Beim ersten Mal da tuts noch weh…beim zweiten Mal auch… – WHEW 100


Mental ist der bevorstehende WEHW 100 – Kilometerlauf Nebensache. Mental bin ich längst beim Mauerweglauf Mitte August in Berlin, der mit 161 Kilometern der längste Lauf meines bisherigen Lebens sein wird und das, obwohl ich erst seit 11 Monaten Ultra laufe. Das ist gefährlich, 100 Kilometer läuft man nicht nebenbei, ich zumindest nicht. 

Geplant war bei Sonnenschein optimal vorbereitet an den Start zu gehen, konstant und entspannt bis zum Ziel zu laufen und dabei möglichst viel vom Lauf zu genießen, da dieser Lauf durch wunderschöne Landschaften geht. Aber natürlich kam alles anders. Schon im Herbsturlaub in der türkischen Sonne bekam ich in der rechten Ferse eine Schleimbeutelentzündung. Am Strand bin ich mit Barfußschuhen gegangen! Das brachte mir eine Laufpause von 4 – 6 Woche ein. Im Februar tat wieder genau die gleiche Stelle weh, es fühlte sich genau wieder wie eine Schleimbeutelentzündung an. Jedoch war es etwas anderes, eine Art Wulst in der Haut, dennoch 2 Wochen Laufpause. So fehlten mir zum WHEW etwa 4 – 6 Wochen, vor allem fehlten mir Lange Läufe. Dazu war in den ersten Monaten des Jahres die Praxis (Arbeit) so stressig, dass ich vor lauter Stress und Erschöpfung manche Laufeinheiten nicht so durchziehen konnte, wie ich es wollte. Auf der anderen Seite lief der letzte Lange Lauf 14 Tage vor dem WHEW super, 60 Kilometer mit fast 700 Höhenmetern lief ich mit einer Geschwindigkeit von fast 6 Minuten pro Kilometer mit bis zum Schluss niedrigem Puls bei 27 Grad und hätte auch noch weiter laufen können. So gehe ich mit großen Fragezeichen bezüglich meiner Form an den Start.  Meine Ziele sind:

  • unter 10 Stunden bleiben, 
  • möglichst konstant zu laufen und das letzte Ziel erfüllt sich von selber:
  • weitere Erfahrungen im Umgang mit Laufen bei starker Erschöpfung sammeln.

Der Regen hat aufgehört, die Luft ist dennoch sehr nass und feucht und es ist kalt, 3 Grad wie ich später höre. Simone hat morgens um 5 Uhr im Hotel mit mir gefrühstückt und sich dann aber wieder hingelegt. Sie wird sich einen schönen Tag in Wuppertal machen und mich dann im Ziel erwarten. Neben dem Start – Zielaufbau sind 2 Zelte. Im einen gibt es Kaffee und Brötchen, im anderen eine Wärmelampe. Ich schnappe mir einen Kaffee, gehe mit ihm zur Wärmelampe, setze mich hin und treffe Ultraurgestein Udo. Wir haben noch mehr als 30 Minuten bis zum Start und unterhalten uns über vergangene und zukünftige Wettkämpfe sowie unsere läuferischen Träume. Bisher haben wir wenig direkt miteinander gesprochen, dennoch fühlt sich der Kontakt sehr vertraut an: ich kenne etliche seiner Laufberichte, er schreibt über wirklich jeden Wettkampf, an dem er teilnimmt einen Bericht und veröffentlicht ihn auf seiner Homepage. Danach geht es geschwind zur Toilette im wunderschönen Alternativcafe Utopiastadt und dann zur Startaufstellung. Selbstbewusst reihe ich mich recht weit vorne im Starterfeld ein. Guido, der Organisator des WHEW – Laufes brieft uns, ermahnt uns der Einhaltung der Verkehrsregeln, da die Strecke nicht abgesperrt ist und es auch über Straßen und Ampeln geht. Dann spricht noch der Oberbürgermeister von Wuppertal. Ohne Musik und großes Tamtam wird von 10 rückwärts gezählt, dann geht es ohne Pistolenschuss los.

Da die Strecke nicht ganz 100 km beträgt geht es erst 400 m in die falsche Richtung zu einem Wendepunkt und wieder zurück zum Start und dann weiter auf einem ehemaligen Bahndamm entlang. Auf der rechten Seite kommen einige Häuser, so auch ein geplanter Kinderparcours. Auf dem großen „Hier entsteht…“ – Schild sieht er beeindruckend aus. Auf der linken Seite sind Bäume, rechts werden die Häuser weniger und kommen auch immer mehr Bäume. Mir ist bitterkalt und ich frage mich, ob es ein Fehler war, keine Mütze zu tragen. Ansonsten habe ich eine lange Kompressionshose, mein Vereinsshirt mit Armlingen und eine Regenjacke drüber. Eigentlich wollte ich diese am Start zurücklassen, kurzfristig habe ich mich aber umentschieden, da es vermutlich über den Tag verteilt noch mehr regnen wird.

Das Feld ist noch recht eng zusammen, so sind die Soundbikes auch alle gut zu hören. Das sind Fahrräder mit eingebauter Musikanlage, die die Läufer begleiten und mit Rockmusik „beglücken“. Momentan laufen alte Rockschinken wie Led Zeppelin, ist OK, höre ich gerne. In einem der zahlreichen Tunnel dröhnt es etwas, aber auch das ist auszuhalten. Bei meinem letzten 100 Km – Lauf in Winschoten verschob sich im Laufe der Zeit meine Wahrnehmung immer mehr, so dass sich für mich die gleiche Musik allmählich in unerträglichen Lärm verwandelte. Da ich jetzt weiß, dass es an mir und nicht an der Musik liegt, werde ich damit diesmal besser umgehen können, hoffe ich.

Soundbike

Diesmal habe ich mich darauf programmiert höchstens 5:30 Minuten / Kilometer zu laufen, diesmal klappt es auch. Apropos: Wegen des tempomäßigen Harakiris bei meinen beiden letzten Ultraläufen habe ich mit meinem Sohn eine Wette laufen: Wenn ich beim Mauerweglauf auf den ersten 120 Kilometern (Ausnahme abschüssiges Gelände) mehr wie 2 Kilometer schneller als 6 Minuten pro Kilometer laufe, verpflichte ich mich, den nächsten Kandelmarathon mit Eselsmütze zu bestreiten, die er mir aber auftreiben oder herstellen muss. Da meine Frau aber Kunst unterrichtet, dürfte das kein Problem sein. Wenn die Sprache auf diese Wette kommt, grinst mich mein Sohn breit an…

Nach einigen Kilometern geht es ein paar Meter steil bergauf zu einer Straße und für einige Zeit durch Straßen und Häuser. Die Wegmarkierung ist eigentlich perfekt: Wo nötig sind grüne Pfeile auf die Straße gemalt, aber auch wirklich nur wo nötig. So muss man sehr aufpassen. Da das Feld aber noch so eng beisammen ist, ist das kein Problem, ich folge einfach der Menge. Wieder geht es zurück und weiter auf dem alten Bahndamm. Der Weg geht leicht wellig zwischen Bäumen hindurch. 

Schon nach 7 Kilometern kommt die erste Getränkestation, ich trinke Wasser und laufe weiter. Kurz darauf gehe ich zu einem Gebüsch. Kaffee am Start und Wasser jetzt waren etwas zu viel. Aber besser zu viel als zu wenig trinken. Mehr als eine Minute kostet mich das, danach weiter. Wieder geht es zwischen Bäumen hindurch. Neben der Musik der Soundbikes kann man Vögel zwitschern hören.

Bei Kilometer 18 ist die nächste Getränkestation, wieder etwas Wasser und weiter. Eine Mutter mit ihrer etwa 15 jährigen Tochter steht am Streckenrand und feuert die Läufer an.

Allmählich fühle ich mich im Wettkampf angekommen, mein Tempo liegt bei etwa 5.30 Minuten pro Kilometer. Ab und an bin ich plötzlich außer Puste und merke, dass es bergauf geht und bremse dann ab. Meine Anfangswettkampfnervosität hat sich gelegt und mein Körper und meine Beine fühlen sich gut an, es groovt. Laut Streckenplan weiß ich, dass bei Kilometer 73 eine große Rampe kommt, wo es für viele Kilometer bergauf geht. „Jetzt den Marathon beenden, dann bis zur Rampe, die noch überstehen und die letzten 13 Kilometer erkämpfen“ denke ich mir.

Ab Kilometer 26 habe ich mir zu den Getränkestationen meine Eigenverpflegung bringen lassen. Jeweils etwa einen Viertel Liter eines Kohlenhydratgemischs, dass sogar ich vertrage. Ich stecke die Flasche in meinen Gürtel und trinke während des Laufens schluckweise, bis ich die Flasche am jeweiligen nächsten Stand austausche. Pro Stunde 1 und später 2 Salzkapseln und weiter. Wieder steht die gleiche Frau mit ihrer Tochter am Streckenrand und feuert die Läufer an.

Immer wieder geht es durch ein Dorf, muss man über Straßen um Häuser herum und auch ab und an über Fußgängerampeln, bis man wieder am Bahndamm zwischen Bäumen hindurch geht und die Vögel zwitschern hört. Nach dem Überqueren einer Straße kommen auf der einen Seite des Weges ein Baumarkt und ein paar andere Firmen, kurz geht es wieder durch einen Ort über Straßen und Ampeln und dann wieder den Weg zwischen sich abwechselnden Bäumen.

Ich spreche mit einem Biker, der seine laufende Freundin begleitet. „Mit deinem Hintern möchte ich nach 100 Kilometern nicht tauschen“ sage ich. „Ich mit deinen Beinen auch nicht“, antwortet er. Recht hat er. Ich gebe ihm meine Kamera und bitte ihn mich zu fotografieren, was er auch tut.

Nach wie vor fühle ich mich erstaunlich gut, genieße die Landschaft und friere nicht mehr. Plötzlich beginnt es zu hageln, recht große Körner. „Pech“ denke ich mir und laufe weiter. Es hört wieder auf, kurz kommt die Sonne, bevor wieder dunkle Wolken kommen. „Der April macht was er will wie der Mai“ denke ich mir.

In Winschoten hatte ich ab Kilometer 35 mit starken Schmerzen zum kämpfen, das ist diesmal nicht der Fall. Ich fühle mich nicht so leichtfüßig, es ist nur eine auch gewisse Schwere in mir, ich muss mich ein kleines bißchen mehr psychisch antreiben. Und so ab Kilometer 40 werden die Beine etwas schwerer. Damit kann ich umgehen. Gefühlsmäßig kann ich mir nicht vorstellen, so noch weitere 60 Kilometer weiterlaufen zu können, muss ich aber auch nicht. Noch kann ich laufen, also laufe ich. Die nächsten 10 Kilometer. Dann sehen wir weiter.

Es kommt erst der Baldeneysee und dann die Ruhr. Es fahren einige Ruderboote, trainierende Leistungssportler und dann auch Flöße, teilweise mit Unmengen Alkohol und übermäßig betrunkenen jungen Männern die vulgäre Lieder lautstark gröhlen. Ich genieße die Landschaft und laufe weiter. Die nächsten etwa 30 Kilometer werde ich am Wasser laufen. Eine alte, stillgelegte Industrieanlage mit großem Schornstein -bewohnt- erscheint am Ufer, ein schöner Anblick. Ich laufe weiter. Meine Oberschenkel schmerzen allmählich mehr. Erfreulicherweise spüre ich diesmal aber nicht die Muskeln ums linke Knie herum. Bei meinen beiden bisherigen Ultraläufen haben diese stark geschmerzt, verursacht durch eine Dysfunktion, meine rechte Hüfte rotierte nicht ausreichend. Meine unbewusste Ausgleichsbewegung verursachte die genannten Schmerzen. Ich habe also meine von meinem Untermieter (Osteopath) gezeigten Übungen gut durchgeführt.

Die Ruhr ist hier sehr breit. Es gibt viele Boote, einen Campingplatz sowie etliche Restaurants mit Terrassen. Bei der Getränkestation nehme ich Wasser und 2 Becher mit Elektrolytgetränken. Ich habe ernährungsmäßig ein Experiment begangen was schief geht: Bei Kilometer 30, 60 und 90 habe ich meine Kohlenhydratflaschen zusätzlich mit Arginin, Citrullin, etwas Ingwerwasser und wenig Chilli versetzt. Dadurch hat sich das Kohlenhydratpulver nicht richtig aufgelöst, ist also so nicht trinkbar. kein Problem, an den anderen Stationen habe ich jeweils genug deponiert. Ich halte an den Ständen schon einige Meter vorher an und gehe einige Schritte. Die zunehmende Ermüdung macht sich bemerkbar, die Beine werden schwerer, psychisch stört mich das nicht. Wegen dieser Bedingungen und der unperfekten Vorbereitung meinerseits hatte ich mich eh auf einen Kampf eingestellt und kämpfen muss ich können, wenn ich den Mauerweglauf finnishen will.

Ein älteres Ehepaar sieht mich vorbei laufen. „Wieviele Kilometer haben Sie noch?“ „56“ antworte ich. „Ach ja, ich habe es gestern im Fernsehen gesehen, das ist ja ein Hundert Kilometerlauf, viel Erfolg“, „Danke“ antworte ich und laufe weiter. Zum ersten Mal seit ich an Ultraläufen teilnehme genieße ich den Wettkampf nicht die ganze Zeit, wird die Möglichkeit, nach dem Mauerweglauf keine solchen Distanzen mehr zu absolvieren verlockender. Egal, kann ich ja dann entscheiden. Es muss auch solche Tage geben, an denen Alles nicht ganz so leicht läuft. Ich bekomme Durst und Lust auf Süßes, greife zu meinem Gürtel zur Flasche, leer. Mist, habe beim letzten Stand vergessen die Flasche auszutauschen. Jetzt muss ich ein paar Kilometer so durchhalten, wird schon gehen. Auf der anderen Seite habe ich starken Durst. Für diesen Zweck habe ich in meinem Gürtel einige Notfallgels deponiert, komme aber nicht auf die Idee diese zu verwenden. Ich denke nicht daran. Rückblickend betrachtet bin ich an diesem Streckenabschnitt mehr am Limit, als ich es zu diesem Zeitpunkt selber bemerke.

Bei Kilometer 50 wird wieder die Zeit genommen, die freundlichen Helfer am Getränkestand kommen meinem Durst kaum nach mit Nachfüllen. Dann „Danke“ sagen und weiter. Von der Zeit her bin ich nach wie vor flott unterwegs, habe meinen Kilometerschnitt von 5:30 in etwa halten können. „Jetzt hast du ein gutes Polster für die Rampe“, denke ich mir. „Aber ich bin jetzt schon so tot, wie soll ich die noch laufen können?“. Muss ich nicht jetzt entscheiden, jetzt kann ich laufen, also laufe ich, verlangsame meine Geschwindigkeit aber etwas, bin aber immer noch schneller als 6 Minuten pro Kilometer. Die Sonne kommt heraus, ich schwitze stark, also anhalten, Regenjacke ausziehen und mir umbinden. Weiterlaufen. Jetzt verschwindet die Sonne, kommen Wolken und Wind. Mir wird kalt, trotz Laufen friere ich. Also wieder anhalten, Jacke aufknoten und wieder anziehen und weiterlaufen. Dann drückt meine Blase. Anhalten, Notdurft verrichten, weiterlaufen. Auf der rechten Seite kommt ein Schild für einen Biergarten mit dem Namen „Biergarten des Deutschen Volkes“. Irritiert laufe ich weiter, zum Ärgern bin ich zu erschöpft. Wieder geht es für einige Meter steil herauf zu einer Straße, diese gehe ich, oben laufe ich weiter. An einem Bootssteg kommt ein Getränkestand. Wieder steht am Rand die gleiche Mutter mit Tochter und jubelt mir zu. Ich nicke Ihnen zu, hebe aber nicht einmal meine Hand zum Gruß, zu anstrengend.

Ein Läufer schließt von hinten auf. „Könntest du bitte meine Jacke hinten aus meine Tasche herausholen?“ „Klar“, ich hole sie und gebe sie ihm. „Was willst du laufen?“ fragt er. „Unter 10 Stunden“ antworte ich. „Du bist aber auf 9:30 – Kurs“, „ja, aber die Rampe kommt noch“ sage ich. Er erzählt mir, dass er bei dieser das letzte Mal einen Totaleinbruch hatte. Ich bin ihm zu schnell, wir wünschen uns viel Glück und jeder läuft für sich weiter. Auf der anderen Seite der Ruhr sind jetzt unzählige Campingwagen und Boote. Im Sommer muss hier die Hölle los sein, denke ich mir. Gehen wird zu einer immer attraktiveren Alternative, kommt aber vorerst nicht in Betracht. Wieder geht es einige Meter steil zu einer Straße herauf über eine Kreuzung und dahinter wieder herunter in eine wunderschöne Wasser – Baum Landschaft. Die Oberschenkel brennen, Pech, weiter. „Jetzt läufst du so weiter bis zur Rampe und siehst dann“, denke ich mir. Wieder geht es auf eine Straße über eine riesige Kreuzung. Die Ampel hat gerade auf rot umgeschaltet und die Straße ist zu befahren, warten bis grün, Pause genießen und weiter. Auf der anderen Seite geht es an der Straße entlang. Ich schließe auf einen Staffelläufer auf und überhole ihn. „Hoffentlich kommt bald der verdammt Sportplatz“ sagt er. „Was für einen Sportplatz?“ frage ich mich. Einige Minuten später biegt der Weg weg von der Straße auf einen Sportplatz, ein Stück auf der Aschenbahn zur Zeitmessung (Kilometer 73) mit Getränkestand. Ich trinke, tausche meine Flasche aus und laufe weiter. Wir hatten überlegt, ob mein Sohn mich die letzten 27 Kilometer mit dem Fahrrad begleitet. „Papa, nimm es mir nicht übel, du bist mir einfach zu langsam, das ist mit dem Fahrrad zu anstrengend für mich. Deshalb begleite ich dich nur die letzten 27 Kilometer“. Kann ich absolut verstehen. Da zum gleichen Zeitpunkt die Rad – Pfalzmeisterschaften stattfinden, begleitet er mich nun doch nicht. Ich muss aber daran denken. Auf der einen Seite bin ich froh, dass er jetzt nicht da ist. Jetzt am absoluten Limit bin ich lieber alleine, habe da lieber niemanden bei mir. Es gibt nur ganz wenige Menschen, die ich in solchen Momenten um mich haben kann. Er wäre einer der wenigen gewesen. Ich will es ihm sagen und wenn er will und es organisatorisch möglich ist, darf er mich mal bei einem Ultralauf begleiten.

Die Strecke führt vom Sportplatz weg zur großen Straße und dann rechts in eine kleinere Straße die super steil bergauf geht. Kann ich beim besten Willen nicht laufen. Also gehe ich. „Los lauf, Idiot“ denke ich mir. Geht nicht, zu steil. „Du kannst doch nicht jetzt 14 Kilometer gehen, dann vermasselst du dir deine Zeit“. Nein, laufen geht aber nicht. Nach einigen Hundert Metern werden wir wieder auf den Weg geführt. Dieser hat eine geringere Steigung. „Jetzt läufst du so langsam, dass du bis zum Ende der Steigung laufen kannst, dann verlierst du nur wenige Sekunden pro Kilometer“. Eigentlich logisch, bei einer Steigung langsamer zu laufen. Zu solchen Gedankenn bin ich aber kaum noch fähig. So freue ich mich über diesen „genialen Geistesblitz“ und laufe ein paar Sekunden langsamer als 6 Minuten pro Kilometer. Kilometerweise laufe ich, einige Meter gehe ich. Im Vergleich zu Winschoten gehe ich aber viel seltener und viel kürzere Strecken.

Bei Kilometer 76 kommt eine Getränkestation. Ich hole meine deponierte Flasche. „Du siehst aber noch gut aus. Hast du Schwindel?“ Ich unterbreche mein Trinken und schüttele den Kopf, trinke dann weiter. „Hast du Krämpfe, wir haben Magnesium?“. Ich setze ab, schüttele den Kopf und trinke dann weiter „du hast Krämpfe, wieso verneinst du, deine Oberschenkel brennen heftig?“ frage ich mich. Ich weiß die Antwort nicht. „Soll ich dir mehr Wasser in deine Flasche füllen?“ Dann würde sich die Kohlenhydratmischung ungünstig verändern. Bei einem bestimmten Mischungsverhältnis verkapseln sich diese und passieren den Magen und kommen direkt in den Darm. Das sind so ziemlich die einzigen Kohlenhydrate die ich in größeren Mengen bei größeren Distanzen vertrage. „Nein Danke“ antworte ich und trinke weiter. „Willst du Kartoffeln mit Salz“. Es ist wirklich schwer hier ungestört zu trinken denke ich mir , setze ab und antworte „Nein Danke, dann müsste ich kotzen“. Jetzt kommt die nächste Standhelferin: „Soll ich deine Flasche vollmachen“. „Das habe ich ihn auch schon gefragt“ sagt die erste Mitarbeiterin, „will er nicht“. „Jetzt hast du nur noch ein kleines Stück bergauf bis zum langen Tunnel und dann kannst du die letzten 13 Kilometer bergabrollen, geht dann ganz leicht“ sagen sie mir. „Verdammt nochmal ich bin tot, ich weiß nicht wie ich die letzten 13 Kilometer schaffen soll, rafft ihr das nicht?“ Diesen Satz denke ich mir und spreche ihn nicht aus, ich antworte „ja ich weiß, vielen Dank, Tschüß“ und laufe weiter.

Es kommt der lange Tunnel. Die Rampe endet. Nach dem langen Tunnel geht es leicht bergab. Ich fühle mich plötzlich leicht und beschwingt, erhöhe das Tempo und fliege erheblich schneller als 5:30 / Kilometer nur so dahin. Mein Blick auf die Uhr verrät, dass das eine richtig gute Zeit werden kann, das beflügelt mich noch mehr. Einige Läufer überhole ich und fliege nur so an ihnen vorbei. So schnell und unerwartet wie das „Hoch“ kommt, so schnell und unerwartet verschwindet es auch wieder: Bei etwas nach Kilometer 90 kommt plötzlich ein ganz starker Gegenwind geschätzt in der vom Wetterbericht gemeldeten Geschwindigkeit von 35 km/h. Meine Leichtigkeit, ist weg, die Schwere da, nichts geht mehr.

„Los kämpf“. Jeden Fuß setze ich vor den anderen, Schritt für Schritt reduziert sich die noch vor mir liegende Distanz. Es geht durch eine Art Canyon: rechts und links des Weges gehen steile Felsen nach oben, optisch wunderschön, windtechnisch katastrophal. Bei Kilometer 93 kommt die letzte Getränkestation. An ein Handy sind Boxen angeschlossen. Es läuft „Break on through to the other Side“ von den Doors. Passt irgendwie zu meinem Zustand., er hat etwas von der von Jim Morrison besungenen „other Side“. Flasche wechseln, Wasser trinken, 2 Becher Elektrolyt und weiter. Es geht durch einen Vorort von Wuppertal. Halbstarke gehen breitschultrig den Weg entlang, jeder hört „Gangsterrap“ in großer Lautstärke, man macht mir keinen Platz, also laufe ich um sie herum. In dieser Betonöde haben die aber auch keine andere Möglichkeit sich zu entfalten. Ich freue mich wie privilegiert ich auf dem Land leben darf.

Jetzt gibt es einen kleinen Anstieg und dann die letzten Kilometer über den Dächern von Wuppertal. Es kommen verschiedene verlassene Bahnhöfe. Wenn ich Gehpausen einlege hört der Wind auf. Laufe ich los bläst er um so stärker. „Dieser Verda…te Ar…l… Dr….s…Gegenwind“ denke ich mir. „Los lauf“, einige Schritte laufen, gehen. „Los weiter“, also weiter, gehen. Jetzt kommt der letzte Tunnel. Noch 700 Meter. Ich kann nicht mehr. Aber es ist gegen meine Ehre gehend ins Ziel zu gelangen, das gibt es nicht, ich muss laufen, egal wie. Also laufe ich. Irgendwie. Mein Anblick wird wohl furchtbar sein, mein Gesicht von der Anstrengung gezeichnet, egal, weiter. Die Mutter und Tochter stehen 200 Meter vor dem Ziel und applaudieren. Ich fühle mich wie der Hase bei Hase und Igel. Ich laufe und laufe und der Igel ist immer schon da. (In meinem Fall diese Mutter mit ihrer Tochter…)

Ich laufe weiter, kämpfe mich über die Ziellinie beuge mich stark nach vorne und verschnaufe. Simone nimmt mich in den Arm, beglückwünscht mich und schießt die „Hinterherbilder“. Ich hole mir ein alkoholfreies Bier und will mich hinsetzen. Bei der Abwärtsbewegung des Hinsetzens machen die Beine zu und ich falle auf die Bank und stehe erst mal nicht mehr auf. Auch wenn ich nach dem Lauf tagelang starke schmerzende Beine habe bin ich doch überrascht, wie schnell sich mein Körper von dieser Belastung erholt. Von Ultralauf zu Ultralauf scheint mein Körper besser mit dieser Belastung umgehen können. Das gibt Hoffnung in Bezug auf künftige Ultra – Wettkämpfe.

Mit 9:42:02 bin ich von 144 gestarteten Männern 17. geworden und Altersklassen Fünfter. Mit meiner Zeit bin ich absolut zufrieden. Auch bin ich recht konstant gelaufen, nur hat mich der Wind auf den letzten 10 Kilometern gerockt.

Der WHEW ist ein fantastischer Lauf in einer tollen Umgebung. Guido und alle Helfer machen mit ihrem Engagement und ihrem Enthusiasmus aus diesem ein tolles Event. Jetzt kann die Vorbereitung für den Mauerweglauf in Berlin losgehen. Im Juni werde ich weniger arbeiten, im Juli habe ich 3 Wochen frei, kann also unbeschwert trainieren. Jetzt freue ich mich auf den Mauerweglauf.

Über Cornelius Knecht

Beruflich arbeite ich mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Das Laufen hilft mir den Kopf freizukriegen und neue Energien zu tanken. Ich liebe vor allem die langen, meditativen Läufe durch die Weinberge in der Südpfalz. Als Kind spendierte mir mein Vater immer ein Eis, wenn ich ihn zum Lauftreff begleitete. So kam es, dass ich im Alter von sieben Jahren mal einen 10 km Lauf in 56 Minuten absolvierte.
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