim Hinweg. Wir durchqueren wieder den Schlosshof von Schloss Hamm. Ich trinke Wasser, der Sprecher kommentiert dies, ist mir doch egal, so am Limit bin ich nicht, dass mich das nervt, und weiter.
Am Ende des nächsten Dorfes höre ich lautes Gebell. An einem Getränkestand ist der Marathonläufer mit seinem angeleinten Hund. Dieser bellt einen am Getränkestand liegenden Hund an. Der Läufer zieht ihn weiter. Ich trinke, verschnaufe kurz und laufe weiter. Will den Läufer mit Hund überholen. Im Moment des Überholen passiert es: Der Hund sieht mich, springt mich an und ich spüre seine Zähne in meiner linken Hand. Ich lasse einen lauten Brüller los. Zur gleichen Zeit zieht das Herrchen seinen Hund zurück und ich laufe weiter. Beim Training in den heimischen Weinbergen gibt es immer wieder kleine Hunde, die, sobald ich vorrüber gelaufen bin, plötzlich laut bellend auf mich zu rennen. Ich habe mir angewöhnt in diesen Fällen die Arme hoch zu heben und mit einem lauten „roar“ auf Herrchen oder Frauchen und Hund zuzurennen. Immer bremst der Hund, guckt verwirrt, stoppt und rennt zurück in den Schutz von Frauchen oder Herrchen. Auch diese sind verwirrt und erschrecken. Sollen sie auch, hätten sie mal ihren Hund besser erzogen….
Ein paar Meter weiter ist eine Läuferin. Beim Überholen grüße ich sie. „Der hat schon vorhin Ärger gemacht“ sagt sie in Bezug auf dem Hund. „Ja aber das darf nicht passieren“ antworte ich. „Entweder ist der Hund gut erzogen oder er darf hier nicht mitlaufen“. Ich laufe weiter. Mein Puls ist von 145 auf 175 gestiegen. Ich bin wütend und schimpfe innerlich vor mich hin, denke mir aber dann „nichts passiert, jetzt bist du wach, weiter ärgern bringt nix, genieß des Lauf“, auch wieder wahr, also lasse ich los und laufe in dieser spektakulären Landschaft weiter, genieße sie.
Über die Brücke geht es wieder in den Wald. Auf den nächsten Kilometern kommen weitere „Rampen“. Auf dem Hinweg konnte ich die Passagen nur in kleinen Trippelschritten heruntertrippeln, sie waren zudem ziemlich lang. Ein Mountainbikefahrer überholt mich, er hat ein Organisationsshirt an, gehört also zum Lauf. „Vielleicht überhole ich ihn bei der nächsten Rampe“ denke ich mir spaßhalber. Und tatsächlich: Schwerfällig schiebt er sein schweres Mountainbike hinauf. Ich gehe zügig hinauf und überhole ihn kurzzeitig. Genauso steil geht es auf der anderen Seite hinunter, weiter, wieder hinauf und hinunter. An der nächsten Getränkestation entdecke ich im Hintergrund einen Luxusgasgrill, Fleisch liegt gerade auf der heißen Flamme. „So vertreiben die sich also die Zeit“ denke ich mir und schmunzle in mich hinein. Ich werde zunehmend müder, überhole aber nach wie vor einige Läufer, einfach weil diese noch müder sind als ich. Es geht auf dem Wald heraus, durch ein Dorf die Straße entlag hoch und runter. Es kommt die Abweigung, an der die Läufer auf dem Hinweg herkamen, die letzten paar Kilometer geht es an der Straße weiter. Der Mountainbikefahrer sitzt am Straßenrand, grüßt mich und sagt „jetzt kommt nur noch eine große Steigung“. Ich bedanke mich und laufe weiter. Eine Bergziege werde ich in diesem Leben nicht mehr. Obwohl ich zu Hause in der Südpfalz landschaftsbedingt pro 10 Kilometern Strecke etwa 100 Höhenmeter mitnehmen muss, fällt mir nach wie vor ab einem bestimmten Müdigkeitsgrad jede Steigung ungeheuer schwer.
Auf den nächsten 1,5 Kilometern sehe ich einige Läufer vor mir diese letzte Steigung hochgehen. „Die holst du nicht mehr ein“ denke ich mir, „die sind zu weit weg“, laufe aber den größten Teil dieser hinauf. Am höchsten Punkt sieht man weit unten Waxweiler, ich beschleunige bergab und hole die Läufer nach und nach ein, grüße sie, und laufe weiter. Der „Zielsprecher“ wird immer lauter. Ich erreiche Waxweiler, komme nach eingen Kurven auf die Zielgerade und lege sogar noch einen Endspurt hin, habe ich schon sehr lange nicht mehr machen können. Dann laufe ich über die Ziellinie und berichte den Helfern vom Hundeangriff. Von 77 männlichen Startern werde ich mit 5:03:42 Minuten Gesammt – 20.
Der Eifelultramarathon ist ein wunderschöner, toll organisierter Landschaftslauf. Durch das sofortige ständige hoch und runter ist er läuferisch anspruchsvoll. Sämtliche Helfer sind engagiert, es gibt zahlreiche, gut bestückte Getränkestände, etwa alle 3 – 5 Kilometer, für den Hundangriff können die Organisatoren nichts. Wenn es passt, nehme ich an diesem Lauf gerne wieder teil.
Mental ist der bevorstehende WEHW 100 – Kilometerlauf Nebensache. Mental bin ich längst beim Mauerweglauf Mitte August in Berlin, der mit 161 Kilometern der längste Lauf meines bisherigen Lebens sein wird und das, obwohl ich erst seit 11 Monaten Ultra laufe. Das ist gefährlich, 100 Kilometer läuft man nicht nebenbei, ich zumindest nicht.
Geplant war bei Sonnenschein optimal vorbereitet an den Start zu gehen, konstant und entspannt bis zum Ziel zu laufen und dabei möglichst viel vom Lauf zu genießen, da dieser Lauf durch wunderschöne Landschaften geht. Aber natürlich kam alles anders. Schon im Herbsturlaub in der türkischen Sonne bekam ich in der rechten Ferse eine Schleimbeutelentzündung. Am Strand bin ich mit Barfußschuhen gegangen! Das brachte mir eine Laufpause von 4 – 6 Woche ein. Im Februar tat wieder genau die gleiche Stelle weh, es fühlte sich genau wieder wie eine Schleimbeutelentzündung an. Jedoch war es etwas anderes, eine Art Wulst in der Haut, dennoch 2 Wochen Laufpause. So fehlten mir zum WHEW etwa 4 – 6 Wochen, vor allem fehlten mir Lange Läufe. Dazu war in den ersten Monaten des Jahres die Praxis (Arbeit) so stressig, dass ich vor lauter Stress und Erschöpfung manche Laufeinheiten nicht so durchziehen konnte, wie ich es wollte. Auf der anderen Seite lief der letzte Lange Lauf 14 Tage vor dem WHEW super, 60 Kilometer mit fast 700 Höhenmetern lief ich mit einer Geschwindigkeit von fast 6 Minuten pro Kilometer mit bis zum Schluss niedrigem Puls bei 27 Grad und hätte auch noch weiter laufen können. So gehe ich mit großen Fragezeichen bezüglich meiner Form an den Start. Meine Ziele sind:
unter 10 Stunden bleiben,
möglichst konstant zu laufen und das letzte Ziel erfüllt sich von selber:
weitere Erfahrungen im Umgang mit Laufen bei starker Erschöpfung sammeln.
Der Regen hat aufgehört, die Luft ist dennoch sehr nass und feucht und es ist kalt, 3 Grad wie ich später höre. Simone hat morgens um 5 Uhr im Hotel mit mir gefrühstückt und sich dann aber wieder hingelegt. Sie wird sich einen schönen Tag in Wuppertal machen und mich dann im Ziel erwarten. Neben dem Start – Zielaufbau sind 2 Zelte. Im einen gibt es Kaffee und Brötchen, im anderen eine Wärmelampe. Ich schnappe mir einen Kaffee, gehe mit ihm zur Wärmelampe, setze mich hin und treffe Ultraurgestein Udo. Wir haben noch mehr als 30 Minuten bis zum Start und unterhalten uns über vergangene und zukünftige Wettkämpfe sowie unsere läuferischen Träume. Bisher haben wir wenig direkt miteinander gesprochen, dennoch fühlt sich der Kontakt sehr vertraut an: ich kenne etliche seiner Laufberichte, er schreibt über wirklich jeden Wettkampf, an dem er teilnimmt einen Bericht und veröffentlicht ihn auf seiner Homepage. Danach geht es geschwind zur Toilette im wunderschönen Alternativcafe Utopiastadt und dann zur Startaufstellung. Selbstbewusst reihe ich mich recht weit vorne im Starterfeld ein. Guido, der Organisator des WHEW – Laufes brieft uns, ermahnt uns der Einhaltung der Verkehrsregeln, da die Strecke nicht abgesperrt ist und es auch über Straßen und Ampeln geht. Dann spricht noch der Oberbürgermeister von Wuppertal. Ohne Musik und großes Tamtam wird von 10 rückwärts gezählt, dann geht es ohne Pistolenschuss los.
Da die Strecke nicht ganz 100 km beträgt geht es erst 400 m in die falsche Richtung zu einem Wendepunkt und wieder zurück zum Start und dann weiter auf einem ehemaligen Bahndamm entlang. Auf der rechten Seite kommen einige Häuser, so auch ein geplanter Kinderparcours. Auf dem großen „Hier entsteht…“ – Schild sieht er beeindruckend aus. Auf der linken Seite sind Bäume, rechts werden die Häuser weniger und kommen auch immer mehr Bäume. Mir ist bitterkalt und ich frage mich, ob es ein Fehler war, keine Mütze zu tragen. Ansonsten habe ich eine lange Kompressionshose, mein Vereinsshirt mit Armlingen und eine Regenjacke drüber. Eigentlich wollte ich diese am Start zurücklassen, kurzfristig habe ich mich aber umentschieden, da es vermutlich über den Tag verteilt noch mehr regnen wird.
Das Feld ist noch recht eng zusammen, so sind die Soundbikes auch alle gut zu hören. Das sind Fahrräder mit eingebauter Musikanlage, die die Läufer begleiten und mit Rockmusik „beglücken“. Momentan laufen alte Rockschinken wie Led Zeppelin, ist OK, höre ich gerne. In einem der zahlreichen Tunnel dröhnt es etwas, aber auch das ist auszuhalten. Bei meinem letzten 100 Km – Lauf in Winschoten verschob sich im Laufe der Zeit meine Wahrnehmung immer mehr, so dass sich für mich die gleiche Musik allmählich in unerträglichen Lärm verwandelte. Da ich jetzt weiß, dass es an mir und nicht an der Musik liegt, werde ich damit diesmal besser umgehen können, hoffe ich.
Soundbike
Diesmal habe ich mich darauf programmiert höchstens 5:30 Minuten / Kilometer zu laufen, diesmal klappt es auch. Apropos: Wegen des tempomäßigen Harakiris bei meinen beiden letzten Ultraläufen habe ich mit meinem Sohn eine Wette laufen: Wenn ich beim Mauerweglauf auf den ersten 120 Kilometern (Ausnahme abschüssiges Gelände) mehr wie 2 Kilometer schneller als 6 Minuten pro Kilometer laufe, verpflichte ich mich, den nächsten Kandelmarathon mit Eselsmütze zu bestreiten, die er mir aber auftreiben oder herstellen muss. Da meine Frau aber Kunst unterrichtet, dürfte das kein Problem sein. Wenn die Sprache auf diese Wette kommt, grinst mich mein Sohn breit an…
Nach einigen Kilometern geht es ein paar Meter steil bergauf zu einer Straße und für einige Zeit durch Straßen und Häuser. Die Wegmarkierung ist eigentlich perfekt: Wo nötig sind grüne Pfeile auf die Straße gemalt, aber auch wirklich nur wo nötig. So muss man sehr aufpassen. Da das Feld aber noch so eng beisammen ist, ist das kein Problem, ich folge einfach der Menge. Wieder geht es zurück und weiter auf dem alten Bahndamm. Der Weg geht leicht wellig zwischen Bäumen hindurch.
Schon nach 7 Kilometern kommt die erste Getränkestation, ich trinke Wasser und laufe weiter. Kurz darauf gehe ich zu einem Gebüsch. Kaffee am Start und Wasser jetzt waren etwas zu viel. Aber besser zu viel als zu wenig trinken. Mehr als eine Minute kostet mich das, danach weiter. Wieder geht es zwischen Bäumen hindurch. Neben der Musik der Soundbikes kann man Vögel zwitschern hören.
Bei Kilometer 18 ist die nächste Getränkestation, wieder etwas Wasser und weiter. Eine Mutter mit ihrer etwa 15 jährigen Tochter steht am Streckenrand und feuert die Läufer an.
Allmählich fühle ich mich im Wettkampf angekommen, mein Tempo liegt bei etwa 5.30 Minuten pro Kilometer. Ab und an bin ich plötzlich außer Puste und merke, dass es bergauf geht und bremse dann ab. Meine Anfangswettkampfnervosität hat sich gelegt und mein Körper und meine Beine fühlen sich gut an, es groovt. Laut Streckenplan weiß ich, dass bei Kilometer 73 eine große Rampe kommt, wo es für viele Kilometer bergauf geht. „Jetzt den Marathon beenden, dann bis zur Rampe, die noch überstehen und die letzten 13 Kilometer erkämpfen“ denke ich mir.
Ab Kilometer 26 habe ich mir zu den Getränkestationen meine Eigenverpflegung bringen lassen. Jeweils etwa einen Viertel Liter eines Kohlenhydratgemischs, dass sogar ich vertrage. Ich stecke die Flasche in meinen Gürtel und trinke während des Laufens schluckweise, bis ich die Flasche am jeweiligen nächsten Stand austausche. Pro Stunde 1 und später 2 Salzkapseln und weiter. Wieder steht die gleiche Frau mit ihrer Tochter am Streckenrand und feuert die Läufer an.
Immer wieder geht es durch ein Dorf, muss man über Straßen um Häuser herum und auch ab und an über Fußgängerampeln, bis man wieder am Bahndamm zwischen Bäumen hindurch geht und die Vögel zwitschern hört. Nach dem Überqueren einer Straße kommen auf der einen Seite des Weges ein Baumarkt und ein paar andere Firmen, kurz geht es wieder durch einen Ort über Straßen und Ampeln und dann wieder den Weg zwischen sich abwechselnden Bäumen.
Ich spreche mit einem Biker, der seine laufende Freundin begleitet. „Mit deinem Hintern möchte ich nach 100 Kilometern nicht tauschen“ sage ich. „Ich mit deinen Beinen auch nicht“, antwortet er. Recht hat er. Ich gebe ihm meine Kamera und bitte ihn mich zu fotografieren, was er auch tut.
Nach wie vor fühle ich mich erstaunlich gut, genieße die Landschaft und friere nicht mehr. Plötzlich beginnt es zu hageln, recht große Körner. „Pech“ denke ich mir und laufe weiter. Es hört wieder auf, kurz kommt die Sonne, bevor wieder dunkle Wolken kommen. „Der April macht was er will wie der Mai“ denke ich mir.
In Winschoten hatte ich ab Kilometer 35 mit starken Schmerzen zum kämpfen, das ist diesmal nicht der Fall. Ich fühle mich nicht so leichtfüßig, es ist nur eine auch gewisse Schwere in mir, ich muss mich ein kleines bißchen mehr psychisch antreiben. Und so ab Kilometer 40 werden die Beine etwas schwerer. Damit kann ich umgehen. Gefühlsmäßig kann ich mir nicht vorstellen, so noch weitere 60 Kilometer weiterlaufen zu können, muss ich aber auch nicht. Noch kann ich laufen, also laufe ich. Die nächsten 10 Kilometer. Dann sehen wir weiter.
Es kommt erst der Baldeneysee und dann die Ruhr. Es fahren einige Ruderboote, trainierende Leistungssportler und dann auch Flöße, teilweise mit Unmengen Alkohol und übermäßig betrunkenen jungen Männern die vulgäre Lieder lautstark gröhlen. Ich genieße die Landschaft und laufe weiter. Die nächsten etwa 30 Kilometer werde ich am Wasser laufen. Eine alte, stillgelegte Industrieanlage mit großem Schornstein -bewohnt- erscheint am Ufer, ein schöner Anblick. Ich laufe weiter. Meine Oberschenkel schmerzen allmählich mehr. Erfreulicherweise spüre ich diesmal aber nicht die Muskeln ums linke Knie herum. Bei meinen beiden bisherigen Ultraläufen haben diese stark geschmerzt, verursacht durch eine Dysfunktion, meine rechte Hüfte rotierte nicht ausreichend. Meine unbewusste Ausgleichsbewegung verursachte die genannten Schmerzen. Ich habe also meine von meinem Untermieter (Osteopath) gezeigten Übungen gut durchgeführt.
Die Ruhr ist hier sehr breit. Es gibt viele Boote, einen Campingplatz sowie etliche Restaurants mit Terrassen. Bei der Getränkestation nehme ich Wasser und 2 Becher mit Elektrolytgetränken. Ich habe ernährungsmäßig ein Experiment begangen was schief geht: Bei Kilometer 30, 60 und 90 habe ich meine Kohlenhydratflaschen zusätzlich mit Arginin, Citrullin, etwas Ingwerwasser und wenig Chilli versetzt. Dadurch hat sich das Kohlenhydratpulver nicht richtig aufgelöst, ist also so nicht trinkbar. kein Problem, an den anderen Stationen habe ich jeweils genug deponiert. Ich halte an den Ständen schon einige Meter vorher an und gehe einige Schritte. Die zunehmende Ermüdung macht sich bemerkbar, die Beine werden schwerer, psychisch stört mich das nicht. Wegen dieser Bedingungen und der unperfekten Vorbereitung meinerseits hatte ich mich eh auf einen Kampf eingestellt und kämpfen muss ich können, wenn ich den Mauerweglauf finnishen will.
Ein älteres Ehepaar sieht mich vorbei laufen. „Wieviele Kilometer haben Sie noch?“ „56“ antworte ich. „Ach ja, ich habe es gestern im Fernsehen gesehen, das ist ja ein Hundert Kilometerlauf, viel Erfolg“, „Danke“ antworte ich und laufe weiter. Zum ersten Mal seit ich an Ultraläufen teilnehme genieße ich den Wettkampf nicht die ganze Zeit, wird die Möglichkeit, nach dem Mauerweglauf keine solchen Distanzen mehr zu absolvieren verlockender. Egal, kann ich ja dann entscheiden. Es muss auch solche Tage geben, an denen Alles nicht ganz so leicht läuft. Ich bekomme Durst und Lust auf Süßes, greife zu meinem Gürtel zur Flasche, leer. Mist, habe beim letzten Stand vergessen die Flasche auszutauschen. Jetzt muss ich ein paar Kilometer so durchhalten, wird schon gehen. Auf der anderen Seite habe ich starken Durst. Für diesen Zweck habe ich in meinem Gürtel einige Notfallgels deponiert, komme aber nicht auf die Idee diese zu verwenden. Ich denke nicht daran. Rückblickend betrachtet bin ich an diesem Streckenabschnitt mehr am Limit, als ich es zu diesem Zeitpunkt selber bemerke.
Bei Kilometer 50 wird wieder die Zeit genommen, die freundlichen Helfer am Getränkestand kommen meinem Durst kaum nach mit Nachfüllen. Dann „Danke“ sagen und weiter. Von der Zeit her bin ich nach wie vor flott unterwegs, habe meinen Kilometerschnitt von 5:30 in etwa halten können. „Jetzt hast du ein gutes Polster für die Rampe“, denke ich mir. „Aber ich bin jetzt schon so tot, wie soll ich die noch laufen können?“. Muss ich nicht jetzt entscheiden, jetzt kann ich laufen, also laufe ich, verlangsame meine Geschwindigkeit aber etwas, bin aber immer noch schneller als 6 Minuten pro Kilometer. Die Sonne kommt heraus, ich schwitze stark, also anhalten, Regenjacke ausziehen und mir umbinden. Weiterlaufen. Jetzt verschwindet die Sonne, kommen Wolken und Wind. Mir wird kalt, trotz Laufen friere ich. Also wieder anhalten, Jacke aufknoten und wieder anziehen und weiterlaufen. Dann drückt meine Blase. Anhalten, Notdurft verrichten, weiterlaufen. Auf der rechten Seite kommt ein Schild für einen Biergarten mit dem Namen „Biergarten des Deutschen Volkes“. Irritiert laufe ich weiter, zum Ärgern bin ich zu erschöpft. Wieder geht es für einige Meter steil herauf zu einer Straße, diese gehe ich, oben laufe ich weiter. An einem Bootssteg kommt ein Getränkestand. Wieder steht am Rand die gleiche Mutter mit Tochter und jubelt mir zu. Ich nicke Ihnen zu, hebe aber nicht einmal meine Hand zum Gruß, zu anstrengend.
Ein Läufer schließt von hinten auf. „Könntest du bitte meine Jacke hinten aus meine Tasche herausholen?“ „Klar“, ich hole sie und gebe sie ihm. „Was willst du laufen?“ fragt er. „Unter 10 Stunden“ antworte ich. „Du bist aber auf 9:30 – Kurs“, „ja, aber die Rampe kommt noch“ sage ich. Er erzählt mir, dass er bei dieser das letzte Mal einen Totaleinbruch hatte. Ich bin ihm zu schnell, wir wünschen uns viel Glück und jeder läuft für sich weiter. Auf der anderen Seite der Ruhr sind jetzt unzählige Campingwagen und Boote. Im Sommer muss hier die Hölle los sein, denke ich mir. Gehen wird zu einer immer attraktiveren Alternative, kommt aber vorerst nicht in Betracht. Wieder geht es einige Meter steil zu einer Straße herauf über eine Kreuzung und dahinter wieder herunter in eine wunderschöne Wasser – Baum Landschaft. Die Oberschenkel brennen, Pech, weiter. „Jetzt läufst du so weiter bis zur Rampe und siehst dann“, denke ich mir. Wieder geht es auf eine Straße über eine riesige Kreuzung. Die Ampel hat gerade auf rot umgeschaltet und die Straße ist zu befahren, warten bis grün, Pause genießen und weiter. Auf der anderen Seite geht es an der Straße entlang. Ich schließe auf einen Staffelläufer auf und überhole ihn. „Hoffentlich kommt bald der verdammt Sportplatz“ sagt er. „Was für einen Sportplatz?“ frage ich mich. Einige Minuten später biegt der Weg weg von der Straße auf einen Sportplatz, ein Stück auf der Aschenbahn zur Zeitmessung (Kilometer 73) mit Getränkestand. Ich trinke, tausche meine Flasche aus und laufe weiter. Wir hatten überlegt, ob mein Sohn mich die letzten 27 Kilometer mit dem Fahrrad begleitet. „Papa, nimm es mir nicht übel, du bist mir einfach zu langsam, das ist mit dem Fahrrad zu anstrengend für mich. Deshalb begleite ich dich nur die letzten 27 Kilometer“. Kann ich absolut verstehen. Da zum gleichen Zeitpunkt die Rad – Pfalzmeisterschaften stattfinden, begleitet er mich nun doch nicht. Ich muss aber daran denken. Auf der einen Seite bin ich froh, dass er jetzt nicht da ist. Jetzt am absoluten Limit bin ich lieber alleine, habe da lieber niemanden bei mir. Es gibt nur ganz wenige Menschen, die ich in solchen Momenten um mich haben kann. Er wäre einer der wenigen gewesen. Ich will es ihm sagen und wenn er will und es organisatorisch möglich ist, darf er mich mal bei einem Ultralauf begleiten.
Die Strecke führt vom Sportplatz weg zur großen Straße und dann rechts in eine kleinere Straße die super steil bergauf geht. Kann ich beim besten Willen nicht laufen. Also gehe ich. „Los lauf, Idiot“ denke ich mir. Geht nicht, zu steil. „Du kannst doch nicht jetzt 14 Kilometer gehen, dann vermasselst du dir deine Zeit“. Nein, laufen geht aber nicht. Nach einigen Hundert Metern werden wir wieder auf den Weg geführt. Dieser hat eine geringere Steigung. „Jetzt läufst du so langsam, dass du bis zum Ende der Steigung laufen kannst, dann verlierst du nur wenige Sekunden pro Kilometer“. Eigentlich logisch, bei einer Steigung langsamer zu laufen. Zu solchen Gedankenn bin ich aber kaum noch fähig. So freue ich mich über diesen „genialen Geistesblitz“ und laufe ein paar Sekunden langsamer als 6 Minuten pro Kilometer. Kilometerweise laufe ich, einige Meter gehe ich. Im Vergleich zu Winschoten gehe ich aber viel seltener und viel kürzere Strecken.
Bei Kilometer 76 kommt eine Getränkestation. Ich hole meine deponierte Flasche. „Du siehst aber noch gut aus. Hast du Schwindel?“ Ich unterbreche mein Trinken und schüttele den Kopf, trinke dann weiter. „Hast du Krämpfe, wir haben Magnesium?“. Ich setze ab, schüttele den Kopf und trinke dann weiter „du hast Krämpfe, wieso verneinst du, deine Oberschenkel brennen heftig?“ frage ich mich. Ich weiß die Antwort nicht. „Soll ich dir mehr Wasser in deine Flasche füllen?“ Dann würde sich die Kohlenhydratmischung ungünstig verändern. Bei einem bestimmten Mischungsverhältnis verkapseln sich diese und passieren den Magen und kommen direkt in den Darm. Das sind so ziemlich die einzigen Kohlenhydrate die ich in größeren Mengen bei größeren Distanzen vertrage. „Nein Danke“ antworte ich und trinke weiter. „Willst du Kartoffeln mit Salz“. Es ist wirklich schwer hier ungestört zu trinken denke ich mir , setze ab und antworte „Nein Danke, dann müsste ich kotzen“. Jetzt kommt die nächste Standhelferin: „Soll ich deine Flasche vollmachen“. „Das habe ich ihn auch schon gefragt“ sagt die erste Mitarbeiterin, „will er nicht“. „Jetzt hast du nur noch ein kleines Stück bergauf bis zum langen Tunnel und dann kannst du die letzten 13 Kilometer bergabrollen, geht dann ganz leicht“ sagen sie mir. „Verdammt nochmal ich bin tot, ich weiß nicht wie ich die letzten 13 Kilometer schaffen soll, rafft ihr das nicht?“ Diesen Satz denke ich mir und spreche ihn nicht aus, ich antworte „ja ich weiß, vielen Dank, Tschüß“ und laufe weiter.
Es kommt der lange Tunnel. Die Rampe endet. Nach dem langen Tunnel geht es leicht bergab. Ich fühle mich plötzlich leicht und beschwingt, erhöhe das Tempo und fliege erheblich schneller als 5:30 / Kilometer nur so dahin. Mein Blick auf die Uhr verrät, dass das eine richtig gute Zeit werden kann, das beflügelt mich noch mehr. Einige Läufer überhole ich und fliege nur so an ihnen vorbei. So schnell und unerwartet wie das „Hoch“ kommt, so schnell und unerwartet verschwindet es auch wieder: Bei etwas nach Kilometer 90 kommt plötzlich ein ganz starker Gegenwind geschätzt in der vom Wetterbericht gemeldeten Geschwindigkeit von 35 km/h. Meine Leichtigkeit, ist weg, die Schwere da, nichts geht mehr.
„Los kämpf“. Jeden Fuß setze ich vor den anderen, Schritt für Schritt reduziert sich die noch vor mir liegende Distanz. Es geht durch eine Art Canyon: rechts und links des Weges gehen steile Felsen nach oben, optisch wunderschön, windtechnisch katastrophal. Bei Kilometer 93 kommt die letzte Getränkestation. An ein Handy sind Boxen angeschlossen. Es läuft „Break on through to the other Side“ von den Doors. Passt irgendwie zu meinem Zustand., er hat etwas von der von Jim Morrison besungenen „other Side“. Flasche wechseln, Wasser trinken, 2 Becher Elektrolyt und weiter. Es geht durch einen Vorort von Wuppertal. Halbstarke gehen breitschultrig den Weg entlang, jeder hört „Gangsterrap“ in großer Lautstärke, man macht mir keinen Platz, also laufe ich um sie herum. In dieser Betonöde haben die aber auch keine andere Möglichkeit sich zu entfalten. Ich freue mich wie privilegiert ich auf dem Land leben darf.
Jetzt gibt es einen kleinen Anstieg und dann die letzten Kilometer über den Dächern von Wuppertal. Es kommen verschiedene verlassene Bahnhöfe. Wenn ich Gehpausen einlege hört der Wind auf. Laufe ich los bläst er um so stärker. „Dieser Verda…te Ar…l… Dr….s…Gegenwind“ denke ich mir. „Los lauf“, einige Schritte laufen, gehen. „Los weiter“, also weiter, gehen. Jetzt kommt der letzte Tunnel. Noch 700 Meter. Ich kann nicht mehr. Aber es ist gegen meine Ehre gehend ins Ziel zu gelangen, das gibt es nicht, ich muss laufen, egal wie. Also laufe ich. Irgendwie. Mein Anblick wird wohl furchtbar sein, mein Gesicht von der Anstrengung gezeichnet, egal, weiter. Die Mutter und Tochter stehen 200 Meter vor dem Ziel und applaudieren. Ich fühle mich wie der Hase bei Hase und Igel. Ich laufe und laufe und der Igel ist immer schon da. (In meinem Fall diese Mutter mit ihrer Tochter…)
Ich laufe weiter, kämpfe mich über die Ziellinie beuge mich stark nach vorne und verschnaufe. Simone nimmt mich in den Arm, beglückwünscht mich und schießt die „Hinterherbilder“. Ich hole mir ein alkoholfreies Bier und will mich hinsetzen. Bei der Abwärtsbewegung des Hinsetzens machen die Beine zu und ich falle auf die Bank und stehe erst mal nicht mehr auf. Auch wenn ich nach dem Lauf tagelang starke schmerzende Beine habe bin ich doch überrascht, wie schnell sich mein Körper von dieser Belastung erholt. Von Ultralauf zu Ultralauf scheint mein Körper besser mit dieser Belastung umgehen können. Das gibt Hoffnung in Bezug auf künftige Ultra – Wettkämpfe.
Mit 9:42:02 bin ich von 144 gestarteten Männern 17. geworden und Altersklassen Fünfter. Mit meiner Zeit bin ich absolut zufrieden. Auch bin ich recht konstant gelaufen, nur hat mich der Wind auf den letzten 10 Kilometern gerockt.
Der WHEW ist ein fantastischer Lauf in einer tollen Umgebung. Guido und alle Helfer machen mit ihrem Engagement und ihrem Enthusiasmus aus diesem ein tolles Event. Jetzt kann die Vorbereitung für den Mauerweglauf in Berlin losgehen. Im Juni werde ich weniger arbeiten, im Juli habe ich 3 Wochen frei, kann also unbeschwert trainieren. Jetzt freue ich mich auf den Mauerweglauf.
Als ersten 100 km Lauf 10 Mal 10 Kilometer zu laufen ist verrückt, ich weiß. „Cornelius mach das nicht, du kommst ständig am Ziel vorbei, musst aber weiterlaufen bei zunehmender Ermüdung“ sagte mein Laufkumpel Hermann bei einer unserer regelmäßigen gemeinsamen Laufrunden. „Vor Jahren habe ich in Brandenburg einen 100er, den man in 5 km Runden laufen musste, bei Kilometer 50 aufgegeben“. Ich wundere mich. Wie kann man einen 100 Kilometerlauf nach 50 Kilometern aufgeben? Müdigkeit kommt und man muss halt weiterlaufen. Ja, es ist mental schwieriger bei Rundenläufen, aber trotzdem…. Ich hörte zu und schwieg. In Sachen Ultraläufen ist er erheblich erfahrener als ich, da er seit 17 Jahren Marathon und Ultra läuft. Im Übrigen interessierte mich genau das. Was macht das mit mir. Schaffe ich das? Wie geht es mir bei zunehmender Erschöpfung durchs Ziel und weiter zu laufen. In der Pampa wird man trotz Erschöpfung weiterlaufen, weil man ansonsten eine sehr weite Strecke gehen müsste. Aber würde mir das auch am Ziel gelingen, wenn das Aufhören so einfach ist?
Zugleich müssen die Bewohner von Winschoten ziemlich verrückt sein und aus dem Lauf ein Event machen. Sie schmücken die Stadt mit Fahnen und Girlanden und feiern den ganzen Tag. So meldete ich mich frühzeitig in Winschoten an.
Beim 80 Kilometer Fidelitas Nachtlauf, meinem ersten Ultralauf überhaupt hatte ich mich völlig verausgabt. Diesen hatte ich nach einer einjährigen Verletzungspause ein dreiviertel Jahr lang mit hartem Training vorbereitet. Aus Angst mich zu überfordern, beschloss ich nach diesem ersten Ultralauf die Saison zu beenden und Winschoten abzusagen. Die Stornierungsmail sendete ich drei Tage nach dem Lauf gleich abends nach Winschoten ab. In der darauffolgenden Nacht schlief ich schlecht. Ich merkte, dass ich traurig war wegen der Absage, wollte dort laufen, hatte aber schon abgesagt.
Am nächsten Morgen fand ich eine Mail vom Winschotener Racedirektor in meinem Emailbriefkasten mit der Bitte, ihm meine Bankdaten durchzugeben, damit er mir das Geld rücküberweisen kann. Also schrieb ich ihm, dass ich doch nicht zurücktreten will und erklärte es ihm. Etwa 10 Minuten später antwortete er mit „Dear Cornelius, that´s great news“. Ich war glücklich über diese Antwort und freute mich auf diesen Lauf, sofort kamen aber auch Angst und Druck vor dieser Aufgabe.
Vorbereitung
Ich regenerierte 7 Wochen und lief in dieser Zeit nur mit sehr stark angezogener Handbremse: Sehr geringe Umfänge von 30 – 35 Kilometern pro Woche, die ich in der 6. und 7. Woche auf 70 Kilometer steigerte. Danach trainierte ich 4 Wochen lang mit teilweise 135 Kilometern pro Woche sehr hart. Im Gegensatz zum Karlsruher Nachtlauf klappten alle langen Läufe gut. Freitag drei Wochen vor Winschoten wären 50 – 55 Kilometer dran gewesen. Es gewitterte aber stark. Also lief ich drei Stunden später los. Immer noch blitzte und donnerte es ständig. Da die Blitze zu nah waren, brach ich diesen langen Lauf nach 4 Kilometern ab. Am nächsten Tag war ein Familienfest. Gegen 21 Uhr kamen wir zurück, 21.20 Uhr lief ich los. Ich stelle das Auto mit weiteren Getränken, meinen Kohlenhydraten sowie Salzkapseln an den Rand der Weinberge. Mitten in der Langen Runde würde ich nach 25 oder mehr Kilometern nicht mehr loslaufen können, wenn ich für weitere Getränke nach Hause müsste. Deshalb hatte ich das Auto ans Ende unserer Wohnstraße gestellt. Ich wollte inmitten des Laufes nicht zum Trinken nach Hause müssen. Ich war mir sehr unsicher, ob ich wirklich die 50 Kilometer schaffen würde, deswegen sagte ich zu Simone, dass ich vielleicht bald zurück komme, sie aber nicht warten soll. Einen Trinkrucksack mit einem 1,5 Litern Limonaden – Mineralwassergemisch nahm ich für diesen mit. Diesen langen Lauf durch die Nacht genoss ich total. Ein Dorf weiter, ziemlich genau auf der anderen Seite des Tals fand eine kulinarische Wanderung statt. Man hatte verschiedene Zelte in den Weinbergen aufgebaut, es gab dort verschiedene Leckereien. Als ich loslief ging dort gerade das Abschlussfeuerwerk los. So konnte ich zum Start meines Langen Laufes in das Abendleuchten hinein das Feuerwerk genießen. Ich genoss die Einsamkeit in der Nacht durch die Südpfälzer Weinberge. Nur bedauerte ich, dass es nicht mehr für die Morgendämmerung reichte. Die gerichteten weiteren Getränke im Auto hatte ich nicht benötigt, meine mitgeschleppten 1,5 Liter hatten ausgereicht. Vielleicht sollte ich doch mal in Biel laufen (der legendäre 100 km Lauf von Biel startet um 22 Uhr, man läuft durch die Nacht), weil das durch die Nacht Laufen wirklich toll war. Um 2 Uhr 20 kam ich nach 51 Kilometern zurück. Simone empfing mich mit den Worten „um 4 Uhr hätte ich die Polizei gerufen“. Sie hatte sich einfach nicht vorstellen können, dass ich nach dem langen und intensiven Familienfest wirklich 50 Kilometer durch die Nacht laufen würde.
Auch der Abschlusslange Lauf klappte gut: 60 Kilometer in 6:03 mit 700 Höhenmetern und ich war nicht übermäßig erschöpft. Jetzt noch 2 Wochen tapern. Das bedeutet, man läuft so wenig wie möglich, damit der Körper ausruhen kann, damit man am Wettkampftag absolut fit ist. Andererseits läuft man so viel, dass die Form, die man erarbeitet hat bis zum Wettkampftag konserviert wird. Macht man in der Taperingphase zu viel, vermasselt man sich den Wettkampf. Wenn ich die 2 Wochen angemessen tapern würde, wäre ich gut vorbereitet.
Winschoten
Wir sitzen in der Halle. Am linken Rand hinter dem Eingang befinden sich Informationsschalter und Startnummernausgabe. Auf der gegenüberliegenden Seite konnte man die Dropbags abgeben. Ich habe 7 Flaschen gefüllt mit meinen flüssigen Kohlenhydraten, Salzkapseln, 1 Regenjacke, 1 Langarmshirt und weiteres Kohlenhydratpulver für den Fall dass ich mehr brauche. Der Veranstalter transprotiert diese Dropbags entweder zu Kilometer 5 oder wie ich es gemacht habe 300 m vom Ziel weg in die Coachingzone.
In der Mitte der Halle stehen Tische und Stühle. Um mich herum sitzen ausgezehrte, durchtrainierte Gestalten. Im Vergleich zu ihnen komme ich mir dick und unsportlich vor (bei 1,89 wiege ich 80 kg). Zugleich sind die holländischen 100 km – Meisterschaften. 15 Minuten nach dem Start des 100 km Laufes wird zudem ein 50 km und noch einmal 15 Minuten später der 10 Mal 10 km Staffellauf gestartet. Ich habe endlich Zeit innezuhalten zu rastlos waren die Wochen vorher: Unser Garten wurde neu angelegt und 2 Kellerräume renoviert. So gut wie jeden Abend mussten wir Steine wegschleppen und Lehmaushub. In der Folge hatte ich wirklich an jedem Tag schwere Beine, in den letzten Tagen tat mir abends der untere Rücken weh und wegen der Rastlosigkeit (Arbeiten Laufen mich um die Familie kümmern, Steine schleppen) hatte ich wieder mal zu viel Kaffee getrunken. In der Folge machte sich meine rechte Achillessehne die letzten 2 Tage vor dem Wettkampf bemerkbar. Eigentlich habe ich meine Achillessehenprobleme gut im Griff mit Athletiktraining, Faszienrolle und Dehnen, wenn ich mich einigermaßen basisch ernähre. Sobald ich meine Übungen vernachlässige oder mich zu säurebetont ernähre meldet sie sich sofort. Also nahm ich wieder mein Entsäuerungsmittel, was mir vor dem Nachtlauf schon gute Dienste geleistet hatte.
Genau jetzt eine Stunde vor dem Start des bisher längsten Laufes meines Lebens realisiere ich meinen Zustand: Ich bin definitv nicht ausgeruht, es wird eine Frage der Zeit sein, wann der untere Rücken, die Achillessehne und überhaupt meine Beine sich melden. Die Chance zu finishen schätze ich in dem Moment geringer als 50% ein. Ich könnte heulen. Natürlich beschließe ich zu kämpfen. Lieber will ich das Risiko eingehen, bei 80 oder 90 Kilometern entkräftet aufhören müssen und in übertragenem Sinne „als Krieger sterben“ als es gar nicht zu versuchen. Simone meiner Frau sage ich nichts von meinen Gedanken. Sie sieht die Tränen in meinen Augen und scheint das für die „Vorwettkampfemotionalität“ zu halten und strahlt mich an. Nach dem Start will Simone einen Ausflug nach Groningen machen. Sie würde mir beistehen wollen, wenn ich aussprechen würde, was mich bewegt. Ich will es aber alleine durchziehen. Leiden und Kämpfen will ich eher alleine. Eine gute Entscheidung wie sich später herausstellte.
Start – das Rennen
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Trotz gemeldeten 15 Grad habe ich mich für eine kurze Laufhose entschieden, meinem kurzärmligen Vereinsshirt und leuchtstifthellblauleuchtenden Kompressionssocken, mit denen ich mich von den anderen Läufern unterscheide. Mit ihnen erkennt Simone mich von weitem. Kurz vor 10 Uhr ziehe ich meine wärmende Jacke aus und gebe sie Simone. Einen Abschiedskuss, ihr einen schönen Tag wünschen und auf in den Startblock.
Mich verwirren die beiden parallel liegenden Startbahnen. Ich erfahre, dass für uns „100er“ die linke Startbahn gilt. Die rechte ist für die 10 x 10 km Staffelläufer, die ja nach jeder Runde wechseln.
Durch meine Überpünktlichkeit stehe ich im vorderen Drittel des Starterfeldes. Um Punkt 10 Uhr geht es ohne großes Tamtam los. Wie schon bei meinem letzten Ultralauf keine ACDC oder sonstige Musik, nur der übliche Startcountdown, PENG, und dann setzt sich das Starterfeld in Bewegung. Und – ich werde es nie verstehen – wie immer bei Marathon- und Ulzrawettkämpfen starten etliche Leute in einem Mördertempo, ich schätze erheblich schneller als 4 Min. /km los. Ich bin hochkonzentriert wie in einer tiefen Meditation und laufe los. Normalerweise programmiere ich mich bei Wettkämpfen auf ein Tempo und laufe dies diszipliniert. In Halbmarathons und 10 Km Läufen habe ich das geübt und mich vor Marathons darauf programmiert. Nenne es Doofheit, Zerstreutheit oder wie auch immer, ich hatte mich auf kein Tempo programmiert. Rückblickend würde ich sagen, es war der Stress. Meine Familie trägt meine Lauferei Gott sei Dank mit. Ich fange deswegen sehr früh an zu arbeiten. Ich kann meine Arbeitszeiten selbt bestimmen und arbeite meistens bis 16 Uhr durch, laufe dann und bin meist gegen 18 Uhr zu Hause. Die langen Läufe laufe ich Freitag abends bzw nachts, es sei denn ich muss wie beim Karlsruher Nachtlauf, das Laufen bei Hitze trainieren. Dann vertage ich die langen Läufe auf Samstag oder Sonntag Mittag, wie es halt passt. Dennoch habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen meiner Familie gegenüber. Und natürlich habe ich bei unserem Umbau angepackt, zumal ich durchs Tapering nicht wirklich viel lief. So war die Vorwettkampfzeit also rastlos und erst am Rennmorgen konnte ich nachdenken.
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Wie erwähnt hatte ich mich auf kein Anfangstempo programmiert, lasse meine Beine entscheiden und laufe in 5:30 /km los.
Wie bei jedem wichtigen Wettkampf habe ich drei Ziele. Wenn ich eines nicht mehr erreichen kann, greift das Nächste. Das letzte heißt immer „kämpfen“ bzw. „finishen“. Die Ziele lauten also:
Als Mindestziel laufen und bis zum Umfallen kämpfen und finishen, egal wie. Wobei gesagt werden muss, dass das Cut Off dieses Laufes bei 12 Stunden liegt. Man muss nach 10:50 Stunden die letzte Runde begonnen haben, sonst wird man aus dem Rennen genommen.
Unter 10 Stunden bleiben
Mein Traum wären 9:30
Im Vorfeld eines Wettkampfes spreche ich ungern über Ziele, stapele eher tief. Auch aus Unsicherheit ob ich sie schaffe. Nur wirklich nahestehenden Menschen offenbare ich mein echtes Ziel, es sind diesmal die genannten 9:30 Stunden oder nahe dran.
Direkt nach dem man den riesigen einschüchternden Startaufbau, hinter sich gelassen hat, geht es um die Kurve in einen Park. Hier beginnt die „Coachingzone“. Es sind etliche Zelte am Wegesrand aufgebaut von Teams, die ihre Athleten unterstützen. Nach ca. 300 Metern kommt das offizielle Dropzonenzelt. Ich sehe meine Sachen auf dem Tisch gerichtet liegen und bin zufrieden. Gegenüber befindet sich ein Cafe, es ist jeder Tisch besetzt von Leuten, die den Athleten zugucken. Nach einigen Hundert Metern kommt ein „Coachingzone End“ – Schild.
Etwa einen Kilometer lang geht es weiter durch den Park. Ich komme in meinen Rhythmus und laufe meinen Stiefel.
Im Vorfeld des Starts war mir ein von seiner Ausstrahlung her interessanter Läufer aufgefallen, vermutlich Holländer. Er hatte ein schwarzes Shirt an an dem vorne das magische Wort „Spartathlon“ und hinten ein japanischer Name aufgedruckt war. Ich treffe ihn auf der Strecke und spreche ihn an. Er sagt, dass er bereits drei Mal den Spartathlon gefinisht hat und diesen Winschotener 100 Km Lauf als letzten langen Lauf vor dem in drei Wochen stattfindenden Spartathlon sieht. Der Spartathlon ist ein 246 Kilometer langer Lauf von Athen nach Spartha, den man in 36 Stunden beendet haben muss. Mit einem Japaner, der beim letzten Spartathlon genau zur selben Zeit ins Ziel gelaufen war wie er, hatte er Trikots getauscht. „Ich darf heute nur nicht zu schnell laufen“ sagt er zu seiner heutigen Renntaktik. Am Schluss war er etwa 30 Minuten schneller als ich….
Ich berichte ihm von meinem Ultradebut und gebe meine Zielzeit mit etwa in 10 Stunden finishen an. „Wenn du beim Fidelitas Nachtlauf 80 km mit 900 Höhenmeter gelaufen bist, entspricht das 89 Kilometer im Flachen.“ Nach dem Karlsruher Nachtlauf war ich wirklich am Ende, hatte mich völlig verausgabt. Schaffe ich hier dann in meinem Zustand 100 Kilometer? Ich werde innerlich etwas kleiner, mein Selbstbewußtsein schrumpft.
Kurz vor Beendigung der ersten 10 Kilometer Runde lasse ich ihn ziehen, unser Tempo hat sich auf 5:10 eingependelt und das ist spürbar zu schnell für mich.
Die erste Runde beende ich in 54 Minuten. Ich fühle mich gut und spüre (noch) nichts von dem körperlichen Harakiri, den ich mit diesem mörderischen Anfangstempo begehe.
Eine Erfahrung vom Karlsruher Nachtlauf war die Ernährung: Deswegen nehme ich meine flüssigen Kohlenhydrate zu mir, aber nicht so viel und trinke so gut wie ausschließlich Wasser.
Nach dem Park kommt eine lange, breite, gerade Straße. An manchen Häusern haben die Bewohner Tische und Stühle aufgebaut, trinken Rosewein oder Sekt und feuern die Läufer an. Nach wenigen Kilometern kommen enge Wohnstraßen. Vereinzelt sind Girlanden um die Häuser herum und über die Straße gespannt. In der ersten Wohnstraße wurden große, auf Holz gemalte und ausgesägte an Stangen befestigte Tiere am Straßenrand aufgestellt. Neben den wirklich in ausreichender Anzahl vorhandenen offiziellen Getränkestationen gibt es unzählige private. Vor fast jedem Hause in den Wohnstraßen sitzen Bewohner, trinken, grillen und feiern und bejubeln die Läufer. Belebte Straßen wechseln sich mit ruhigen ab. Aber auch an den ruhigen sitzen die Menschen und applaudieren. Am Ende der längeren ruhigen an einem Kanal gelegene Straße bei Kilometer 5,5 steht ein großer Traktor mit Tischen und Bänken, jungen Leuten, lauter Musik und Bier. Kurz vor Kilometer 7 kommt eine lange gerade Wohnstraße mit angenehmer Popmusik, gefühlt alle 10 Meter steht ein Kind und bietet den Läufern zur Erfrischung einen nassen Schwamm an. Genau bei Kilometer 7 rennt bei so gut wie jeder Runde ein Mann mit einem Tablett auf mich zu und bietet mir süße Schaumstoffstangen an, die ich als Kind geliebt habe, jetzt bei diesem Wettkampf aber nicht vertragen würde. Jede Runde antworte ich „No thank you“ und laufe weiter. Dann geht es eine kurze Weile an einer Straße vorbei, an der nur auf der rechten Seite Häuser sind und links ein Wäldchen. Ich genieße dort immer die Ruhe, denn direkt nach dem Wäldchen kommen Party, laute Rockmusik und feiernde, fröhliche Leute. Ich öffne den Mund, damit der laute in meine Ohren dringende Schall durch den Mund wieder heraus geht.
Wir biegen links in eine Straße in der am Rand bei Kilometer 9 eine große mit Alufolie umwickelte „9“ an einem Stab befestigt in die Erde gerammt ist. Über die Straße hinweg sind viele Hundert Meter lange Girlanden, die mit orange – gelben nach unten aufgespannten Regenschirmen beschmückt sind. Aus einem Unimog dröhnt wieder laute Rockmusik. Die Straße ist voll von feiernden jubelnden Menschen. Dann links abbiegen, eine kleine ruhige Passage durch ein Rondell nach links in die Start – Zielgerade. Direkt hinter dem Rondell ein Bierstand. Die lauten holländischen Schlager sind nicht das Schlimme. Der DJ singt mit Mikrofon die Schlager völlig schräg mit falschen Tönen mit. Viele jubelnde Menschen. Die zweite Runde beende ich in 54 Minuten.
Wieder nur ein paar Schluck Kohlenhydrate trinken, Salzkapseln, etwas Wasser und weiter. Die ganze Stadt ist abgesperrt, es gibt ein paar Durchfahrtsstraßen, an denen Ordner die Autos für uns Läufer bremsen. An einer dieser Straßen tanzt einer der Ordner immer dann wenn er nichts zu tun hat. Ich werde ihn den ganzen Tag tanzen sehen. Es windet ordentlich, aber immer nur für eine kürzere Zeit, da man ständig die Richtung wechselt. Ziemlich am Anfang der Wohnstraße, wo auch selbt gebastelte Tiere auf Holz gemalt und aufgestellt sind, steht jetzt ein Kind mit Downsyndrom und jubelt.
Ich spreche mit einem holländischen etwas älteren Läufer und erzähle ihm, dass dies mein erster 100er ist und dass ich gerne in 10 Stunden finishen würde. „Man muss die Marathonzeit mal drei nehmen, das ist die mögliche Zeit bei 100 Kilometern. Das wären 3:20“ sagt er bezüglich meiner Wunschzeit. Ich bin 3:22 gelaufen, aber das war Jahre her, vor meiner Verletzung. Dieses Jahr rannte ich 3:38 nicht am völligen Limit. Das wären etwa 10:30 Stunden. Von diesen Gedanken sage ich ihm nichts, werde aber innerlich wieder etwas kleiner. Ich will schneller als 10 Stunden sein, wie ein trotziges kleines Kind will ich das, will will will.
Die dritte Runde beende ich in 54 Minuten. Coachingzone, Salzkapseln, flüssige Kohlenhydrate, Wasser, weiter durch den Park, die lange Straße entlang in die Wohngebiete. Ein älterer erheblich kleinerer Läufer als ich nimmt mich in den Gegenwindpassagen als „Windschutz“, das ist OK für mich, wir laufen zusammen und nicht gegeneinander. Er erzählt, dass er mit 68 Jahren versuchen will in 10 – 10:30 Stunden zu finishen. Er wird erheblich länger brauchen, dennoch habe ich riesigen Respekt vor ihm und vor seiner Leistung, sich das anzutun. Er muss geistig sehr offen sein, noch für diese Art von Leistungssport zu brennen.
Foto ist von Janny Heijerman
Krise
Bei Kilometer 35 kommt was kommen musste: Die Beine werden sehr schwer, meine Bewegungen werden schlagartig unrund und auch beginnt der untere Rücken zu schmerzen. Im ersten Moment werde ich verzweifelt. Ich kann mir nicht vorstellen so noch weitere 65 Kilometer weiter laufen zu können. So ist der erste Impuls aufzugeben. „Aber“, so sage ich mir, „jetzt läufst du den ersten Marathon fertig und noch zwei weitere Runden und siehst dann weiter“. Gesagt getan, ich laufe weiter, um den ersten Marathon zu beenden und dann noch ein Halbmarathon geht auch noch. Auch diese Runde beende ich in 54 Minuten. Im Kopf fühle ich mich ziemlich klar, kein Nebel, ich kann noch gut denken, nur schmerzt der Körper und die Beine sind schwer. Durch aufrechte Haltung hält sich der untere Rücken erträglich, die Achillessehne auch, ein Ziehen im Vorderfuß kommt hinzu. Auch das fühlt sich nicht nach Verletzung an. Das wird wohl kein Ermüdungsbruch werden an diesem Tag. Ich glaube eh, dass die meisten Verletzungen bei Ultraläufern nicht während sondern nach einem Wettkampf kommen, wenn diese dem Körper nicht genug Ruhe und Regeneration geben. Die 5. Runde beende ich in 56 Minuten.
Aufgeben?
Ich gebe es zu: wäre Simone im Ziel gewesen, hätte ich aufgegeben. Ich halte es in diesem Moment einfach für ausgeschlossen, die noch fehlenden 50 Kilometer laufen zu können. Innerlich beginne ich Hermann Abbitte zu leisten für meine Unwissenheit bzw. Arroganz. Bei unserem nächsten gemeinsamen Lauf habe ich Hermann auch in Realität davon berichtet.
Vor jedem Zieldurchlauf hoffe ich, dass Simone nicht da ist, weil ich genau weiß, dass ich dann eventuell aufgeben würde. Ich beschleunige am Zielbereich das Tempo, um sie ja nicht zu treffen.
Bei der 6. Runde beginnen gelegentliche Gehpausen. Ja, ich bin Läufer und nicht Geher, hasse es bei Läufen zu gehen, aber es geht nicht anders. Ich gehe aber nur kurz. 5 Kilometer laufen, dann 100 Meter gehen, 3 – 4 Kilometer laufen und gehen und so weiter. Das Gehen wird mehr und länger werden, das Laufen weniger und zunehmend kürzer. Ziemlich genau in der Mitte der 6. Runde verspüre ich plötzlich Hunger, habe also zu wenig Kohlenhydrate zu mir genommen. Bei einem privaten Getränkestand trinke ich deswegen ausnahmsweise Cola. Die 6. Runde beende ich in 55 Minuten. Ich überlege aufzugeben, kann mir nach wie vor nicht vorstellen es zu schaffen, aber 4 Stunden auf Simone warten ist zu stressig, da kann ich auch weiterlaufen. Also laufe ich.
Salzkapseln, mehr flüssige Kohlenhydrate, Wasser und weiter. Beim Wasser fragen mich die Helfer wie es mir geht. Verdammt nochmal ich bin tot, quäle mich, und die fragen wie es mir geht. Zum Glück denke ich das nur und spreche es nicht aus. Ich antworte „OK“, bedanke mich und laufe weiter. In den Muskeln um das linke Knie herum kommt nun ein starker Schmerz dazu. Das hatte ich beim Fidelitas Nachtlauf auch schon. Ich laufe in den Schmerz hinein, hinke eine Weile stark, nach einigen Hundert Metern verschwindet er. Beim Gehen bleibt er. Die Gehpausen werden häufiger. Sie hinke ich. Die ersten Schritte beim Loslaufen schmerzen stark, danach geht es den Umständen entsprechend gut. Die Musik an den jeweiligen Ständen verwandelt sich allmählich in immer unerträglicher werdenden Lärm. Ich sehe mehr Bier und Wein an den Tischen der Bewohner stehen und ich gebe es zu. Insgeheim wünsche ich mir die Blaskapelle des Kandel Marathons herbei.
Ein reines Vergnügen ist das Laufen nicht mehr. Und natürlich kommt in einem solchen Moment die Frage nach dem warum. Warum tue ich mir diese Quälerei eigentlich an? Die Antwort kommt prompt: Weil mich das Laufen magisch anzieht, weil ich es tun muss, mich es ganz macht. Mir kommt ein Zitat des Musikers David Gilmour in den Sinn: „I go on doing what I have to do!“ Genau das ist es. Diese Antwort stimmt, befriedigt mich, ich laufe weiter.
Ich muss mich sehr zusammennehmen, dem falsch singenden DJ kurz vor dem Start / Ziel nicht meinen Mittelfinger entgegenzustrecken, weil mich das falsche Gesinge nervt, ja, ärgert. Mein Kopf ist immer noch recht klar, jedoch werde ich innerlich zunehmend reizbarer. Gott sei Dank kann ich mich nach außen hin einigermaßen zusammenreißen. So gut es geht am Ziel beschleunigen, damit Simone noch nicht da ist, und weiter. Ich beende diese Runde in 58 Minuten Der Sprecher am Ziel nennt meinen Namen und sagt auf holländisch etwas von meiner Position, ich glaube, es sollte „17“ heißen. So beginne ich die 7. Runde erregt.„Bin ich bei diesem super Startfeld an 17 Position? Kann nicht sein, oder doch? Das musste sicherlich „27.“ oder „37.“ heißen.“ Über 100 Starter waren gemeldet, das wusste ich. Wie ich später recherchierte sind 93 gestartet und davon finishten 53.
Bei der langen geraden Straße bei Kilometer 2 sitzen junge Leute, grillen und trinken Bier. Ich gehe. Sie stehen auf, feuern mich fanatisch an, also beginne ich halt wieder zu laufen. Sie freuen sich, lachen und jubeln. In einem Rondell bei Kilometer 4,5 schneidet mir ein Auto der Rennleitung den Weg ab, ich muss leicht abbremsen. Wutentbrannt brülle ich „aus dem Weg, hopp“, schäme mich hinterher für meinen Ausbruch und laufe weiter.
In Mitte der 7. Runde realisiere ich, dass ich jetzt finishen kann, selbst wenn ich das meiste wandere. Diese Erkenntnis findet aber keinen großen emotionalen Widerhall in mir. Immer noch kann ich es mir einfach noch nicht vorstellen zu finishen. Der Kopf realisiert es, der Rest in mir nicht. Ich bin geistig nicht von Müdigkeit oder Erschöpfung vernebelt, sondern einfach müde und durch das hohe Anfangstempo „abgeschossen“. Die realitische Möglichkeit zu finishen ist noch zu unrealistsch. Zudem will ich den Lauf in 10 Stunden beenden und zwar weitestgehend laufend und eben nicht wandernd.
Bei Kilometer 7 spricht mich eine auf einem Stuhl sitzende Frau auf holländisch an. Ich denke sie will wissen wie es mir geht und antworte „OK“. Der neben ihr sitzende Mann nennt dann meine Startnummer. Sie „ach so“ und macht ein Kreuz auf ihrer Liste. Der Wind hatte meine vordere Startnummer hochgeweht, so dass man sie nicht sehen konnte. Hinten war sie mit Sicherheitsnadeln befestigt. Das waren Rennkontrolleure. „Cornelius geht’s dir gut?“ fragte sie. Sie spricht mich mit meinem Vornamen an, da dieser auf meiner Startnummer aufgedruckt ist. Ich antworte: „Ja etwas müde“.
Meine Zeiten werden langsamer und pendeln sich bei 60 Minuten ein. Ende der 7. Runde (ich beende sie in 1:01) keine Simone, Gott sei Dank, also weiter. Kohlenhydrate, mehr Salz, Wasser und weiter. Bei der geraden langen Straße soll mir das nicht noch mal passieren: Wo ich die jungen Leute vermute laufe ich. Nur kommen sie nicht. Später gehe ich und werde von einem „hopp hopp, run, hopphopp“ erschreckt. Innerlich hatte ich sie zu früh an der Straße vermutet. Also beginne ich wieder zu laufen, sie freuen sich.
Die 8. Runde geht irgendwie vorbei. Für sie benötige ich 1:01 Stunden. Ich amüsiere mich über mich. Ich hätte nie gedacht, dass ich mir mal die Blaskapelle des Kandel Marathons herbeiwünschen würde, aber ich empfinde die Musik als immer noch unerträglicher werdenden Lärm und ich sehne sie mir förmlich herbei. Was ich damals nicht realisierte ist, dass sich meine Wahrnehmung im Verlauf des Wettkampfs stark verändert hat.
Finish
Das Kind mit Dowmsyndrom steht immer noch da. Mein Gehen kommentiert es mit einem missmutigen Stöhnen, fasst an meinen nassen Po und versucht mich anzuschieben. Viele Erwachsene, die diese Szene sehen sind pikiert, mich rührt diese Geste. Also laufe ich wieder los, das Kind mit Downsyndrom freut sich.
Bei Kilometer 7 wieder die Frau auf dem Stuhl „Cornelius, wieviele Runden hast du noch?“ fragt sie mit ihrem holländischen Akzent. „Nach dieser noch eine“. „Super, tolle Leistung“. Ich bin absolut erschöpft, kann aber kilometerweise weiterlaufen. Es fühlt sich anders an als beim Karlsruher Nachtlauf. Ich bin viel weniger vernebelt, hochkonzentriert, auch am absoluten Limit, aber anders, habe trotz aller Erschöpfung einem viel klareren Geist, bin fast in einem meditativen Zustand. Immer häufiger werde ich gefragt, wieviele Runden ich noch laufen muss, werde immer mehr beglückwünscht. Meine Körperhaltung hat sich verändert: Mein Oberkörper hat nun einen Linksdrall. Es gibt bei Youtube einen Film, auf dem man mich bei Kilometer 97 nach einer Gehpause wieder loslaufen sieht, den Linksdrall und auch den „Loslaufschmerz“ kann man da gut erkennen. Ich tauche bei Sekunde 17 auf. (https://www.youtube.com/watch?v=X49ksmBufpg). Auch diese Runde beende ich in 1:01 Stunden.
dav
Zu Beginn der letzten Runde sitzt Simone in der Coachingzone auf der Bank. Jetzt freue ich mich sie zu sehen, insgeheim hatte ich es in dieser Runde gehofft. „Wieviele Runden musst du noch laufen?“ fragt sie. „Nur noch diese“ antworte ich. „Wirklich nur noch diese? Kann ich dann zum Ziel?“ fragt sie ungläubig. Ich bin seit 8:34 Stunden unterwegs „Ja, kannst du“ antworte ich. „Du warst erheblich weniger verpeilt als beim Karlsruher Nachtlauf“, sagt sie mir später. „Präsent, hochkonzentriert und fokussiert. Ich konnte kaum glauben, dass dies wirklich die letzte Runde war, und musste deshalb explizit noch einmal nachfragen.“ Ich küsse sie, forme meine Hände in ihre Richtung zu einem Herz und zeige es in ihre Richtung, nehme Salz, ein paar Schluck Kohlenhydrate zu mir und laufe nicht weiter. Mich gelüstet es nach Cola. Es ist die letzte Runde, also egal: Ich trinke 3 Becher Cola (die Helfer fürchten um meinen Magen. Ich beruhige sie, dass dies meine letzte Runde ist) und laufe dann weiter. Jetzt bin ich mir sicher diesen Lauf erfolgreich zu beenden und beginne zu rechnen in welcher Zeit. Für 9:30 wird es wohl nicht ganz reichen, aber dicht dran. Also kämpfen. Die Gehpausen werden wieder weniger. Ich finde das ist ein spannendes Phänomen: Das Gehirn behält einen bestimmten Prozentsatz an Energie zurück und sendet frühzeitig ein Müdigkeitssignal. Diese Energie ist für den Notfall gedacht, wenn man einem gefährlichen Tier davonlaufen muss. Da jetzt die Anstrengung bald vorbei ist, gibt das Gehirn einen Großteil der zurückbehaltenen Energie nun frei. Deswegen nehmen in der letzten Runde die Gehpausen etwas ab.
Bei den jungen Leuten, die mich zwei Runden lang gehend zum Laufen angetrieben hatten, laufe ich, sie freuen sich. Auch das Kind mit Downsyndrom jubelt und freut sich mich laufend zu sehen. Bei Kilometer 7 lege ich eine Gehpause ein. Beim wieder Loslaufen kommt wieder der starke Schmerz in den Muskeln um das linke Knie herum und mir entfährt ein Schmerzensschrei. Sofort kommt der sich mit Fahrrädern fortbewegende Medical Service zu mir gefahren und fragt mich: „You are Okay?“. „Yes I´m OK, only feeling little pain!“ antworte ich und laufe weiter. Ich habe das Bedürfnis, mich zu bedanken und applaudiere vielen Zuschauern zu und verabschiede mich innerlich von den Straßen, Häusern und Menschen. Weil das Gehen sehr schmerzhaft ist befürchte ich, nach dem Wettkampf größere Gehprobleme zu bekommen. Zuerst aber laufen, kämpfen und finishen. Und das möglichst schnell.
Zieleinlauf
Nach dem Rondell geht es auf die Zielgerade, schon frühzeitig sagt mich der Racedirektor mit seinem Mikrophon an und spricht unter anderem das magische Wort „Finish“. Die immer noch zahlreichen an der Strecke stehenden Leute jubeln mir zu und beglückwünschen mich. Ich laufe ins Ziel. Eigentlich wollte ich die letzten paar Hundert Meter besonders genießen, geht aber nicht. Das Weiterlaufen ist einfach zu anstrengend, zu müde, dumpf und erschöpft bin ich. Ich kämpfe mich über die Zielinie. Für die letzte Runde brauchte ich 1:02 Stunden. Helfer wickeln mich sofort in eine Decke. Ich bedanke mich, gehe zum Ende der Absperrung, gebe sie ab und gehe zu Simone, nehme sie mit den Worten „es ist vollbracht“ in den Arm und danke ihr für die Unterstützung. Ich fühle mich glücklich, erschöpft, aber erstaunlich klar. Jedoch kann ich meinen Zustand nicht zuverlässig einschätzen, weiß nicht, was in Sachen Körper noch kommt. Deswegen rasch die „danach – Fotos“ schießen und ab in die Dusche. In der Umkleidekabine sind außer mir nur 50 km- und Staffelläufer. Ich kann mich nur schwer bewegen, es dauert ewig, die Kompressionssocken auszuziehen. In der Dusche kommt plötzlich an starker Schmerz an einer unerwarteten Stelle: an meiner Pofalte, sie ist enorm wund und brennt fürchterlich beim Duschen.
Nach dem Duschen hält mir ein 10 km – Staffelläufer mit den Worten „you had the harder competition“ die Tür auf, was mich rührt. Weil ich wegen der Schmerzen beim linken Knie beim Gehen während des Wettkampfs weitere und stärkere Schmerzen befürchte, will ich rasch zum Hotel in die Nähe eines Bettes, also in Sicherheit.
Unser Zimmer liegt im Nebengebäude im oberen Stockwerk. Man kommt über eine Außen – Eisentreppe dorthin. Also folgt nun ein „Ultratraillauf“: Ich muss mich mit meinen schmerzenden Haxen breitbeinig über die Eisenaußentreppe ins obere Stockwerk kämpfen. Simone hat ihren Spaß mir dabei zuzugucken und amüsiert sich königlich. Im Zimmer massiert sie meine Beine mit Magnesiumöl. Ich schicke an Familie und Freund ein Zielfoto mit den Worten „Das war der härteste, brutalste, schmerzhafteste Lauf meines Lebens aber völlig geil“ und nach einem kurzen Abendessen löschen wir das Licht. Simone schläft schnell ein, ich nicht. Sobald ich die Augen schließe, schießen unzählige Bilder des Laufs durch meine Kopf und stoppen nicht. Diese halten mich wach. Das kenne ich schon von anderen Wettkämpfen. Wenn ich mal einschlafe, werde ich schnell wieder von den Schmerzen in meine Beinen vom im Schlaf Umdrehen bzw. die Lage wechseln wach. Auch das gehört dazu.
Zwei Tage später am Montag, kann ich sogar wieder schmerzfrei liegen! Ich bin stolz was ich geleistet habe, bin 9:33:30 gelaufen, 21. von 93 Gestarteten und 53 gefinishten und das bei den holländischen Meisterschaften bei meinem ersten 100 Kilometerlauf.
Der Runwinschoten ist ein hervorragend organisierter Lauf, es fehlt an nichts. Die Bevölkerung ist in positiven Sinner verrückt: Die Leute setzen sich bei 15 Grad 9 Stunden an die Strecke, feuern die Läufer an und feiern. Die Musik an der Strecke ist nicht wirklich schrecklich, das hat vielmehr etwas mit der Verschiebung meiner Wahrnehmung zu tun durch die zunehmende Ermüdung. Irgendwann werde ich dort sicherlich mal wieder laufen.
Nachbetrachtung
Seit dem 8. September 2018, an dem das Rennen stattfand, regeneriere ich. Frühestens Anfang November fange ich mit Grundlagentraining an, Januar und Februar 2019 folgen marathonspezifisches Training, was mit der Teilnahme beim Kandel Marathon endet. Das hat damit zu tun, dass meine Schnelligkeit durch das Ultratraining etwas gelitten hat. Mit dem Grundlagen- und dem dann folgenden marathonspezifischen Training feile ich an meiner Grundschnelligkeit, die mir auch beim Ultralaufen hilft. Erst nach dem Kandelmarathon (mit seiner Blaskapelle bei Kilometer 15 und 17, diesmal werde ich sie erstmals genießen!) beginnt das ultraspezifische Training. Wo und wann ich nächstes Jahr meine Ultraläufe absolviere, steht noch nicht völlig sicher fest, ich werde es aber Anfang 2019 sicher wissen.
Dieses 100 Kilometerrennen in Winschoten bin ich aus Doofheit viel zu schnell angegangen. Das darf mir nie mehr passieren. Bis zum nächsten Ultralauf werde ich bei Volks- und Halbmarathonläufen erneut das Laufen eines bestimmten Tempos unter Wettkampfbedingungen trainieren und mir in der Taperingphase mehr Zeit nehmen zur mentalen Vorbereitung.
Für den nächsten Hunderkilometerlauf habe ich jetzt eine Hausnummer, im Schnitt bin ich 5:41/pro Kilometer gelaufen.
65 Kilometer bin ich mit reinem Willen gelaufen, dass das möglich ist, hätte ich nicht gedacht. Mein Hauptfehler war aber genau das: Man muss immer im „hier und jetzt“ bleiben. Wenn ich bei Kilometer 35 müde bin, aber noch weiterlaufen kann, muss ich das tun. Sich vorzustellen noch 65 Kilometer laufen zu müssen ist mentaler Selbstmord. Jeder erfahrene Ultraläufer weiß das, ich jetzt auch. Es reicht aber nicht aus, diese Dinge theoretisch zu wissen, man muss diese Dinge erleben, selbst erspüren und erleiden. Von dem her wird mir diese Erfahrung bei meinen nächsten Ultrawettkämpfen ungemein wertvoll sein und soviel kann ich verraten: Mittelfristig wird sich die Distanz meiner Wettkämpfe steigern.
In Sachen Linksdrall habe ich entsprechende Übungen in mein Athletiktraingsprogramm eingebaut. In meiner Praxis habe ich 2 Räume an einen sehr guten Osteopaten untervermietet. Mit ihm habe ich gesprochen, er zeigte mir die Übungen, die ich in mein Athletikprogramm eingebaut habe. Die Schmerzen um das linke Knie herum kommen wie ich inzwischen weiß von einer mangelnden Rotationsfähigkeit meiner rechten Hüfte, wie ein Termin bei einem Spezialisten ergab. Das heißt die Probleme der linken Körperseite entstehen, weil diese Ausgleich für die rechte Körperseite machen muss. Ich weiß jetzt um die Gründe der Probleme und kann nun etwas tun.
Mein Magen wird wohl immer beim Ultralaufen empfindlich bleiben. Ich darf deswegen nicht so viele Kohlenhydrate zu mir nehmen wie irgend möglich. Gels vertrage ich fast nicht, höchstens eines alle 3 – 4 Stunden. Am besten vertrage ich flüssige der Firma Maurten. Im Winter werde ich viele Nüchternläufe absolvieren und die langen Läufe möglichst Kohlenhydratfrei, d.h.a b 3 Stunden vor bis Ende des Laufes keine Kohlenhydrate einnehmen. Da der Körper die Kohlenhydratspeicher schneller leert und dann keine mehr zur Verfügung hat, muss er auf Fettverbrennung umschalten. Das macht der Körper ungern. Jedoch hilft mir diese wiederum, bei den langen Distanzen besser durchzuhalten. Als „Lebensversicherung“ kann ich mir ja 1 Gel bei den langen Läufen mitnehmen, damit ich bei einem langen Trainingslauf nicht mitten „in der Pampa“ mangels Energie nach Hause wandern muss.
Weil dieser Lauf wirklich toll organisiert war und weil man die Rücknahme meiner Absage so einfach hinnahm schickte ich dem Racedirektor eine Dankesmail. Er antwortete mir mit „You finished your first 100 km loop with 9:33.30, you can be proud for that“ und das bin ich.
In der Haupttraningsphase für den nächsten Ultralauf möchte ich mich bewusster ernähren. Ich bin Stressesser, möchte leere Kohlenhydrate in der Hauptvorbereitungsphase ganz weglassen, ich glaube da ist noch viel Potential. Jedoch wird mir das sehr schwerfallen, aber ich versuche es. Es ist irgendwie auch schön zu wissen, dass ich noch Erfahrungen sammeln kann, besser werden kann. Der „Lauf meines Lebens“ war das Gott sei Dank noch nicht. Dieser liegt noch vor mir, es dauert noch etwas bis er kommt. Er wird aber definitv kommen und ich freue mich darauf.
Danken möchte ich an dieser Stelle meiner Familie: Unserem Sohn Gabriel („Wie weit bist du gelaufen Papa?“ „ Ach 35 Kilometer! Nur!“) und meiner Frau Simone („Dass du Ultra laufen willst, weiß ich schon lange. Endlich kapierst du´s auch, ich unterstütze dich!“), die meine Lauferei mittragen. Dafür erhalten sie abends einen erheblich fröhlicheren, ausgeglicheneren Papa bzw. Ehemann. Das Ende meiner langen Verletzungsperiode sehnten auch sie herbei.
Dem ist nichts hinzuzufügen außer Danke…
Vielen Dank an Janny Heijerman (Per en PR RUN Winschoten) für die Erlaubnis 2 Fotos verwenden zu dürfen.
Kommentar
Der 2 fache Deutsche Meister im 24h – Lauf (AK) Udo Pitsch (www.marathon.pitsch-aktiv.de) kommentierte meinen Laufbericht. Da ich seinen Kommentar absolut auf den Punkt gebracht brillant empfinde, gebe ich ihn mit seiner Erlaubnis hier wieder:
„Hallo Cornelius,
zunächst meinen herzlichen Glückwunsch für deine Leistung. Mehr als die reine Laufzeit, imponiert mir deine Fähigkeit Entkräftung und Schmerzen zu trotzen. Großes Kino!
Wenn man Fehler macht, egal ob renntaktische oder wobei auch immer sonst, braucht einen im Nachgang niemand darauf hinzuweisen. Die offenbaren sich von selbst, führen dazu, dass man leidet wie ein Hund. Beschehren zumindest Unpässlichkeiten, Beschwernis oder im Nachgang irgendwelche Leiden. Du hast Verbesserungswürdiges und -fähiges aufgezählt. Andererseits sind es auch solche Fehler, die einen weiterbringen. Weil sie einen in Zustände versetzen, die man für Minuten oder Stunden glaubt nicht durchstehen zu können. Dass man es dann doch packt ist viel wichtiger als die Laufzeit. Das ist der wahre Wert eines erfolgreich zu Ende gelaufenen Wettkampfs. Wenn du weiter Ultra läufst, wirst du dir deine Ziele immer höher stecken. Deshalb werden diese scheinbar unüberwindlichen Barrieren, wird die Aussichtslosigkeit des Augenblicks dich immer wieder herausfordern. Genau das ist das Wesen des Ultralaufs. Ob du schon so weit bist die ganze Wahrheit zu verstehen, weiß ich nicht. Für mich lautet sie: Die aus adäquatem Training entspringende physische Fähigkeit die Distanz in einer bestimmten Zeit zu schaffen ist nicht mehr als die Voraussetzung für ein Finish. Erfolgreich, siegreich ist man mit dem Kopf. Nur mit nie erlahmendem Willen und der Fähigkeit notfalls auch über Stunden zu leiden, kommt man ins Ziel. Du schriebst:
„65 Kilometer bin ich mit reinem Willen gelaufen, dass das möglich ist, hätte ich nicht gedacht. Mein Hauptfehler war aber genau das: Man muss immer im „hier und jetzt“ bleiben. Wenn ich bei Kilometer 35 müde bin, aber noch weiterlaufen kann, muss ich das tun. Sich vorzustellen noch 65 Kilometer laufen zu müssen ist mentaler Selbstmord.“
Man kann noch viel weiter als 65 Kilometer mit „reinem Willen“ laufen. Mir ging es zuletzt bei den 100 Meilen Berlin so. Da war ich nach 50 km leer und hatte noch 110 vor mir. Und doch wusste ich, dass das geht und wie es geht. Hab diesen Punkt, ab dem jeder „vernünftige“ Mensch die Lauferei einstellen würde, oft genug erlebt und damit auch oft genug erlebt, dass es ab der Marke „ich habe fertig“ dennoch weitergeht. Du wirst in ein paar Jahren wissen, wie wichtig dieses Erlebnis für dich war. Wirst erleben, dass es dich mental enorm stark macht. In so einer Situation nicht aufgegeben zu haben ist ein großes Pfund, mit dem du künftig in dir selbst wirst wuchern können. Und auch das noch: Zu Beginn meiner Marathon- und später meiner Ultrazeit scheute ich den Gedanken wie viele Kilometer noch vor mir liegen wie der Teufel das Weihwasser. Hatte Angst vor depressiven Phasen. Habe sie auch erlebt, zu Anfang, etwa bei einem 12h-Lauf. Heute ist das anders. Inzwischen kann ich „leer“ sein und trotzdem den Zähler munter rückwärts laufen lassen. Weil ich diese Situation des scheinbaren „nichts geht mehr“ oder „bald geht nichts mehr“ so, so, so oft erlebte. Sie sogar sehenden Auges herbeiführte, weil ich aus vollem Training heraus in Ultrawettkämpfe ging, die mir Mittel zu noch längerem Zweck waren.
Ursprünglich wich ich auf die Ultrastrecke aus, weil ich mich darüber ärgerte, dass ich mir an der 3h-Stunden-Marke beim Marathon immer wieder den Kopf einrannte. Ein Teil meines Naturells ist das eines Grenzgängers. Keiner jener Hasardeure, die dabei mit ihrem Leben spielen. Davor hätte ich Angst. Aber sich ausdauermäßig völlig zu verausgaben war mir immer schon Abenteuer wert. Also suchte ich nach dem Punkt, hinter dem wirklich Schluss ist. Ab dem ich nicht mehr laufen kann, einfach umfalle oder mich niedersinken lasse. Der kam nicht bei 100 km, auch nicht nach 24 Stunden, nicht einmal nach hinter 246 km des Spartathlons. Das weiß ich heute, nach vielen auch sehr langen Ultraläufen. Andererseits höre ich auf meinen Körper, der mit auf dem Weg von Athen nach Sparta nahelegte, es bei dieser Anforderung einmalig zu belassen. Sie nicht toppen zu wollen, ja sogar künftig darunter zu bleiben. Das ist vordringlich eine Entscheidung, die meinem Alter geschuldet ist. Darum rate ich jedem Ultraläufer seine Träume zügig zu verwirklichen. Nichts überstürzen selbstverständlich, sich sinnvoll über die Jahre aufbauen, aber auch nicht säumig sein.
Man fasst als nächstes Ziel meist einen läuferischen Traum ins Auge, oder eine Leistung, die einem als Herausforderung gilt, beschrieben in Kilo- und Höhenmetern, die es zu überwinden gilt. Ich habe rückblickend erkannt, dass hinter diesen vordergründigen Zielen ganz andere Ziele erreicht werden, von denen man oft nicht einmal weiß, dass es sie gibt, noch weniger, dass sie wichtig sein könnten. Zum Beispiel war mir irgendwann klar, dass ich aufgrund meines Ultratrainings und zahlreicher Ultrawettkämpfe fähig bin jederzeit – also jetzt, oder morgen, heute Nacht – einen Marathon zu laufen und – so es mich gelüstet – tags drauf erneut, wieder und wieder. Loslaufen und Ankommen, Zeit egal. Geht jederzeit und mehrfach. Ich war verblüfft über diese Erkenntnis. Hab sie irgendwann in eine spezielle Form des Wettkampfs umgesetzt – 10 Marathons in 10 Tagen, verbunden mit einer Zielzeitvorgabe. So ein „hintergründiges Ziel“ für dich könnte sein, durch vielfache Wiederholung des Erlebnisses der schieren Aussichtslosigkeit in einen Zustand zu kommen, in dem dich rein gar nichts mehr erschrecken kann. So geht es mir seit einiger Zeit. Dass dieser Zustand wichtig ist ergibt sich aus der Tatsache, dass ich immer wieder in Situationen gerate, die von Anflügen von Verzweiflung geprägt sind, die auch neu sind und mir dann verbindlich Mut machen kann: Ich habs immer geschafft, egal wie aussichtslos es schien, also schaffe ich es heute auch …
Beim Lesen deines Berichtes musste ich mehrmals schmunzeln, fand mein eigenes Empfinden in ähnlicher Situation lebendig wiedergegeben. Zum Beispiel die wachsende Reizbarkeit, wenn man leidet und dieses Leiden sich nach und nach verschärft. Dann geht mir so ziemlich alles auf den Wecker, ganz besonders natürlich zweifelhafte musikalische Darbietungen …
Ich wünsche dir weiterhin alles Gute und hoffe wir sehen uns in 2019 irgendwo auf oder an einer Strecke.
Noch gut 30 Minuten bis zum Start auf der überhitzten und schattenfreien Aschenbahn. Bei 29 Grad Celsius sitzen mein Lauffreund Hermann und ich auf Bierbänken im Schatten unter einem Dach vom Sportlerheim und blicken auf das Geschehen. Vor uns ein Sportplatz, umgeben von einer Wiese und einer Aschenbahn. Wir unterhalten uns über Belangloses, geben uns locker. So fühle ich mich aber keineswegs. In Wirklichkeit bin ich nervös, angespannt, will aber gar nicht so genau hinspüren. In einer halben Stunde starte ich meinen ersten Ultralauf, der über 80 Kilometer durch den Schwarzwald führt – mit knapp 900 Metern Steigung.
Mein erster Ultralauf | Das Vorspiel
Nach einjähriger Verletzungspause kann ich endlich seit Oktober letzten Jahres wieder ernsthaft trainieren. Vor diesem Zeitpunkt bin ich maximal Marathon-Distanzen gelaufen. Da meine Achillessehnenprobleme einfach nicht weggingen, machte sich in mir zunehmend Angst breit, dass ich nie wieder so würde laufen können, wie ich gerne möchte. In dieser Phase der Unsicherheit kam der Gedanke, dass ich gerne jetzt – und nicht irgendwann später – Ultraläufe absolvieren möchte. Je weiter desto besser.
Eigentlich ein Wiederspruch. Aber: einige Jahre zuvor hatte ich mit leuchtenden Augen dem Start des Karlsruher Nachtlaufs zugeschaut. Damals bin ich die „kleine“ Distanz, den Marathon, gelaufen. Ein Bus bringt die Marathonläufer in den Ort Mutschelbach, von wo aus man ab 20 Uhr die zweite Hälfte der Langdistanz in die Dunkelheit hinein läuft. Für mich waren die Ultraläufer eine Art „Elite“, der ich nie angehören würde. Zugleich fesselte mich der Gedanke 80 Kilometer am Stück zu laufen. Also recherchierte ich im Internet bezüglich ultraspezifischen Lauftrainings und machte mich schlau.
Meine Frau reagierte auf meine Bemerkung, Ultras laufen zu wollen, mit den Worten: „Das ist mir schon lange klar, endlich kapierst du`s auch. Ich unterstütze dich!“ Ehrlicherweise hatte ich ihr gleich gesagt, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass es nicht bei dem 80 Kilometerlauf bleiben würde, sondern mit ziemlicher Sicherheit auch größere Distanzen folgen würden. Jetzt stand mir also mein erster Ultralauf bevor.
Die Vorbereitung bestand zuerst aus einem marathonspezifischen Training, welches Mitte März mit dem Kandel-Marathon in der Südpfalz endete. Seit 18 Monaten war ich keinen Marathon mehr gelaufen und war am Start entsprechend unsicher. Ich finishte in 3:38h und bin dabei nicht an mein persönliches Limit gegangen. Sicherlich hätte ich aus meinem Körper ca. fünf Minuten mehr herauspressen können, aber um den Preis, dass ich dann hätte mindesten 14 Tage regenerieren müssen. So konnte ich einen Tag nach dem Kandel-Marathon weitertrainieren. Mehr zählte aber die Tatsache: ich war gut in Form und nicht so weit von meiner alten Leistungsfähigkeit weg.
Beim Marathon trainiert man Tempoläufe und einmal pro Woche lange Läufe, sogenannte „Lalas“. Man sollte in den 12 Wochen bis zum Marathon 10 mal die 35 km gelaufen sein in eher langsamem Tempo. Dann hat man die notwendige Langausdauer für den Marathon. Zusätzlich kann man Endbeschleunigung in die Lalas einbauen, um mehr Wettkampfhärte zu erreichen.
Hitze, Höhenmeter und die Kunst der Lalas
Ultratraining ist anders: Weil die Distanzen so lang sind, kann man natürlich nicht 10 Mal 60 Kilometer rennen. Die dann folgende nötige Regenerationszeit würde zu lange dauern. Ich tastete mich an lange Distanzen heran, erhöhte auf 45 km, dann auf 50 km, einmal 55 km und einmal 60 km. Nach zwei bis drei harten Trainingswochen mit 120 km inklusive Lalas kam eine Regenerationswoche mit weniger als 100 km pro Woche und kürzeren Lalas. Immer wieder streute ich als Abwechslung „Trainings-Marathons“ ein, teilwiese bei Hitze und mit Höhenmetern.
Drei Wochen vor meinem großen Tag verspürte ich plötzlich einen starken Schmerz in meinen linken Aduktoren. Sicherheitshalber setzte ich zwei Tage aus. „Hast du viel Stress?“ fragte meine Vereinskameradin Iris, die bereits einen 160 Kilometerlauf gewonnen hatte. „Ja, ich habe beruflich gerade ziemlichen Stress und kompensiere das mit zu viel Kaffee.“ Sie empfahl mir ein natürliches Entsäuerungsmittel, was in der Apotheke erhältlich ist und eine eher basische Ernährung. Zugleich startete ich einen kalten Kaffeeentzug und bin die Schmerzen quasi über Nacht losgeworden, so dass ich wieder laufen konnte. Wahrscheinlich hätte ich meine früheren Achillessehenprobleme so erheblich schneller in den Griff bekommen.
Mein erster Ultralauf | Hauptsache nicht dehydrieren
Den ersten 50 km Lala schaffte ich gut. Den zweiten musste ich bei Kilometer 37 wegen Flüssigkeitsmangel und den dritten bei Kilometer 40 wegen Kohlenhydratmangel abbrechen. Die darauffolgende 55er Runde bei Kilometer 40 wegen Salzmangel. Ich kann bei Temperaturen von bis zu 20 Grad einen Marathon ohne Trinken beenden, das geht. Bei Ultradistanzen ist das anders, wie ich im Training erfahren durfte. Nun hatte ich mehrere Lalas hintereinander aus Trainigssicht quasi „in den Sand gesetzt“. Deswegen musste ich die abschließenden 60 km max. 14 Tage vor dem Wettkampf erfolgreich zu Ende führen, damit mein Plan aufging.
Ich parkte mein Auto mit 6 Litern Flüssigkeit (3 Liter Wasser, 3 Liter süße Limonade) im Nachbardorf im Ortszentrum. Außerdem dabei: Salzkapseln und in Wasser auflösbare Kohlenhydrate. Bei 29 Grad lief ich eine 6,5 km Runde mit 70 Höhenmetern den Berg hinauf, am Fußballplatz vorbei hoch in die Weinberge mit toller Sicht auf den Pfälzer Wald und die unzähligen Weinreben. Bei einem am Wald gelegenen Krankenhaus bog ich rechts ab und lief hinunter ins nächste Dorf, an einer kaum befahrenen Straße entlang zurück zum Auto. Die letzten 2 der insgesamt 9 Runden musste ich Gehpausen einlegen. Die 6 Liter Flüssigkeit reichten gerade so. Aber ich schaffte es in 7 Stunden. Nach diesem Lauf war ich mir recht sicher, dass ich zumindest finishen würde.
Mein erster Ultralauf | Der Wettkampf
Es ist kurz vor 17 Uhr. Nur noch wenige Minuten bis zum Start. Ein Vorher-Selfie für meine Frau zeigt meine Anspannung vor dem Lauf . Hermann, mein Lauffreund und ultra-erfahrener Trainingspartner, ist nach wie vor die Ruhe selbst. Er hat 77 Marathons auf dem Buckel, pah! Wegen seiner Schmerzen im Fuß läuft er heute mit neuen Einlagen. „Kein Problem, ich habe meine alten Einlagen im Rucksack dabei, mit denen kann ich 20 Kilometer laufen. Erst dann kommen Schmerzen, zur Not kann ich auf diese wechseln“. Soviel zu seiner Renntaktik! Ultraläufer sind schon ein eigenes Völkchen.
Wir gehen aus dem Schatten heraus zum Start und uns umgibt gleich die starke Hitze. Ich habe drei Ziele. Wenn ich das Erste nicht erreiche, habe ich noch die beiden Anderen. Sonst besteht in der Erschöpfung das Risiko aufzugeben. Ziel Nummer 3: finishen, egal wie. Nummer 2: unter 9 Stunden bleiben. Das eigentliche Ziel (Nummer 1): in weniger als 8 Stunden finishen. Das wird sehr knapp und ich bin mir unsicher ob ich das schaffe.
Die ersten 20 (flachen) km will ich langsam laufen in einem Schnitt etwas schneller als 6 Minuten pro Kilometer. Dann kommen die Steigungen. Diese will ich „so wie es geht“ möglichst in einem 6er Schnitt absolvieren. Ab Kilometer 60, wenn es fast nur noch abwärts geht, werde ich mich bis zum Ziel durchkämpfen müssen.
Wir stehen recht weit vorne in der Nähe der Startlinie. Schon jetzt fließt der Schweiß in Strömen, dabei sind wir noch gar nicht gestartet. Bei einem Marathon herrscht oftmals kurz vor dem Start eine „positiv-aggressive“ Grundstimmung. Meist läuft „Highway to hell“ von ACDC oder sowas in der Art. Hier gibt’s eine fröhliche Musik und eine eher lockere Atmosphäre. Ultras laufen weniger „gegen“ andere, sondern eher für sich. Jeder weiß, was es bedeutet so eine Distanz zu laufen, respektiert den anderen Läufer, sieht ihn eher als Partner. Oft werde ich während des Wettkampfs auf der Strecke von anderen Läufern gefragt werden, ob alles OK ist. Bei einem Marathon ist mir das noch nie passiert.
Ultramarathon – was zur Hölle mache ich hier?
Meine Anspannung steigt, gefühlt werden die „Lasten“ auf meinem Rücken schwerer. Nun könntest du sagen, warum macht er sich solchen Stress? Er könnte doch einfach laufen und Erfahrungen sammeln. Der Druck ist doch selbst gemacht. Ja, stimmt. Mir ist es aber wichtig bei Wettkämpfen ans persönliche Limit zu gehen und darüber hinaus. Einen am Limit gelaufenen Marathon empfand ich immer als eine Erfahrung, die mich verändert hat. Deswegen will ich auch hier das Maximale erreichen, bin gespannt wie es mir dabei ergeht. Wie sich das anfühlt und was es mit mir macht. Ich konzentriere mich auf meinen Atem, atme bewusst langsam tief ins Zwerchfell und beruhige meinen Geist. Von 10 wird auf 1 heruntergezählt, dann kommt der Startschuß und los geht’s.
Ruhig und tief atmen, schnell auf eine Pace von 5:50 bis 6 Minuten pro Kilometer kommen. Soweit die Theorie. In der Realität läuft Hermann schon in der Stadionrunde in einem mörderisch hohen Tempo von 5:15 los. Mein erster Gedanke ist „Boah, den lässt du nicht davonlaufen“, also laufe ich im gleichen Tempo hinterher. Lauf langsamer, denke ich aber schnell.Ich versuche es, schaffe es aber nicht. Meine Beine gehorchen meinem Kopf nicht. In den Bergen wirst du ihn sowieso wieder einholen, denke ich.Es bleibt dabei, meine Beine wollen einfach nicht auf mich hören.
Vom Stadion geht es direkt in den Wald. Die ersten Kilometer verlaufen flach und anfangs eher am Waldrand neben weitläufigen Kleingartenanlagen vorbei. Über angenehm zu laufende Waldwege betrachte ich die saftig grüne Vegetation, fast auschließlich Laubbäume, viele Eichen. Zwischen den Bäumen blitzen Sonnenstrahlen hindurch und verursachen ein besonderes Licht. Ab und an geht es ein kleines Stück – ohne Bäume – in die Hitze und dann wieder hinein unter den Schutz des saftigen Grüns.
Da ich in den letzten Monaten viel bei Hitze trainiert habe, macht mir diese nicht so viel aus. Das Läuferfeld liegt noch eng beisammen, zieht sich aber allmählich auseinander. Nach etwa fünf Kilometern kommt die erste Getränkestation, an der es nur Wasser gibt. Zwei Becher trinken und weiter geht’s. Wenn ich durch meine in den Sand gesetzten Lalas etwas gelernt habe, dann das: Trinken und Nahrung ist das Wichtigste! Wir laufen an einem Abenteuerspielplatz vorbei. Zuschauer stehen am Rand und feuern uns an.
Irgendwie in den Flow kommen
Mühsam schaffe ich es nach einigen Kilometern mein Tempo etwas zu zügeln, laufe aber immer noch eigentlich zu schnell, etwa 5:30 – 5:45. Zugleich bin ich über mich erstaunt. Ich hätte nie gedacht, dass diese „Konkurrenz“-Gefühle doch stark sind, dass ich mich nicht gut bremsen kann. Offenkundig sind bei solchen Renndistanzen die Emotionen bei mir irgendwie purer. Wenn ich im Normalzustand irgendwelche Gefühle habe, etwa Neid, kann ich diese wahrnehmen und entscheiden, wieviel Energie ich ihnen geben will. Sie sind da und ich kann sie akzeptieren und mit ihnen umgehen. Bei diesem Wettkampf kann ich das nicht. Gefühle – egal welche – sind dann einfach da, voll und ganz in ihrer vollen Intensität.
Es ist an der Zeit die erste Kohlenhydratflasche zu leeren, da demnächst die 2. Getränkestation kommt und ich knapp eine Stunde unterwegs bin. Pro Stunde trinke ich eine Flasche mit flüssigen Kohlenhydraten. An meiner Weste sind zwei Stück befestigt, alle 20 km muss ich beide Flaschen füllen. Wegen meines bei langen Läufen vorhandenen Bedürfnisses an Süßem trinke ich an jeder Station Limonade. Stündlich verleibe ich mir zudem zwei Salzkapseln ein. Ich spüle mit zwei Becher Grapefruitlimonade mit zu viel Kohlensäure nach und laufe weiter.
Jetzt geht es aus dem Wald heraus, neben einer autobahnähnlichen Schnellstraße entlang, unter einem Tunnel hindurch zu Kleingartenanlagen. Kleine Parzellen, von vorwiegend übergewichtigen Pächtern gepflegt und mit unzähligen Gartenzwergen drapiert. Die ersten Grille sind schon aufgestellt. Wir Läufer werden mit großen Augen angeschaut. Ich bilde mir ein, bei einigen von ihnen den Gedanken „die spinnen…“ von der Stirn ablesen zu können.
Neben Eisenbahnschienen entlang geht es durch Durlach. Hermann habe ich inzwischen ziehen lassen, bin aber immer noch für mein anvisiertes Tempo zu schnell. Ich muss akzeptieren, dass ich es nicht schaffe, mein Tempo zu verlangsamen. An einer Fußgängerschranke überquere ich die Schienen und zum Glück bleiben die Schranken oben. Wäre doch jetzt zu blöd an einer Schranke warten zu müssen.
Doping-Pulver und der Gag mit dem Bart
Durlach lassen wir hinter uns. Es wird Zeit meine zweite Kohlenhydratflasche zu leeren. Wir laufen durch grüne Naherholungsgebiete mit Wiesen, vielen Büschen und vereinzelten Bäumen nach Pfinztal, der ersten Staffelwechselstelle. Hier werden auch die Steigungen losgehen. Vorher müssen wir erneut über Schienen der örtlichen Stadtbahn. Kurz vor den Schienen schaltet die Ampel doch tatsächlich auf rot. Ich blicke nach rechts und links, die Bahn kommt, ist aber weit genug weg, also sprinte ich hinüber. Innerlich muss ich lachen, dass mir genau das passiert. Dennoch habe ich inzwischen meinen Rhythmus gefunden, scanne meinen Körper regelmäßig nach Unstimmigkeiten ab und genieße den Lauf.
Bei der Staffelwechselstation beide Flaschen herausfummeln, öffnen, zwei Beutel Kohlenhydratpulver holen, öffen, in die Flaschen füllen und von einem der zahlreichen freundlichen, engagierten Helfer füllen lassen. Wieder in der Weste verstauen, zwei Salzkapseln nehmen, mit Süßem nachspülen und weiter.
„Was ist das für Pulver?“ fragt ein Helfer. „Kohlenhydratpulver“ anworte ich. „Sicher?“, fragt er. „Ja“, antworte ich freundlich. Der alte Dopingwitz mit endlos langem Bart, aber egal. Er füllt beide Flaschen mit Wasser. Ich hinterlasse ihm die leeren Verpackungen und bedanke mich. „Dann kann ich mir genauer ansehen, was die wirklichen Inhaltsstoffen sind“, antwortet er grinsend. Der ganze Vorgang dauert etwa fünf Minuten. Dennoch liege ich wegen meines Tempos knapp zehn Minuten vor meinem Zeitplan.
Ich laufe die Straße weiter, einen Weg zwischen zwei Häusern auf einen Wald zu. Aufwärts und um die Kurve, bis ich den nun zu folgenden Weg in seiner ganzen Pracht sehe: Steil bergauf, alle Läufer wegen der Steilheit gehend. Das erste Stück laufe ich noch, muss aber nach einger Zeit auch gehen.
Durch die Streckenkenntnis weiß ich, dass es jetzt in 2 – 3 Kilometern mehr als 100 Höhenmeter aufwärts und für die nächsten 20 km ständig auf- oder abwärts geht. Schon nach kurzer Zeit laufe ich wieder. Weiter, immer weiter. Ein kleines Stück geht es eben, kurz bergab und sofort wieder bergauf. Ich spüre starken Druck und laufe entsprechend etwas zu schnell. Nach fünf Kilometern hoch und runter spüre ich stärker werdende Erschöpfung, sowohl in den Beinen als auch im Kopf. Jetzt schon so müde.
Alter Schwede, alles wird so langsam
Es sind noch weitere 35 km Steigungen zu schaffen. Das kann nix werden. Verzweiflung breitet sich in mir aus, ich werde zunehmend mutlos. Schließlich regt sich hinter der dumpfen Erschöpfung und Verzweiflung in meinem Kopf ein Gedanke: Du liegst immer noch vor deinem Zeitplan. Selbst wenn du einen Einbruch bekommst, finshst du immer noch mit guten 8:30. Jetzt kämpfe weiter und lass dich nicht gehen. Stimmt. Klares Denken fällt mir zunehmend schwerer. Wir sind erst bei Kilometer 25 und schon jetzt kann ich nur noch langsamer denken. Ich spüre plötzlich einen starken Schmerz in den Muskeln über und unter dem Knie. Sobald ich das linke Bein beuge, schmerzt es. Es fühlt sich aber nicht wie eine Verletzung an. Ich laufe in den Schmerz hinein, hinke die ersten zwanzig Meter etwas, dann geht es wieder.
Der Weg führt aus dem Wald heraus durch ein Getreidefeld. Ein Stück vor mir sehe ich aus dem Getreide heraus laufende Oberkörper herausragen und nach links laufen. Dann geht es durch die Felder bergab. Hermann ist inzwischen in Sichtweite. Ich komme ihm langsam näher. Wir erreichen Jöhlingen, unter einer Unterführung durch, eine Straße bergauf und zur nächsten Steigung. Es ist eine große Wiese mit einzelnen Büschen und vielen Getreidefeldern. Man kann weit blicken, aber Hermann ist nicht zu sehen. Wow, hat er einen Spurt bergauf gemacht? Ich hatte nicht bemerkt ihn überholt zu haben. Wieder gehen so gut wie alle Läufer, ich notgedrungen und vernünftigerweise auch. Ich habe den Kampf angenommen, gehe wo nötig, laufe wo es geht, bin hochkonzentriert. Oben sieht man wie immer ein fantastisches Panorama mit Wiesen, Feldern, Bergen, Wäldern und Dörfern. Ein grandioser Ausblick.
Es geht bergab zum nächsten Dorf. Getränkestation, Salzkapseln, bäh, mit Süßem nachspülen, weiter. Kurz nach der Station höre ich ein Grunzen. Im ersten Moment erschrecke ich, befürchte Wildschweine, drehe mich um und sehe einen Läufer, der sich der zu vielen Kohlensäure am Wegesrand entledigt. Durch die zunehmende Müdigkeit ist die Wahrnehmung offenkundig verlangsamt, ich fühle mich aber trotz der auftretenden Müdigkeit, die meinen Kopf etwas vernebelt, geistig ruhig und gut. Es geht wieder einen Waldweg hinauf. Laubbäume in saftigem, üppigen Grün mit vereinzelten Nadelbäumen. Dann bergab zur nächsten Getränkestation.
Ich frage nach Hermanns Startnummer, er ist noch nicht dagewesen. Komisch, muss ihn irgendwo überholt haben. Oder er hat sich verlaufen. Er hat sich die Strecke vom letzten Jahr auf seine Uhr geladen. Dieses Jahr ist sie aber an manchen Stellen anders. Wie mir Hermann später berichtet, hatte er sich dort tatsächlich um ein paar 100 Meter verlaufen. Deshalb habe ich ihn überholt, ohne es zu bemerken.
Mein erster Ultralauf | Bergfest und ein Hoch auf die Mixcola
Es geht den Wald hinauf. Ich muss ein Stück gehen, es geht nicht anders. Ich fühle mich aber unwohl dabei, schließlich bin ich Läufer, nicht Geher. Was sein muss, muss aber sein. Bergab nach Mutschelbach, Kilometer 40, Halbzeit. Hier ist auch die zweite Staffelwechselstelle und der Marathonstart um 20 Uhr. Wieder stehen Menschen am Streckkenrand und feuern uns an. Es ist 20:55 Uhr, ich liege gut in der Zeit. Ich habe hier ein Langarmshirt, weitere Kohlenhydratbeutel und meine Stirnlampe deponiert. Shirt anziehen, Stirnlampe aufziehen, Flaschen wieder mit Kohlenhydraten und Flüssigkeit nachfüllen.
Wieder kommt vom einem Helfer der Dopingwitz. Salzkapseln einnehmen, Grapefruitlimonade gibt es hier nicht mehr, aber eine Arte Mixcola. Auch gut, ein anderer Getränkesponsor, wie ich sehe. Weiter geht’s. Der Weg führt neben der Straße aus dem Dorf heraus, unter einer Autobahnbrücke hindurch, dann links in den Wald hinein.
Ab jetzt kommen noch 460 Höhenmeter in gleichmäßiger leichter Steigung. Der Wald ist hier dichter, dunkler, es gibt erheblich mehr Nadelbäume. Aus dem Wald geht’s hinaus über eine Straße. Ein Polizist stoppt die Autos für mich, Danke, winken und weiter. Ich komme an einem mit Jugendlichen bevölkerten Grillplatz vorbei. Ich öffne den Mund, damit der laute Technoschall, der zu meinen Ohren hereinkommt aus dem Mund wieder herausgeht, und laufe weiter. Auch im Training liebe ich, trotz aller Erschöpfung die langen Läufe. Egal wie schlecht es mir vorher ging, immer entsteht eine angenehme Ruhe im Körper und Geist. So ist es trotz aller Anstrengung auch hier. In Ruhe laufe ich meinen Stiefel weiter.
Im nächsten Dorf stehen Zuschauer am Rand und feuern die Läufer an. Teilweise haben sie Grills und Bierbänke aufgebaut, essen und trinken und zelebrieren den Nachtlauf so auf ihre Weise. Im Ort abbiegen, bergauf laufen auf einen Hügel mit einem tollen Panorama hinauf. Inzwischen habe ich etwas mehr als 50 km hinter mir. In knapp 10 km kommt Langenalb, der höchste Punkt des Laufes. Ab da geht es so gut wie nur noch abwärts. Es wäre toll, wenn wieder mal eine starke Steigung kommen würde, dann dürfte ich gehen. Nix da, weiterlaufen. Die Müdigkeit steigt aber, also doch 100 Meter gehen und wieder weiterlaufen. Wieder kommt der Schmerz um das linke Knie herum.
Über Asphalt und Schienen hinweg
Die Woche vor dem Lauf hatte ich bei der Arbeit starken Stress und dieser verbraucht Magnesium. Wieder gelingt es mir in den Schmerz hinein zu laufen und ihn so loszuwerden. Aus Intuition heraus beginne ich mehr Salzkapseln zu nehmen, erst zwei alle 30 Minuten und dann ab Langenalb alle zwei Kilometer. Für alles zahlt man einen Preis. Sollte dieser darin bestehen, die Nacht auf der Toilette wegen Durchfall zu verbringen, zahle ich ihn gerne. Es geht eine lange Straße durch Langenalb zur dritten Staffelwechselstelle, über Schienen. Zum Glück keine Stadtbahn, und dann bin ich da. Hier wurde ein kleines Fest organisiert mit Grill und Alkohol, was von der örtlichen Bevölkerung offenkundig gut besucht wird.
Das gleiche Ritual, Flaschen füllen, der immer gleiche Dopingwitz, den ich mit „das haben die anderen auch schon gesagt“ beantworte, Salzkapseln und… Moment, mir ist plötzlich übel. Wenn ich nicht aufpasse, muss ich mich übergeben. Also nix Süßes mehr zu mir nehmen. Zu wenig Kohlenhydrate bedeuten aber nicht finishen. Übergeben bedeutet aber wohl auch nicht finishen. Also Kompromiss, nur noch Wasser und reduziert weiter Kohlenhydrate trinken und viel mehr Salz. Die Berge habe ich geschafft, jetzt geht es nur noch abwärts oder ebenerdig. Etwas liege ich hinter meinem Zeitplan. Dafür kommt keine Steigung mehr.
Vorsichtiger Optimismus macht sich breit
Ein Stück geht der Weg neben der Straße entlang, bis er im dunklen Wald verschwindet. Der Weg ist wegen zahlreicher größerer Steine schwer zu laufen. Für die nächsten Kilometer geht es stark bergab. Es wird dunkel, so dass man ohne Stirnlampe nur noch wenig sieht. Bergab laufen ist erholsam, könnte man meinen. Nicht aber für die geschundenen Muskeln und Sehnen. Hier kann ich Zeit gut machen, in Langenalb lag ich fünf Minuten hinter meinem Plan. Also schalte ich endlich meine Stirnlampe an und laufe was das Zeug hält.
Die Oberschenkel beschweren sich lautstark. In Marxzell stehen jüngere Kinder mit einem Getränkestand: „Möchten Sie Wasser?“ – „Nein, danke“, antworte ich. „Wollen Sie dann etwas essen?“, fragen sie. Wir haben etwa 23:30 Uhr, diese Kinder sind jünger als 10 Jahre alt und wollen die Läufer unterstützen. Toll! „Sorry, wenn ich jetzt esse, muss ich mich übergeben. Sehr nett von euch, danke.“
Über die Straße geht’s hinüber zum Rand von Marzell und dann rechts zum Schwimmschulweg. Dann geht es viele Kilometer durch den dunklen Wald, leicht bergab bis Ettlingen. Die nächste Zwischenstation ist Fischbach. Inzwischen bin ich so weit am Stück gelaufen wie noch nie in meinem Leben zuvor. Dieser Gedanke findet aber keinen emotionalen Wiederhall. Zu dumpf ist inzwischen mein Schädel, angefüllt von Nebelschwaden von Müdigkeit. Ich denke nur noch langsam und etappenweise. Als nächstes kommt Fischbach. Mittlerweile ist es stockdunkel.
Ganz schön viele Tiere in der Nacht
Vereinzelt überhole ich einige der langsameren Marathonläufer. Jeden grüße ich und feuere ihn an. In Fischbach trinken und gleich weiter. Vereinzelt huschen Spitzmäuse erschreckt aus dem Lichtkegel meiner Stirnlampe. Manche Glühwürmchen säumen meinen Weg, einzelne Fledermäuse fliegen über meinen Kopf. Diesen Teil der Strecke liebe ich. Man sieht fast nichts und läuft einsam und fokussiert im Lichtschein durch die Dunkelheit.
Die Beine werden immer schwerer, die Krämpfe stärker und häufiger. Der Punkt der totalen Erschöpfung rückt unaufhaltsam näher. Aber weiterlaufen, es hilft nix, muss irgendwie gehen. 100 Meter gehen und dann wieder laufen, weiter bis Ettlingen, dem nächsten Etappenziel. Dort werde ich nämlich wie vereinbart meine Frau Simone anrufen. Dann kann sie entscheiden, ob sie zum Zieleinlauf kommen möchte. Inzwischen sind wir bei Kilometer 70, laufen und gehen wechseln sich ab.
Ettlingen kommt bei Kilometer 73. Handy herausfummeln, Simone anrufen, Mailbox ist dran. Wahrscheinlich ist sie schon zum Zielbereich unterwegs. Kurz teile ich ihr mit wo ich bin und dass ich noch die geringe Chance sehe in unter 8 Stunden zu finishen, dass es aber knapp wird und dass ich es versuchen will.
Körper, Geist und alles andere streiken
Hoffentlich bin ich dann um kurz vor 1 Uhr im Ziel. „Ich war bei der Parkplatzsuche, hörte mein Handy klingeln, konnte aber nicht drangehen“, so Simone später. Bei meinem ersten Marathon hatte ich ihr aus Unerfahrenheit bezüglich meiner Leistungsfähigkeit gesagt, ich wäre in 4:30 Stunden im Ziel. Da ich den Marathon aber in 4:05 Stunden finishte, hatten sie und unser Sohn meinen Zieleinlauf verpasst. „Als ich die Mailbox abgehört habe, war ich froh bei deinem Zeileinlauf dabei sein zu können, auch wenn du dich sehr erschöpft angehört hast“, so meine Frau.
Ein paar Hundert Meter kann ich laufen, dann wieder nur gehen. Los, du hast die Chance, nutze sie. Am Ende von Ettlingen geht der Krampf in meinen Beinen gar nicht mehr weg. Auch in den Schmerz hineinlaufen hilft nicht mehr wirklich. Ich torkele neben der Schnellstraße entlang, etwa 1,5 Kilometer, bis es nach links in Richtung Autobahn geht. Nach 400 Meter laufen gehe ich 200 Meter. Die Autobahnbrücke ist zu steil, also gehe ich. Jetzt bin ich wieder auf der gleichen Strecke wie beim Start. Ich höre schon von weitem den Stadionsprecher. Los, lauf, gib alles. Geht aber nicht mehr. 100 Meter laufen, gehen, laufen. Ein helles Licht, Stadioneinlauf.
Eine junge Frau, eine Helferin, steht am Stadioneingang. Ich grüße sie und laufe tatsächlich die ganze Stadionrunde bis zum Ziel, es ist eher ein Hinken. Die letzte Kurve, dann die Zielgerade. Obwohl es 1 Uhr nachts ist, stehen viele Leute am Ziel und klatschen. Und hinter der Zielinine steht meine Frau, nimmt mich in den Arm. Sie gratuliert mir und ich hauche ihr ein „Danke für die Unterstützung“ ins Ohr. Geschafft. Ein unglaubliches Glücksgefühl breitet sich plötzlich in meinem Körper aus.
Mein erster Ultralauf | Verdammt, ich hab’s echt geschafft
Zu meinem Erstaunen kann ich noch gut stehen. Wir setzen uns auf eine Bank und ich erzähle ihr von meinem Lauf. Dann will ich noch meine Zeit wissen. Ich stehe in Zeitlupe auf und hinke breitbeinig zum Computer hinüber. Zwei Helfer sehen mich und lachen. „Das muss sein“, meint einer, „das gehört dazu.“ „Ja, den Preis zahle ich gern“, antworte ich. Da ich nicht mehr in der Lage bin, die kleinen Zahlen am Computerbildschirm zu entziffern, frage ich einen jüngeren Läufer, wie schnell ich war. 7:55:45 Stunden. Gesamtsechzehnter von – wie sich später herausstellt – 119 Finishern. Hermann wird mit knapp 8:51 Stunden Altersklassensieger. Er konnte mit seinen neuen Einlagen schmerzfrei bis ins Ziel laufen.
„Du warst vollkommen angefüllt und total leer zugleich“, sagt Simone später über die Minuten nach dem Zieleinlauf dieser magischen Nacht. „Vollkommen ausgepowert und irgendwo ganz woanders. Beim Erzählen hast du ständig umhergesehen, mich nie fixiert. Jeden ankommenden Läufer hast du lautstark bejubelt, ich glaube, weil du in ihnen gesehen hast, was du geleistet hast. Zugleich warst du glücklich und erfüllt. Für mich ist absolut klar, dass du so etwas nicht zum letzten Mal gemacht hast.
Mein erster Ultralauf | Mein Fazit
Ultralaufen hat etwas autistoides, wie ich finde. Viele Stunden absolut auf sich selbst konzentriert, ständig den eigenen Körper scannen, sich motivieren und antreiben, so gut wie nicht sprechen und die Landschaft intensiv wahrnehmen. Die Intensivität der Gefühle während des Laufs kann ich schlecht in Worte fassen. Sie sind einfach sehr intensiv, die angenehmen wie Freude und auch die unangenhemen wie Traurigkeit und Schmerz. Für mich war es ein völlig genialer und emotionaler Höllenritt. Ich brauchte entsprechend lange Zeit mich wieder umzustellen. Von dem stundenlangen in mir drin sein und in mir wahnehmen.
Den darauffolgenden Tag laufe ich mit einem innerlichen Dauergrinsen herum. Bei meinem ersten Marathon hatte ich mir bei Kilometer 41, also kurz vor dem Ziel, vorgenommen, nie wieder einen Marathon zu laufen. Das Vorhaben hielt genau bis zur Ziellinie. Dieses Mal war es anders. In jedem Moment des Laufs habe ich es nicht bereut und trotz aller Schmerzen genossen. Theoretisch zu wissen wozu der menschliche Körper fähig ist und es praktisch zu erleben ist ein großer Unterschied.
So hart der Lauf auch war, so märchenhaft war der Lohn. Durch so ein Tief hindurchzulaufen, durch Müdigkeit und Verzweiflung, gibt einen ungeheuren Energieschub. Die meisten Menschen in meiner persönlichen Umgebung versuchen mit aller Kraft Schmerzen auszuweichen. Der Ultraläufer sucht sie bewusst auf und läuft durch sie hindurch, was eine sehr energievolle Erfahrung ist.
Analyse und Optimierung von Details
Bezüglich meiner Leistung bin ich hochzufrieden. Mein Traumziel habe ich erreicht. Dennoch gibt es Luft nach oben und der perfekte Lauf war es noch nicht. So bequem meine Weste war, so mühsam war es, die Flaschen herauszufummeln und zu befüllen. Ein vernünftiger Trinkgürtel mit ausreichend Platz für kleine Kohlenhydratpäcken könnten einiges an Zeit sparen. Auch hat mich mein Harakiri-Start am Schluss Zeit gekostet. Durch die aus Unerfahrenheit in den Sand gesetzten Lalas fehlte mir gegen Ende Ausdauer.
Aber es fühlt sich toll an, dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange bedeutet. Ich werde weiter Ultras laufen und möchte mit noch größeren Distanzen meine Grenzen weiter verschieben. Übrigens: Gegen halb vier morgens kam ich nach diesem Lauf ins Bett und schlief drei Stunden toiletten- bzw. durchfallfrei. Treppenlaufen bereiteten mir am nächsten Tag Schmerzen und laufen war unmöglich. Aber ansonsten alles okay.
Hier sieht du mich auf der Laufstrecke in Karlsruhe, allerdings nicht bei diesem Ultralauf. Ich hatte bei einer früheren Veranstaltung schon mal teilgenommen und bin damals die Marathon-Distanz gelaufen.
Beruflich arbeite ich in meiner eigenen Praxis in einem Vollzeitjob und kümmere mich so gut es geht um meine Familie. Das Laufen habe ich vor fünf Jahren angefangen zu intensivieren, als Ausgleich zu einem rastlosen Leben. Auch um mich innerlich vom Stress zu „reinigen“. Das Ultralaufen – damit meine ich Wettkampf und Training – ist das Element in meinem Leben, das mir noch gefehlt hat. Auch wenn ich an meinem persönlichen Limit gelaufen bin und stolz auf meine Zeit und die Platzierung bin, ist das nicht das Entscheidende. Ich bin an meine Grenzen gegangen und habe sie verschoben. Das war ein ganz erfüllendes und intensives Erlebnis.
Der Fidelitas Nachtlauf ist ein hervorragend organisierter Ultralauf mit schöner Strecke, guter Streckenverpflegung und tollen, sympatischen Helfern. Die Streckenmarkierung war überwiegend gut. Das war sicherlich nicht meine letzte Teilnahme an diesem schönen Ultralauf.
Vielen Dank an die Veranstalter, dass wir Fotos für diesen Artikel verwenden dürfen.
Vielen Dank an Heiko von www.peopleabroad.de für seine große Unterstützung